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Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 823 Abs. 1 BGB

Hühnerpest-Fall (BGH 26.11.1968 , VI ZR 212/66 , BGHZ, 51, 91): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration zum Hühnerpest-Fall (BGH 26.11.1968 , VI ZR 212/66 , BGHZ, 51, 91):
© Jurafuchs | Künstler: Johannes Töws

Pharmaunternehmen P vertreibt unter anderem Impfstoff gegen Hühnerpest. Landwirtin L lässt ihre gesamte Hühnerfarm mit einer verseuchten Charge des Mittels impfen. Darauf erkranken alle Tiere an Hühnerpest und verenden. Ob P fahrlässig gehandelt hat, kann nicht festgestellt werden.

Einordnung des Falls

Produzentenhaftung (Hühnerpest-Fall)

Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die Du in einem Gutachten adressieren solltest:

1. Hat L eine Eigentumsverletzung erlitten (§ 823 Abs. 1 BGB), indem die Hühner an der Hühnerpest erkrankten und starben?

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Ja, in der Tat!

Eine Eigentumsverletzung kann erfolgen durch (1) Sachentziehung, (2) wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten, (3) Beeinträchtigung der Sachsubstanz oder (4) Beeinträchtigung des Sachgebrauchs. Zu (3): Eine Substanzverletzung liegt vor, wenn eine zunächst intakte Sache körperlich zerstört oder beschädigt wird. Auf Tiere sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anwendbar (§ 90a BGB). Indem P die Hühner der L infiziert und dadurch sogar getötet hat, hat er auf die Sachsubstanz des Eigentums der L eingewirkt.

2. Kann ein Produzent grundsätzlich seine Waren ohne weitere Sicherungsmaßnahmen in Verkehr bringen?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Den Hersteller von Produkten (Produzenten) treffen spezielle Verkehrssicherungspflichten (sog. Produzentenpflichten). Wer ein Produkt herstellt oder importiert und es anderen überlässt (sog. Inverkehrbringen), muss die aus dem Produkt für andere drohende Gefahr nach Möglichkeit geringhalten. Diese Produzentenpflichten teilen sich auf in (1) die Konstruktionspflicht, (2) die Produktionspflicht, (3) die Instruktionspflicht und (4) die Produktbeobachtungspflicht.

3. Hat P eine kausale Verletzungshandlung begangen, indem es den verseuchten Impfstoff in Verkehr gebracht hat?

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Ja, in der Tat!

Bei mittelbar schädigenden Handlungen muss – wie beim Unterlassen – die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht vorliegen. Beim Inverkehrbringen von Produkten kommt die Verletzung der Produzentenpflichten in Betracht. Ein Konstruktionsfehler liegt vor, wenn das Produkt bereits seiner Konstruktion nach gefährlich ist. Ein Produktionsfehler tritt dagegen erst während des Produktionsprozesses auf. Der Impfstoff selbst ist nicht seiner Konstruktion nach gefährlich. Es ist nur eine Charge versucht, sodass ein Produktionsfehler vorliegt. Das Inverkehrbringen eines Produkts mit einem Produktionsfehler stellt eine Produzentenpflichtverletzung dar.

4. Hat P das Inverkehrbringen des verseuchten Impfstoffs zu verschulden?

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Ja, in der Tat!

Grundsätzlich muss jede Partei all jene Voraussetzungen beweisen, die für sie eine positive Rechtsfolge haben (Beibringungsgrundsatz). Hiervon wird jedoch bei der Produzentenhaftung eine Ausnahme gemacht. Grund: Es ist dem Geschädigten eines Produkts in der Regel nur schwer möglich, dem Hersteller eines Produkts das Verschulden bezüglich der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht nachzuweisen. Daher muss der Produzent selbst beweisen, dass er je nach Pflichtverletzung die angemessenen Maßnahmen getroffen hat, um ein Verschulden auszuschließen. L kann nicht beweisen, dass P fahrlässig gehandelt hat, da dies unklar ist. Als Hersteller des Impfstoffs muss P allerdings nachweisen, dass er nicht fahrlässig gehandelt hat.

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