Beschädigung eines Autos durch Luft-Ablassen der Reifen?


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T will sich bei P rächen. Er will sich aber nicht strafbar machen wegen Sachbeschädigung. Statt dem P die Reifen aufzustechen, öffnet T stattdessen die Ventile und lässt die Luft ab.

Einordnung des Falls

Beschädigung eines Autos durch Luft-Ablassen der Reifen?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach § 303 Abs. 1 StGB ist es strafbar, wenn man eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, es sei denn man ist dazu berechtigt (z.B. als Eigentümer der Sache).

Diese Rechtsfrage lösen 98,5 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

Genau, so ist das!

Richtig! Im Strafgesetzbuch steht: "Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." (§ 303 Abs. 1 StGB).

2. Indem T die Luft aus den Autoreifen gelassen hat, hat er das Auto des P "beschädigt" (§ 303 Abs. 1 StGB).

Diese Rechtsfrage lösen 63,9 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

Ja, in der Tat!

Was man unter dem Begriff "beschädigen" genau versteht, steht nicht im Gesetz. Die Gerichte haben in zahlreichen Entscheidungen aber eine Definition entwickelt: Beschädigen ist jede Einwirkung auf eine Sache, durch die ihre stoffliche Unversehrtheit nicht unerheblich verletzt (Substanzverletzung) oder ihre bestimmungsgemäße Brauchbarkeit nicht unerheblich beeinträchtigt wird (Brauchbarkeitsminderung). T hat die Brauchbarkeit des Autos erheblich gemindert. Ohne Luft in den Reifen ist das Auto nicht fahrtüchtig. Die Reifen kann man zwar aufpumpen, aber nicht ohne wesentlichen Zeitaufwand und Mühe.

3. T dachte, das Luft-Ablassen sei nicht strafbar. Er hat deshalb ohne Vorsatz gehandelt.

Diese Rechtsfrage lösen 76,6 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

Nein!

Sachbeschädigung ist nur strafbar, wenn der Täter mit Vorsatz handelt (§ 15 StGB). Was genau "Vorsatz" bedeutet, steht nicht im Gesetz. Die Gerichte haben aber in zahlreichen Entscheidungen eine Definition entwickelt: Vorsatz ist das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. T muss gewusst und gewollt haben, dass er das Auto "beschädigt". Er muss dafür nicht die strafrechtliche Definition kennen. Es genügt, wenn er den vom Gesetzgeber unter Strafe gestellten Sachverhalt in seiner sozialen Sinnbedeutung erkennt (sog. Parallelwertung in der Laiensphäre. T wusste, dass er durch das Herauslassen der Luft die Brauchbarkeit des PKW aufhebt. Er kannte die rechtlich-soziale Bedeutung seines Verhaltens.

4. Für eine Sachbeschädigung erhält der Täter eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis maximal zwei Jahre.

Diese Rechtsfrage lösen 94,6 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

Genau, so ist das!

Richtig! Das ist der im Gesetz (§ 303 Abs. 1 StGB) vorgesehene Strafrahmen für eine materielle Tat.Das OLG Karlsruhe (Beschl. v. 5.9.2005 – 1 Ws 169/05, NStZ-RR 2006, 57) hat z.B. einen Täter für das Zerstechen von Autoreifen in 11 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe (§§ 53 Abs. 1 StGB, 54 Abs. 1 StGB) von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Eine Gesamtstrafe wird verhängt, wenn jemand mehrere selbständige Straftaten begangen hat, die gleichzeitig abgeurteilt werden. Sie wird gebildet, indem die schwerste Einzelstrafe erhöht wird, darf aber nicht die Summe der Einzelstrafen erreichen.

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JU

Juristenfuchs

31.3.2020, 08:24:00

Das Beispiel passt nicht ganz: „[…] eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, es sei denn man ist dazu berechtigt (z.B.Eigentümer der Sache)“ Für den Eigentümer ist die Sache jedoch schon nicht fremd.

GE

gelöscht

31.3.2020, 08:42:29

Ebend - weil eine Sache dem Eigentümer aufgrund seiner Eigentümereigenschaft nicht fremd ist, ist er zur Einwirkung auf sein Eigentum berechtigt. Das beinhaltet auch die Zerstörung. Oder was meinst du genau 🤔?

TR

Tr(u)mpeltier

31.3.2020, 10:09:09

Was Juristenfuchs zu Recht anmerkt, ist, dass das Merkmal der Berechtigung andere Konstellationen ausschließen soll. Hier geht es primär darum, dass der Eigentümer einem Dritten erlaubt, sein Eigentum zu beschädigen oder zu zerstören. Natürlich ist auch der Eigentümer dazu berechtigt, dies müsste aber nicht gesondert in der Definition aufgeführt werden, da der (Allein-) Eigentümer bereits durch das Merkmal fremd als tauglicher Täter ausscheidet.

JU

Juristenfuchs

31.3.2020, 10:14:48

@Tr(u)mpleiter: genau darauf wollte ich hinaus. Ist der Schädiger nämlich Eigentümer und ist ihm die Sache daher nicht fremd, liegt schon dem Grunde nach keine Sachbeschädigung vor. Genau, auch ich verstehe es so, dass die Berechtigung auf die Konstellation der Einwilligung zugeschnitten ist.

LI

LisaMarie20

25.1.2021, 14:22:32

In unseren Unterlagen wurde dieses Beispiel besprochen. Jedoch wurde auch sie Ansicht vertreten dass es „einfach“ sei, die Reifen wieder mit Luft zu befüllen, die Brauchbarkeit also nicht erheblich beeinträchtigt wäre und demnach keine Sachbeschädigung vorliegen würde. Ist das eine Einzelfallentscheidung?

TJ

Tr(u)mpeltier junior

25.1.2021, 16:21:08

Hi Lisa, das ist tatsächlich ein wenig vom Sachverhalt abhängig. Geht es zB um ein Fahrrad, das ggfs sogar noch eine Pumpe an der lenkerstange befestigt hat oder lasse ich die Luft am autoreifen heraus, während das auto an der Tankstelle neben einer entsprechenden Anlage zum aufpumpen steht, dann dürfte eine Beschädigung eher zu verneinen sein. Der "Schaden" ist sehr leicht zu beseitigen. Anders dagegen, wenn das Auto vor deiner Haustür steht und dir eine solch unkomplizierte Maßnahme nicht zur Verfügung steht. Auf den letztgenannten Fall dürfte der Sachverhalt abzielen.

EN

ehemalige:r Nutzer:in

21.10.2022, 21:31:32

Zur Situation passt doch auch der § 303 Abs. 2 StGB. T hat das Erscheinungsbild erheblich geändert. Spielt der Paragraph in der Situation noch eine Rolle?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.10.2022, 18:35:34

Hallo M_, aufgrund des im Strafrecht geltenden Analogieverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) ist es hier besonders wichtig, nicht über den Wortlaut der entsprechenden Norm hinauszugehen. Durch das Herauslassen der Luft ändert sich an dem Erscheinungsbild des Wagens bzw. des Reifens erst einmal nichts. Tatbestandlich erfasst werden vielmehr Fälle der Verunreinigung des Bemalens, Besprühens, Beschmierens, Überklebens... Insofern wäre hier nur auf § 303 Abs. 1 StGB abzustellen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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