Grundfall "Jedermann" (§ 90 Abs. 1 BVerfGG): Natürliche Person


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Student B (deutscher Staatsbürger) sieht sich durch die im Rahmen der Corona Pandemie erlassenen Versammlungsverbote in seiner Freiheit bedroht. Er beschließt, Verfassungsbeschwerde zu erheben.

Einordnung des Falls

Grundfall "Jedermann" (§ 90 Abs. 1 BVerfGG): Natürliche Person

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Verfassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn B beschwerdefähig ist (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG).

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Ja, in der Tat!

Fähig, eine Beschwerde zum BVerfG zu erheben (Beschwerdefähigkeit), ist Jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt worden zu sein (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG). Beschwerdefähig sind alle Personen, die Träger eines der als verletzt gerügten Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte sein können. Auf die tatsächliche Trägerschaft des gerügten Rechts kommt es im Rahmen der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht an. Im Rahmen der Begründetheit ist die tatsächlicher Trägerschaft des gerügten Rechts - also die Eröffnung des persönlichen Schutzbereichs - zu thematisieren. Nur wenn sie vorliegt, kommt die gerügte Grundrechtsverletzung überhaupt in Betracht.

2. B ist beschwerdefähig, Verfassungsbeschwerde gegen das Versammlungsverbot zu erheben.

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Ja!

Beschwerdefähig sind alle Personen, die Träger eines der als verletzt gerügten Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte sein können. B rügt die Verletzung seiner Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG). Es handelt sich bei Art. 8 Abs. 1 GG um ein Deutschen-Grundrecht, worauf sich nur Deutsche berufen können. Deutscher im Sinne des GG ist insbesondere, wer die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt (Art. 116 Abs. 1 GG). D ist als deutscher Staatsbürger beschwerdefähig. Ob und in welchem Umfang die Deutschen-Grundrechte auf Unionsbürger anwendbar sind ist umstritten. Genaueres dazu ist im Kapitel Grundrechte aufbereitet.

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Cosmonaut

Cosmonaut

31.8.2022, 19:56:15

Hi Team! Gerne an der Stelle eine Vertiefung zum Thema „Anwendbarkeit der Deutschen-Grundrechte auf Unionsbürger“ hinzufügen: e.A.: ja, da andernfalls Verstoß gegen das europäische Diskriminierungsverbot der Art. 18 ff. AEUV. Danach seien auch grundrechtliche Vorschriften so auszulegen und anzuwenden, dass Unionsbürger nicht diskriminiert würden. Weiterhin begründet diese Ansicht die Anwendbarkeit von Deutschen-Grundrechten auf Unionsbürger mit dem effet utile, dem Gebot der europarechtskonformen Auslegung und Anwendung nationalen Rechts, das generell in Art. 4 III EUV verankert ist. A.A.: Rückgriff auf Art. 2 I GG; dort dann (europarechtskonforme) Erhöhung des Schutzniveaus, sodass es dem Schutzniveau der Versammlungsfreiheit entspricht. Als Argument führt diese Ansicht den Wortlaut der speziellen Freiheitsgrundrechte an, welche den Schutzbereich ausdrücklich auf Deutsche beschränkten. Vielen Dank!

Nora Mommsen

Nora Mommsen

1.9.2022, 08:56:02

Hallo Cosmonaut, danke dir für die Anregung. Es ist der didaktische Ansatz von Jurafuchs, die Prüfungsschritte und ihre Probleme einzeln aufzubereiten. Genaueres zur "Anwendbarkeit der Deutschen-Grundrechte auf Unionsbürger" findest du daher im Kapitel Grundrechte unter Versammlungsfreiheit/persönlicher Schutzbereich. Wir haben hier nun einen kurzen Hinweis dazu ergänzt. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

LI

Linus

7.9.2023, 08:22:17

ich verstehe nicht, warum hier “insbesondere, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt” steht. Deutscher iSd GG ist genau jeder, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

7.9.2023, 11:22:15

Hallo Linus, danke für deine Rückmeldung. In der Tat kann die Formulierung verwirren. Den Deutscher i.S.d. Grundgesetzes ist in jedem Fall "wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt". Aber es gibt dazu noch eine weitere Regelung. Dies findest du in Art. 116 GG. Dort heißt es "(1) Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist (...) oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.". Das Grundgesetzt kennt also neben deutschen Staatsangehörigen auch noch andere als Deutsche im Sinne des Grundgesetzes an. Wirf mal einen Blick in Art. 116 GG, dort findest du die Formulierung aus der Aufgabe wieder. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Lea_6.9

Lea_6.9

27.3.2024, 10:19:25

Ich frage mich hier gerade, warum überhaupt erwähnt wird, dass es sich bei Art. 8 GG um ein Deutschen-Grundrecht handelt. Normalerweise würde ich die Beschwerdefähigkeit nur auf Grundlage der Art. 93 I Nr. 4 a GG, § 90 I BVerfGG prüfen und danach ist erstmal „jedermann“ beschwerdefähig, der behauptet in einem seiner Grundrechte/grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein. Dass Art. 8 GG ein Deutschen-Grundrecht ist, wird mMn erst im Rahmen des persönlichen Schutzbereichs relevant, da man das konkrete Grundrecht doch erst in der Begründetheit prüft und nicht bereits in der Zulässigkeit..

Tomˑ

Tomˑ

10.4.2024, 15:19:13

Das habe ich mich auch gefragt, zumal ja in der Aufgabe selbst sehr schön vertiefend klargestellt wird, dass es bei der Beschwerdefähigkeit (als Zulässigkeitsvoraussetzung) gerade nicht auf die tatsächliche Trägerschaft ankommt und die Eröffnung des persönlichen Schutzbereichs eine Frage der Begründetheit ist.


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