Strafrecht
BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub u.a.
(Räuberische) Erpressung (§§ 253, 255 StGB)
Verwerflichkeitsklausel (§ 240 Abs. 2 StGB /§ 253 Abs. 2 StGB)
Definition: Verwerflichkeitsklausel (§ 240 Abs. 2 StGB /§ 253 Abs. 2 StGB)
Wann ist eine Tat „verwerflich“ (§ 240 Abs. 2 StGB /§ 253 Abs. 2 StGB)?
Die Tat ist verwerflich, wenn die Verhaltensweise im Rahmen einer Gesamtabwägung sozial unerträglich ist und daher strafwürdiges Unrecht darstellt. Die Verwerflichkeit kann sich aus der rechtlichen Missbilligung entweder des Nötigungsmittels oder des Nötigungszwecks ergeben. Maßstab für die Bewertung ist die sog. Zweck-Mittel-Relation.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
FW
1.8.2024, 11:52:36
Wo besteht der Unterschied zwischen
Verwerflichkeit und Sittenwidrigkeit? Bei beiden wird anhand der Einzelfallumstände geprüft, ob die das Verhalten nach sozialen Aspekten als nicht anständig angesehen wird. Sittenwidrigkeit ist zwar kein strafwürdiges Unrecht, jedoch verstehe ich den Unterschied nicht ganz. Wäre jemand so nett und könnte das mir erklären?
Patrick4219
1.8.2024, 19:42:00
Bride Begriffe sind sehr ähnlich, werden in der Juristensprache jedoch für ubterschiedliche Situationen verwendet. Die Sittenwidrigkeit bezieht sich immer auf ein Rechtsgeschäft wohingegen die
Verwerflichkeit eben wie vorliegend an Handlungen, also
Realakte, anknüpft. Der Maßstab ist bei beiden Begriffen jedoch (nahezu) identisch.
Tobias Krapp
7.8.2024, 09:50:56
Hallo FW, danke für deine Nachfrage. Wie Patrick4219 schon hervorhebt, sind hier unterschiedliche Bezugspunkte betroffen, die zu unterschiedlichen Prüfungsmaßstäben führen: Bei der
Verwerflichkeit muss immer der Bezug auf die Entschlussfreiheit des Opfers durch ein bestimmtes Mittel hergestellt werden. Nur die Einwirkung hierauf ist für die
Verwerflichkeit relevant, auf eine "generelle" sittliche Missbilligung kommt es nicht an. Der Fokus liegt auf der Zweck-Mittel-Relation. Es kommt also nicht darauf an, ob das Mittel für sich gesehen erlaubt ist, noch ob der Zweck allein billigenswert ist, sondern auf das Verhältnis: Die Anwendung von Zwang oÄ ist umso tolerierbarer, je billigenswerter der verfolgte Zweck ist; je weniger billigenswert der Zweck, desto weniger ist Zwang oÄ sozial hinnehmbar. Einen solchen Zusammenhang gibt es bei der Sittenwidrigkeit nicht. Dort wird das Rechtsgeschäft "generell" geprüft. Hier kann ein verfolgter Zweck des einen Teils zwar in der Gesamtabwägung eine Rolle spielen, genauso möglich ist aber etwa bereits ein objektiv insgesamt sittenwidriger Inhalt des Rechtsgeschäfts, zB die Verpflichtung, die Konfession zu wechseln. Die Relation (ob also der Verpflichtete etwa eine Bezahlung oder sonst einen Vorteil erhält) spielt dann keine Rolle. Für die
Verwerflichkeit im Rahmen des § 240 II StGB muss man außerdem im Hinterkopf behalten, dass es um Individualschutz geht. Gerade deshalb muss die konkrete Zwangsintensität für das Opfer bei der Abwägung eine gewichtige Rolle spielen; "Fernziele" (zB Umweltschutz wie bei den "Klimaklebern") spielen in ihrer ethischen Wertigkeit und Bedeutung keine Rolle. Die Sittenwidrigkeit ist allgemeiner: Die konkrete Auswirkung auf den Geschäftspartner kann relevant sein, muss das aber nicht: Wenn ein System insgesamt zu missbilligen ist (zB im "Schenkkreis"-Fall, in dem ein Schneeballsystem vereinbart wurde, welches ausschließlich darauf angelegt ist, dass die ersten Mitglieder einen sicheren Gewinn erzielen, während die große Masse der späteren Teilnehmer ihren Einsatz verlieren), kann bereits deswegen Sittenwidrigkeit vorliegen. Hier sind also auch Dritte und die Allgemeinheit erfasst. Bei der
Verwerflichkeit im Rahmen der Nötigung gilt dagegen: Individualschutz. Daher bestehen also trotz ähnlicher "Wertungen" Unterschiede in der konkreten Prüfung bei
Verwerflichkeit und Sittenwidrigkeit. Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias @[Wendelin Neubert](409)