anbei vertiefend für Eure Karteikarten:
A. Was ist ein Glied?
- eA (eng): Als Glieder werden nur äußerliche Körperteile erfasst, die eine in sich abgeschlossene Existenz mit besonderer Funktion im Gesamtorganismus haben und mit dem Körper über ein Gelenk verbunden sind, also Arme, Beine, Finger, Füße, beispielsweise aber nicht der Unterkiefer
(Lackner/Kühl/Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, § 226 Rn. 3; Studienkommentar StGB/Joecks/Jäger, 13. Aufl. 2021, § 226 Rn. 13; RGSt 6, 346).
Kritik: Maßgeblich sei die Schwere der eingetretenen körperlichen Schädigung, nicht die formale Unterscheidung zwischen äußeren und inneren Organen (Otto Strafrecht BT, 7. Aufl. 2005, § 17 Rn. 6).
- aA (etwas weiter): Verzicht auf das Kriterium des Gelenks und Miteinbeziehung von etwa Nase und Ohrmuschel ein
(Eisele Strafrecht BT I, 4. Aufl. 2017, Rn. 349). Glieder sind also alle äußerlichen Körperteile.
Kritik: Der Verlust des Gehörs wird bereits von Nr. 1, der der Nase im Zweifel bereits von Nr. 3 erfasst (Studienkommentar StGB/Joecks/Jäger, § 226 Rn. 12).
- aA (noch weiter): Unter "Glieder" sind auch innere Organe, wie Niere, Leber etc. zu subsumieren
(Otto Strafrecht BT, § 17 Rn. 6*; Rengier* Strafrecht BT II, 21. Aufl. 2020, § 15 Rn. 9).
Kritik: Auch wenn der Verlust einen inneren Organs für den Betroffenen schwerwiegendere Folgen haben kann als der eines Fingers, verstößt ein derart weites Verständnis gegen den Wortlaut der Norm – zumal auch hier diverse Fälle von Nr. 1 und 3 erfasst werden, die insoweit abschließend sind
(BGHSt 28, 100; Satzger/Schluckebier/Momsen/Momsen-Pflanz, 5. Aufl. 2021, § 226 Rn. 11; Studienkommentar StGB/Joecks/Jäger, § 226 Rn. 11).
B. Wann ist ein Glied wichtig?
- eA (subjektiv-individuelle Sichtweise): Wichtigkeit eines Glieds nach der Individualität des Verletzten, insb. seinem ausgeübten Beruf zu bestimmen. Für einen Geiger bspw. stellen die vorderen Glieder der Finger wichtige Glieder im Sinne der Norm dar. Vor einer übermäßigen Belastung wird der Täter dadurch geschützt, dass sich sein
Vorsatz auch auf derartige individuelle Umstände beziehen muss
(Otto Strafrecht BT, § 17 Rn. 7; Lackner/Kühl/Kühl StGB, § 226 Rn. 3 m.w.N.).
Kritik: Den Beruf des Opfers in die Betrachtung miteinzubeziehen findet gesetzlich keine Grundlage, zumal das Gesetz gerade vom Verlust eines Glieds "des" Körpers und eben nicht von einem Glied "seines/ihres" Körpers spricht (Studienkommentar StGB/Joecks/Jäger, § 226 Rn. 15).
- aA (subjektiv-generelle Sichtweise): Es käme nicht auf die individuellen Verhältnisse des Verletzten an, sondern vielmehr auf die Frage, ob der Verlust für jeden durchschnittlichen Menschen zu einer Beeinträchtigung des gesamten Körpers führt
(RGSt 64, 201).
Kritik: Nur ein Abstellen auf die individuellen Umstände garantiert einen sachgerechten Opferschutz (Otto Strafrecht BT, § 17 Rn. 6).
- h.M. in Rspr. und Lit.: Berücksichtigung der individuellen Körpereigenschaften, nicht aber die außerhalb davon liegenden Aspekte, wie den Beruf des Opfers. Zu berücksichtigen sind damit lediglich Umstände wie Links- oder Rechtshändigkeit sowie dauerhafte Vorschädigungen
(Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben StGB, 30. Aufl. 2019, § 226 Rn. 2; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Momsen/Momsen-Pflanz, § 226 Rn. 12; BGHSt 51, 255).
Quelle: https://strafrecht-online.org/problemfelder/bt/226/obj-tb/wichtiges-glied/