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Jurafuchs

V handelt mit OP-Masken. Sie verkauft Krankenhausbetreiberin K 100.000 Masken für €0,10/Stück. V selbst kauft die Masken für €0,05/Stück ein. Plötzlich setzt die Corona-Pandemie ein und der Einkaufspreis steigt auf €0,30 an. V will K die Masken nun nicht mehr liefern.

Einordnung des Falls

Leistungserschwerung II - Abgrenzung zu § 275 Abs. 2 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Einkaufspreis für V ist sechsmal teurer geworden. Ihre Pflicht zu liefern ist deshalb aufgrund von Unmöglichkeit ausgeschlossen (§ 275 Abs. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Unmöglichkeit liegt vor, wenn der Leistungspflicht ein dauerhaftes und unüberwindbares Hindernis entgegensteht. Auch wenn die Masken teurer geworden sind, stehen sie weiterhin auf dem Markt zur Verfügung. Ein unüberwindbares Leistungshindernis liegt damit weder objektiv, noch subjektiv vor.

2. V kann die Übergabe und Übereignung der OP-Masken wegen unverhältnismäßigen Aufwandes verweigern (§ 275 Abs. 2 BGB).

Nein!

Ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 BGB setzt ein grobes Missverhältnis zwischen Aufwand des Schuldners und dem Leistungsinteresse des Gläubigers voraus. Die Leistung darf von keinem Gläubiger ernsthaft verlangt werden können. Unberücksichtigt bleibt dabei, inwieweit sich das Geschäft für den Schuldner lohnt ((wirtschaftliche Unmöglichkeit)).Würde K die Masken nun anderweitig besorgen, müsste sie auch den höheren Einkaufspreis zahlen. Ks Interesse an dem Erhalt der Masken (€30.000), steht damit nicht in einem groben Missverhältnis zu dem Aufwand, den V für die Beschaffung der Masken (€ 30.000) betreiben müsste.

3. V ist berechtigt, eine Vertragsanpassung zu fordern, sofern die Voraussetzungen der Störung der Geschäftsgrundlage vorliegen (§ 313 BGB).

Genau, so ist das!

Eine Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass (1) sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss verändert haben (reales Element). (2) Die Änderung muss so schwerwiegend sein, dass die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten (hypothetisches Element). (3) Schließlich muss einem Teil das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zumutbar sein (normatives Element).Bei Dauerschuldverhältnissen kommt neben der Vertragsanpassung auch die Kündigung in Betracht (§ 313 Abs. 3 S. 2 BGB).

4. Die Stabilität der Einkaufspreise ist Geschäftsgrundlage des Vertrags.

Ja, in der Tat!

Geschäftsgrundlage ist bei gegenseitigen Verträgen in der Regel die Vorstellung von der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung.Da der Einkaufspreis sich auf die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung auswirkt, ist er Teil der Geschäftsgrundlage.a.A vertretbar, insbesondere mit dem Argument, dass der Einkaufspreis allein in die Risikosphäre der V fällt.

5. Die Geschäftsgrundlage hat sich schwerwiegend geändert.

Ja!

Eine Änderung der Umstände (reales Element) ist schwerwiegend, wenn die Parteien den Vertrag nicht oder anders geschlossen, hätten sie die Änderung vorausgesehen (hypothethisches Element).V und K hatten bei Vertragsschluss die Corona-Pandemie und den erhöhten Bedarf an Masken nicht vorhergesehen. Im Hinblick auf die Verteuerung des Einkaufspreises um 500% hätten sie ansonsten eine entsprechende vertragliche Regelung getroffen.

6. Das Festhalten am Vertrag ist für V unzumutbar.

Genau, so ist das!

Unzumutbar ist das Festhalten, wenn ansonsten untragbare, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarer Folgen drohen. Bei der Bewertung der Rechtsfolgen kommt der vertraglichen Risikoverteilung besondere Bedeutung zu. § 313 BGB ist nicht anwendbar, wenn sich durch die Störung vordringlich ein Risiko verwirklicht, das eine Partei zu tragen hat.Zwar hatte sich V zur Beschaffung der Masken verpflichtet und trägt damit grundsätzlich auch das Risiko von Preissteigerungen. Die Preissteigerung von über 500% überschreitet indes den Risikobereich der V, weshalb sie zumindest eine Anpassung verlangen kann.Auch hier ist mit entsprechender Argumentation ein anderes Ergebnis vertretbar.

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Helena

Helena

9.2.2022, 10:13:07

Der unterschied zwischen diesem Fall, und dem Fall mit dem Benzin ist also, dass die Preissteigerung hier prozentual deutlich höher ist? Ab wie viel Prozent Preissteigerung kann man denn dann eine Anwendung des §313 BGB annehmen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

10.2.2022, 17:25:07

Hallo Helena, die Schwierigkeit bei § 313 BGB besteht darin, dass es sich hierbei wirklich um eine Ausnahmevorschrift handelt. Pauschale Aussagen, ab welcher Preissteigerung man von einer Störung der Geschäftsgrundlage sprechen kann, verbieten sich insofern. Die Anwendung ist - mal wieder - insofern stark einzelfallabhängig. Ausschlaggebend ist maßgeblich die (ggfs. auszulegende) Risikoverteilung in einem Vertrag. Dabei ist natürlich der Umfanng der Preissteigerungen auf jeden Fall ein maßgeblicher Faktor. Genauso spielt aber auch mit rein, inwieweit es für die Parteien vorhersehbar ist, dass es hier zu Preisschwankungen kommt oder welche Laufzeit die Verpflichtung hat. Im vorliegenden Fall sprechen a) die Höhe der Preissteigerung und b) der Umstand, dass diese völlig unerwartet und unvorhersehbar kam im Ergebnis wohl für eine Vertragsanpassung. Beim Benzinfall dagegen war aufgrund des geringeren Preisunterschiedes, der Vorhersehbarkeit der Schwankung und der begrenzten Laufzeitdauer die Anwendung des § 313 BGB nach der vertraglichen Risikoverteilung abzulehnen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

11.3.2024, 08:00:59

Wie lautet der richtige Obersatz für den Einstieg in die Prüfung des § 313 BGB? Über die Art der Rechtsfolge (Anpassung, Rücktritt oder Kündigung) wird ja erst innerhalb der Prüfung entschieden.

paulmachtexamen

paulmachtexamen

12.3.2024, 15:52:42

Professorin Dauner-Lieb sagt immer, dass man schon in den OS das nehmen kann, was im Ergebnis als RF steht. Das sei methodisch zwar falsch, würde aber seit neuerer Zeit anerkannt. Wäre also zB ein DauerSchuldVerh gegeben, dass nach 313 beendet werden soll, dann könnte man direkt (nur) das KündigungsR nach 313 III 2 in den OS nehmen und die anderen Möglichkeiten außen vor lassen. Dass sei deshalb methodisch unsauber, weil man ja erst durch den Gutachtenstil prüft, was überhaupt in Betracht kommt. Du kannst also theoretisch beides machen denke ich. ✌🏻


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