Verwendungszweckstörung - Krönungszugsfall

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V vermietet M den Zugang zu seinem Balkon am Rosenmontag für €150. M will von dort den Düsseldorfer Karnevalsumzug und das Prinzenpaar beobachten. Gesundheitsminister L verbietet den Umzug wegen der Corona-Pandemie. M möchte die Miete nun nicht mehr zahlen.

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Einordnung des Falls

Verwendungszweckstörung - Krönungszugsfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. War M ursprünglich zur Mietzahlung verpflichtet?

Ja, in der Tat!

Gemäß § 535 Abs. 2 BGB ist der Mieter verpflichtet, dem Vermieter die vereinbarte Miete zu entrichten.M und V haben einen Mietvertrag über die Überlassung des Balkons für die Zeit des Umzuges geschlossen. M war somit verpflichtet, den vereinbarten Mietzins zu zahlen.
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2. Kann M den geschlossenen Mietvertrag nach § 119 Abs. 2 BGB anfechten, weil der Umzug nicht stattfinden wird?

Nein!

Der Eigenschaftsirrtum berechtigt zur Anfechtung, wenn der Erklärende über verkehrswesentliche Eigenschaften der Sache irrt. Eigenschaften einer Sache sind alle wertbildenden Faktoren. Sie sind verkehrswesentlich, wenn sie von der Verkehrsanschauung oder der Parteienabrede als wesentlich anzusehen sind. Die Durchführung des Umzuges ist keine Eigenschaft des vermieteten Balkons. Die Absage des Umzugs berechtigt insofern nicht zur Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB.

3. Ist der Mietpreis wegen des ausgefallenen Umzuges nach § 536 Abs. 1 BGB gemindert?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die geschuldete Miete mindert sich grundsätzlich automatisch, wenn während der Mietzeit ein Mangel der Mietsache auftritt, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder verringert (§ 536 Abs. 1 S. 1, 2 BGB).Der überlassene Balkon ist mangelfrei. Die Durchführung des Umzugs ist kein Bestandteil des abgeschlossenen Vertrages und somit besteht kein Minderungsrecht nach § 536 Abs. 1 BGB.§ 536 Abs. 1 BGB ist zudem erst nach Überlassung der Mietsache anwendbar.

4. Kann M vom Vertrag zurücktreten, wenn die Voraussetzungen der Störung der Geschäftsgrundlage vorliegen?

Ja, in der Tat!

Nach § 313 Abs. 1 BGB kann eine Partei die Anpassung des Vertrages verlangen, wenn (1) sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben (reales Element), (2) die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, (hypothetisches Element) und (3) einem Teil das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann (normatives Element). Ist die Anpassung nicht möglich oder nicht zumutbar, so kann die benachteiligte Partei stattdessen auch zurücktreten (§ 313 Abs. 3 S. 1 BGB).

5. Ist die Durchführung des Rosenmontagsumzugs Geschäftsgrundlage des Mietvertrages geworden?

Ja!

Geschäftsgrundlage sind nach h.M. die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsabschluss aber zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, auf denen der Geschäftswille der Parteien sich aufbaut.Allein die Durchführung des Umzuges rechtfertigt den hohen Preis für die Vermietung. Insofern setzten V und M den Umzug als Geschäftsgrundlage voraus.

6. Hätten die Parteien den Vertrag geschlossen, wenn sie von der Absage des Zuges gewusst hätten?

Nein, das ist nicht der Fall!

Das hypothetische Element ist erfüllt, wenn zumindest eine Partei den Vertrag nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen hätte, wenn sie die Veränderung der Umstände, welche zur Geschäftsgrundlage gehören, vorhergesehen hätte.M hatte den Balkon allein zu dem Zweck angemietet, den Umzug anzuschauen. Hätte M von der Absage des Umzuges gewusst, hätte sie nie den Vertrag geschlossen.

7. Ist es M zumutbar den vereinbarten Mietpreis zu zahlen?

Nein, das trifft nicht zu!

Unzumutbar ist das Festhalten, wenn ansonsten untragbare, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarer Folgen drohen. Bei der Bewertung der Rechtsfolgen kommt der vertraglichen Risikoverteilung besondere Bedeutung zu. § 313 BGB ist nicht anwendbar, wenn sich durch die Störung vordringlich ein Risiko verwirklicht, das eine Partei zu tragen hat.Grundsätzlich trägt der Mieter das Risiko der Nutzbarkeit der Mietsache für seine Zwecke. V weiß aber nicht nur, dass M die Sache nur wegen des Umzuges gemietet hat. Er profitiert auch insoweit von dem Umzug, als er allein deswegen den hohen Preis verlangen kann. Somit trägt V das Risiko des Ausfall des Umzuges. M ist es unzumutbar den vereinbarten Mietpreis zu zahlen.

8. Kann M vom Vertrag zurücktreten?

Ja!

Ist bei Störung der Geschäftsgrundlage die Anpassung nicht möglich oder nicht zumutbar, so kann die benachteiligte Partei stattdessen auch zurücktreten (§ 313 Abs. 3 S. 1 BGB).Durch die Absage des Umzuges wurde die Anmietung des Balkons für M gänzlich wertlos, was einem Mietzins von Null entspräche. Da es V wiederum nicht zugemutet werden kann, M umsonst Zugang zu seinem Balkon zu gewähren, kommt hier allein der Rücktritt in Betracht.Dem steht auch der Regelungszweck des § 313 BGB nicht entgegen. Denn ohne den Umzug wäre der Vertrag ohnehin nie geschlossen worden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TO

TomTom1

6.2.2023, 09:45:47

Das führt ja dazu, dass V allein das Risiko trägt. Reines Bauchgefühl: Fair ist das nicht (vor allem weil es sich ja um

Luxusaufwendungen

handelt 😉)

Dogu

Dogu

25.5.2023, 16:46:50

Naja dafür hätte V für die eintägige Vermietung eines Balkons einen absurden Gewinn erzielt? Hohes Risiko, hoher Ertrag. Sehr fair wie ich finde.

Sambajamba10

Sambajamba10

11.6.2023, 20:16:57

Der gute Lauterbach😂

CR7

CR7

17.8.2023, 17:31:28

Muss man, wenn man in § 313 I BGB die Zumutbarkeit geprüft hat, für § 313 III BGB (also für den Rücktritt) erneut die Unzumutbarkeit der Anpassung prüfen?

LELEE

Leo Lee

19.8.2023, 11:20:17

Hallo AKF, genauso ist es! Bei § 313 III BGB prüfen wir nochmal die Unzumutbarkeit, diesmal jedoch im Verhältnis zur Vertragsanpassung (bei § 313 I BGB hatten wir die Unzumutbarkeit des FESTHALTENS am ursprünglichen Vertrag geprüft). Hierzu kann ich dir die Lektüre von MüKo-BGB, 8. Auflage, Finkenauer § 313 Rn. 81 empfehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

LEN

Lenny

1.9.2023, 09:13:08

Hi Jurafuchs-Team und -Community, mir fällt es allgemein schwer, eine Grenze zwischen dem (ggfs durch

ergänzende Vertragsauslegung

festgelegten) Inhalt des Vertrags und der Grundlage desselbigen zu ziehen. Hier hätte ich z.B. aufgrund des Mietgegenstands, des Mietpreises, der Dauer und Zeit gedacht, dass das Stattfinden der Parade Teil des Leistungsprogramms des Vermieters ist. Andererseits muss man bei der Auslegung des Vertrags ja auch vorsichtig im Hinblick auch die Vertragsfreiheit (insb. hier aus Perspektive des Vermieters) sein. Gibt es Indikatoren, die die Abgrenzung zwischen Vertragsinhalt- und Grundlage etwas erleichtern?

PK

P K

11.9.2023, 23:09:56

Ich würde mich in dem Fall an den Wortlaut von § 535 BGB halten. Der Vermieter schuldet die Gebrauchsgewährung. Nicht mehr und nicht weniger. Zu welchem Zweck die Gewährung erfolgt, ist für das Pflichtenprogramm und Leistungsstörungen im engeren Sinne unerheblich und daher über

§ 313 BGB

zu lösen. Du hast insofern einen Punkt als dass das Pflichtenprogramm immer der Disposition unterliegt. Man kann letztendlich alles als eine Auslegungsfrage sehen. In einem Seminar zu Rechtsfragen der Pandemie hat mein ehemaliger Prof. auch genau das so vertreten. Konsequenz ist allerdings, dass

§ 313 BGB

faktisch keinen Anwendungsbereich hat, weil es immer eine vorrangige vertragliche Regelung gibt, die man nur durch Auslegung ermitteln müsse. Im Ergebnis führt diese vermeintliche (!) Auslegung dann aber auch dazu, dass der Rechtsanwender - genauso wie bei § 313 - das macht, was er für gerecht hält. Man kann nicht alles ins letzte Detail auslegen, gerade wenn es keine ausdrückliche Regelung zu einem Umstand gibt, wie es häufig der Fall sein wird. Dann halte ich die Anwendung von § 313 aber für methodenehrlicher.

JUL

JuliaG.

20.11.2023, 12:05:48

Hallo, ich habe vielleicht eine etwas doofe Frage, oder stehe einfach auf dem Schlauch: Bei diesem Fall gab es eine Frage, ob der Mieter des Balkons vom Vertrag zurücktreten kann, wenn die

Störung der Geschäftsgrundlage

vorliegt. Die richtige Antwort ist hier: „Ja“. Allerdings berechtigt der 313 doch nicht zum Rücktritt? Rechtsfolge des 313 ist doch die Vertragsanpassung und nicht der Rücktritt vom Vertrag? Daher, wieso kommt man hier dazu, den Rücktritt zu bejahen?

BASA

Barbara Salesch

21.11.2023, 22:57:03

Das folgt aus § 313 III, der ein gesetzliches

Rücktrittsrecht

vorsieht, wenn eine Anpassung nicht möglich oder nicht zumutbar ist

LELEE

Leo Lee

25.11.2023, 15:00:39

Hallo JuliaG., überhaupt keine doofe Frage! In der Tat ist das

Rücktrittsrecht

etwas versteckt (was auch der Tatsache geschuldet ist, dass hier der Rücktritt das „letzte Mittel“ sein soll). Jedoch enthält auch § 313 – wie Barbara Salesch zutreffend erwähnt – im dritten Absatz ein

Rücktrittsrecht

(aber erst dann, wenn „alle Stricke reißen“). Hierzu kann ich vertiefend die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Finkenauer § 313 Rn. 110 ff. sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

QUIG

QuiGonTim

11.3.2024, 08:12:39

Inwiefern sind bei der Prüfung der Zumutbarkeit auch die Folgen der Vertragsanpassung bzw. des Rücktritts für die Parteien zu berücksichtigen? Es ist zwar im vorliegenden Fall nicht gegeben, aber inwiefern ist beispielsweise ein Risiko für die wirtschaftliche Existenz einer der Parteien in die Abwägung miteinzubeziehen?

Denislav Tersiski

Denislav Tersiski

30.3.2024, 09:04:11

Warum Rücktritt und nicht Kündigung (Miete als Dauerschuldverhältnis)? Weil noch nicht in Vollzug gesetzt?

Rechtsanwalt B. Trüger

Rechtsanwalt B. Trüger

15.5.2024, 11:03:20

Hier geht es ja nur um den Rosenmontag also um einen Tag. Demnach kann nicht von einem Dauerschuldverhältnis gesprochen werden

FÖB

Föbi

17.10.2024, 13:45:34

Es gilt doch, dass die Veränderung der Umstände nicht der Risikosphäre einer Partei zuzuordnen sein darf. Hier wird jetzt (1) angenommen, dass das Risiko des Ausfalls allein in die Sphäre von V falle, und (2) damit auch noch begründet, warum nun die VSS von 313 Abs. 1 erfüllt seien. Beides verstehe ich nicht. Das Risiko träfe doch wenn, dann M (Parade = Motiv für die Anmietung des Balkons), und wenn das Risiko den M treffen würde, dann wäre doch wiederum ein Rücktritt nach 313 I, III ausgeschlossen.

TI

Timurso

17.10.2024, 20:14:28

Wenn das Risiko M treffen würde, wäre ein Rücktritt ausgeschlossen, das ist richtig. Allerdings soll das Risiko nach dem Vertrag gerade nicht M treffen, da es sich nicht um einen "normalen" Mietvertrag handelt, sondern der Balkon speziell wegen des besonderen Anlasses zu einem besonders hohen Preis vermietet wird. Daher ist nach dem Inhalt des Vertrages eindeutig, dass V dieses Risiko trägt, was im Gegenzug den Preis rechtfertigt. Es wäre widersprüchlich von V, zu sagen, dass der Balkon wegen des Umzuges besonders teuer ist, aber der M das Risiko trägt, ob der Umzug überhaupt stattfindet.

FÖB

Föbi

17.10.2024, 21:24:18

Auch diese Argument verstehe ich nicht. (1) „

§ 313 BGB

ist nicht anwendbar, wenn sich durch die Störung vordringlich ein Risiko verwirklicht, das eine Partei zu tragen hat.“ In der Falllösung wird aber das Risiko V zugeschrieben. Warum ist dann 313 trotzdem anwendbar? Und (2) wieso sollte M das Risiko dafür tragen, dass der Umzug stattfindet? Der Umzug hat doch keinen Einfluss darauf, was er leisten muss, er schuldet die Gebrauchsüberlassung des Balkons. Ob M den Balkon nutzen kann wofür er ihn gemietet hat ist doch seine Sache, das ist für mich das gleiche wie der Sushi-Fall weiter vorne in den Aufgaben. Oder geht es um die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung, die nur besteht wenn der Umzug stattfindet?

TI

Timurso

18.10.2024, 06:59:01

1. Dieser Satz ist schlicht ungenau formuliert. Richtig wäre: "

§ 313 BGB

ist nicht anwendbar, wenn sich ein Risiko bei der Partei verwirklicht, die dieses nach dem Vertrag zu tragen hat". Hier verwirklicht sich das Risiko bei M, zu tragen hat es V. 2. Der Umzug hat keinen Einfluss darauf, was V leisten muss, das ist richtig. Allerdings wird er durch die Preisgestaltung deutlich zur Grundlage des Vertrages, V macht sich den Umzug sozusage zueigen. Daher kommt es hier ausnahmsweise zu einer Verschiebung der Risikoverteilung, die ansonsten hinsichtlich der Nutzung grundsätzlich den Mieter trifft.


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