Zivilrecht
Schuldrecht Allgemeiner Teil
Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB
Verwendungszweckstörung - Krönungszugsfall
Verwendungszweckstörung - Krönungszugsfall
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
V vermietet M den Zugang zu seinem Balkon am Rosenmontag für €150. M will von dort den Düsseldorfer Karnevalsumzug und das Prinzenpaar beobachten. Gesundheitsminister L verbietet den Umzug wegen der Corona-Pandemie. M möchte die Miete nun nicht mehr zahlen.
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Einordnung des Falls
Verwendungszweckstörung - Krönungszugsfall
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. War M ursprünglich zur Mietzahlung verpflichtet?
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Kann M den geschlossenen Mietvertrag nach § 119 Abs. 2 BGB anfechten, weil der Umzug nicht stattfinden wird?
Nein!
3. Ist der Mietpreis wegen des ausgefallenen Umzuges nach § 536 Abs. 1 BGB gemindert?
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Kann M vom Vertrag zurücktreten, wenn die Voraussetzungen der Störung der Geschäftsgrundlage vorliegen?
Ja, in der Tat!
5. Ist die Durchführung des Rosenmontagsumzugs Geschäftsgrundlage des Mietvertrages geworden?
Ja!
6. Hätten die Parteien den Vertrag geschlossen, wenn sie von der Absage des Zuges gewusst hätten?
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Ist es M zumutbar den vereinbarten Mietpreis zu zahlen?
Nein, das trifft nicht zu!
8. Kann M vom Vertrag zurücktreten?
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
TomTom1
6.2.2023, 09:45:47
Das führt ja dazu, dass V allein das Risiko trägt. Reines Bauchgefühl: Fair ist das nicht (vor allem weil es sich ja um
Luxusaufwendungenhandelt 😉)
Dogu
25.5.2023, 16:46:50
Naja dafür hätte V für die eintägige Vermietung eines Balkons einen absurden Gewinn erzielt? Hohes Risiko, hoher Ertrag. Sehr fair wie ich finde.
Sambajamba10
11.6.2023, 20:16:57
Der gute Lauterbach😂
CR7
17.8.2023, 17:31:28
Muss man, wenn man in § 313 I BGB die Zumutbarkeit geprüft hat, für § 313 III BGB (also für den Rücktritt) erneut die Unzumutbarkeit der Anpassung prüfen?
Leo Lee
19.8.2023, 11:20:17
Hallo AKF, genauso ist es! Bei § 313 III BGB prüfen wir nochmal die Unzumutbarkeit, diesmal jedoch im Verhältnis zur Vertragsanpassung (bei § 313 I BGB hatten wir die Unzumutbarkeit des FESTHALTENS am ursprünglichen Vertrag geprüft). Hierzu kann ich dir die Lektüre von MüKo-BGB, 8. Auflage, Finkenauer § 313 Rn. 81 empfehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo
Lenny
1.9.2023, 09:13:08
Hi Jurafuchs-Team und -Community, mir fällt es allgemein schwer, eine Grenze zwischen dem (ggfs durch
ergänzende Vertragsauslegungfestgelegten) Inhalt des Vertrags und der Grundlage desselbigen zu ziehen. Hier hätte ich z.B. aufgrund des Mietgegenstands, des Mietpreises, der Dauer und Zeit gedacht, dass das Stattfinden der Parade Teil des Leistungsprogramms des Vermieters ist. Andererseits muss man bei der Auslegung des Vertrags ja auch vorsichtig im Hinblick auch die Vertragsfreiheit (insb. hier aus Perspektive des Vermieters) sein. Gibt es Indikatoren, die die Abgrenzung zwischen Vertragsinhalt- und Grundlage etwas erleichtern?
P K
11.9.2023, 23:09:56
Ich würde mich in dem Fall an den Wortlaut von § 535 BGB halten. Der Vermieter schuldet die Gebrauchsgewährung. Nicht mehr und nicht weniger. Zu welchem Zweck die Gewährung erfolgt, ist für das Pflichtenprogramm und Leistungsstörungen im engeren Sinne unerheblich und daher über
§ 313 BGBzu lösen. Du hast insofern einen Punkt als dass das Pflichtenprogramm immer der Disposition unterliegt. Man kann letztendlich alles als eine Auslegungsfrage sehen. In einem Seminar zu Rechtsfragen der Pandemie hat mein ehemaliger Prof. auch genau das so vertreten. Konsequenz ist allerdings, dass
§ 313 BGBfaktisch keinen Anwendungsbereich hat, weil es immer eine vorrangige vertragliche Regelung gibt, die man nur durch Auslegung ermitteln müsse. Im Ergebnis führt diese vermeintliche (!) Auslegung dann aber auch dazu, dass der Rechtsanwender - genauso wie bei § 313 - das macht, was er für gerecht hält. Man kann nicht alles ins letzte Detail auslegen, gerade wenn es keine ausdrückliche Regelung zu einem Umstand gibt, wie es häufig der Fall sein wird. Dann halte ich die Anwendung von § 313 aber für methodenehrlicher.
JuliaG.
20.11.2023, 12:05:48
Hallo, ich habe vielleicht eine etwas doofe Frage, oder stehe einfach auf dem Schlauch: Bei diesem Fall gab es eine Frage, ob der Mieter des Balkons vom Vertrag zurücktreten kann, wenn die
Störung der Geschäftsgrundlagevorliegt. Die richtige Antwort ist hier: „Ja“. Allerdings berechtigt der 313 doch nicht zum Rücktritt? Rechtsfolge des 313 ist doch die Vertragsanpassung und nicht der Rücktritt vom Vertrag? Daher, wieso kommt man hier dazu, den Rücktritt zu bejahen?
Barbara Salesch
21.11.2023, 22:57:03
Das folgt aus § 313 III, der ein gesetzliches
Rücktrittsrechtvorsieht, wenn eine Anpassung nicht möglich oder nicht zumutbar ist
Leo Lee
25.11.2023, 15:00:39
Hallo JuliaG., überhaupt keine doofe Frage! In der Tat ist das
Rücktrittsrechtetwas versteckt (was auch der Tatsache geschuldet ist, dass hier der Rücktritt das „letzte Mittel“ sein soll). Jedoch enthält auch § 313 – wie Barbara Salesch zutreffend erwähnt – im dritten Absatz ein
Rücktrittsrecht(aber erst dann, wenn „alle Stricke reißen“). Hierzu kann ich vertiefend die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Finkenauer § 313 Rn. 110 ff. sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
QuiGonTim
11.3.2024, 08:12:39
Inwiefern sind bei der Prüfung der Zumutbarkeit auch die Folgen der Vertragsanpassung bzw. des Rücktritts für die Parteien zu berücksichtigen? Es ist zwar im vorliegenden Fall nicht gegeben, aber inwiefern ist beispielsweise ein Risiko für die wirtschaftliche Existenz einer der Parteien in die Abwägung miteinzubeziehen?
Denislav Tersiski
30.3.2024, 09:04:11
Warum Rücktritt und nicht Kündigung (Miete als Dauerschuldverhältnis)? Weil noch nicht in Vollzug gesetzt?
Rechtsanwalt B. Trüger
15.5.2024, 11:03:20
Hier geht es ja nur um den Rosenmontag also um einen Tag. Demnach kann nicht von einem Dauerschuldverhältnis gesprochen werden
Föbi
17.10.2024, 13:45:34
Es gilt doch, dass die Veränderung der Umstände nicht der Risikosphäre einer Partei zuzuordnen sein darf. Hier wird jetzt (1) angenommen, dass das Risiko des Ausfalls allein in die Sphäre von V falle, und (2) damit auch noch begründet, warum nun die VSS von 313 Abs. 1 erfüllt seien. Beides verstehe ich nicht. Das Risiko träfe doch wenn, dann M (Parade = Motiv für die Anmietung des Balkons), und wenn das Risiko den M treffen würde, dann wäre doch wiederum ein Rücktritt nach 313 I, III ausgeschlossen.
Timurso
17.10.2024, 20:14:28
Wenn das Risiko M treffen würde, wäre ein Rücktritt ausgeschlossen, das ist richtig. Allerdings soll das Risiko nach dem Vertrag gerade nicht M treffen, da es sich nicht um einen "normalen" Mietvertrag handelt, sondern der Balkon speziell wegen des besonderen Anlasses zu einem besonders hohen Preis vermietet wird. Daher ist nach dem Inhalt des Vertrages eindeutig, dass V dieses Risiko trägt, was im Gegenzug den Preis rechtfertigt. Es wäre widersprüchlich von V, zu sagen, dass der Balkon wegen des Umzuges besonders teuer ist, aber der M das Risiko trägt, ob der Umzug überhaupt stattfindet.
Föbi
17.10.2024, 21:24:18
Auch diese Argument verstehe ich nicht. (1) „
§ 313 BGBist nicht anwendbar, wenn sich durch die Störung vordringlich ein Risiko verwirklicht, das eine Partei zu tragen hat.“ In der Falllösung wird aber das Risiko V zugeschrieben. Warum ist dann 313 trotzdem anwendbar? Und (2) wieso sollte M das Risiko dafür tragen, dass der Umzug stattfindet? Der Umzug hat doch keinen Einfluss darauf, was er leisten muss, er schuldet die Gebrauchsüberlassung des Balkons. Ob M den Balkon nutzen kann wofür er ihn gemietet hat ist doch seine Sache, das ist für mich das gleiche wie der Sushi-Fall weiter vorne in den Aufgaben. Oder geht es um die Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung, die nur besteht wenn der Umzug stattfindet?
Timurso
18.10.2024, 06:59:01
1. Dieser Satz ist schlicht ungenau formuliert. Richtig wäre: "
§ 313 BGBist nicht anwendbar, wenn sich ein Risiko bei der Partei verwirklicht, die dieses nach dem Vertrag zu tragen hat". Hier verwirklicht sich das Risiko bei M, zu tragen hat es V. 2. Der Umzug hat keinen Einfluss darauf, was V leisten muss, das ist richtig. Allerdings wird er durch die Preisgestaltung deutlich zur Grundlage des Vertrages, V macht sich den Umzug sozusage zueigen. Daher kommt es hier ausnahmsweise zu einer Verschiebung der Risikoverteilung, die ansonsten hinsichtlich der Nutzung grundsätzlich den Mieter trifft.