Rechtswidrige begünstigende Leistungsverwaltungsakte dürfen gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG unter bestimmten Voraussetzungen nicht zurückgenommen werden. Wie prüfst Du das Vorliegen dieser Voraussetzungen?

  1. Anwendbarkeit des § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG

    Zunächst muss man prüfen, ob ein Verwaltungsakt im Sinne des § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG vorliegt. Dies ist nur der Fall, wenn der Verwaltungsakt (1) eine einmalige Geldleistung gewährt, (2) eine laufende Geldleistung gewährt, oder (3) eine teilbare Sachleistung gewährt oder (4) Voraussetzung hierfür ist (sog. Leistungsbescheide).

  2. Tatsächliches Vertrauen, § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG

    Bevor man sich der Frage widmen kann, ob der Begünstigte schutzwürdiges Vertrauen hatte, muss man zunächst feststellen, ob der Begünstigte überhaupt auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat (§ 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG). Im Normalfall - also wenn im Sachverhalt nichts Gegenteiliges angelegt ist - ist davon auszugehen, dass der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat. Etwas anderes gilt z.B., wenn er noch gar keine Kenntnis vom Verwaltungsakt hatte oder erklärt hatte, dass ihm ein Betrag, der eine bestimmte Summe überschreitet, nicht zustehe und er insoweit mit der Rückforderung rechne.

  3. Schutzwürdigkeit des Vertrauens, § 48 Abs. 2 S. 1 und 2 VwVfG

    Hat man festgestellt, dass der Begünstigte tatsächlich auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat, muss man im nächsten Schritt abwägen, ob dieses Vertrauen auch schutzwürdig ist und das öffentlichen Interesse an der Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts überwiegt. Nur wenn und soweit das Vertrauen des Begünstigten nicht schutzwürdig ist, besteht eine Befugnis der Behörde, den Verwaltungsakt zurückzunehmen.

    1. Kein Ausschlusstatbestand, § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1-3 VwVfG

      Zunächst muss man prüfen, ob einer (oder mehrere) der Ausschlussgründe von § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1-3 VwVfG einschlägig ist. Die Vorschrift bestimmt ausnahmslos und ohne Wertungsmöglichkeit, dass sich der Begünstigte in drei Fällen nicht auf Vertrauen berufen kann: Er hat den Verwaltungsakt durch (1) arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung (Nr. 1) oder (2) durch Angaben, die im wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (Nr. 2) erwirkt. Auf Verschulden kommt es hier nicht an. Der Begünstigte kann sich auch nicht auf Vertrauen berufen, wenn er (3) Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts hatte (Nr. 3).

    2. Abwägung Vertrauensschutz gegen öffentliches Interesse

      Liegt kein Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1-3 VwVfG vor, so ist nun gemäß § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG abzuwägen, ob der Vertrauensschutz das öffentliche Interesse an der Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts überwiegt. Nach § 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG ist das Vertrauen des Begünstigten in den Fortbestand des Verwaltungsakts in der Regel schutzwürdig und überwiegt damit, soweit der Begünstigte die gewährten Leistungen verbraucht hat oder Vermögensdispositionen getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Vermutungsregel). Greift § 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG nicht, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Rücknahmeinteresse, weil die Rücknahme den Begünstigten dann nicht unzumutbar belastet.

  4. Rücknahmeermessen, § 48 Abs. 1, Abs. 2 VwVfG

    Auch wenn das Vertrauen des Begünstigten in den Fortbestand des Verwaltungsakts nicht schutzwürdig ist und damit eine Rücknahmebefugnis besteht, muss die Behörde den Verwaltungsakt nicht zurücknehmen. Die Behörde hat Ermessen (§ 48 Abs. 1, Abs. 2 VwVfG: "kann", "darf"). In den Fällen des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG ist das Ermessen eingeschränkt, der Verwaltungsakt muss in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Aber auch in den anderen Fällen nicht schutzwürdigen Vertrauens sollte die Behörde in der Regel den rechtswidrigen Verwaltungsakt zurücknehmen (intendiertes Ermessen).

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