Verzug bei Bestehen eines Zurückbehaltungsrechts

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Stammkundin S kauft bei V einen Habersack. V liefert nicht. S mahnt V am 15.3. V erwidert am Folgetag, S solle erstmal ihre übrigen offenen Rechnungen bezahlen. S zahlt und V liefert am 31.3. Da S bereits am 20.3 einen Habersack mieten musste, verlangt sie Ersatz der Mietkosten.

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Einordnung des Falls

Verzug bei Bestehen eines Zurückbehaltungsrechts

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S könnte gegen V einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung haben (§§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB).

Genau, so ist das!

Ein Schadensersatzanspruch wegen verzögerter Leistung (§§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB) besteht, sofern (1) ein Schuldverhältnis vorliegt, (2) der Schuldner sich im Schuldnerverzug befindet (§ 286 BGB) und (3) ein Schaden des Gläubigers besteht.
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2. Zwischen S und V besteht ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis in Form eines Kaufvertrages (§ 433 BGB).

Ja, in der Tat!

Zur Begründung eines rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses ist grundsätzlich ein Vertrag zwischen den Beteiligten notwendig (§ 311 Abs. 1 BGB). S und V haben einen Kaufvertrag über den Habersack geschlossen (§ 433 BGB).

3. V müsste sich im Schuldnerverzug befinden.

Ja!

Schadensersatz wegen verzögerter Leistung setzt Schuldnerverzug voraus (§ 280 Abs. 2 BGB). Der Schuldner gerät in Verzug, wenn er zu einem Zeitpunkt nicht erfüllt, in dem (a) die Forderung wirksam, durchsetzbar und fällig ist, (b)angemahnt (sofern eine Mahnung nicht entbehrlich ist (§ 286 Abs. 2 BGB)) und (c)noch möglich (nachholbar) ist und (d)er die Verzögerung zu vertreten hat (§ 286 Abs. 4 BGB). Bei Entgeltforderungen tritt der Verzug zudem auch ohne Mahnung spätestens 30 Tage nach Rechnungsstellung ein (§ 286 Abs. 3 BGB).

4. S' Forderung war fällig und wirksam

Genau, so ist das!

Ist eine Zeit für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen, so kann der Gläubiger die Leistung sofort verlangen (§ 271 Abs. 1 BGB). S' Kaufvertrag mit V ist wirksam und begründet einen Anspruch auf Lieferung des Habersack (§ 433 Abs. 1 BGB). Da eine Leistungszeit nicht vereinbart war, war die Lieferung sofort (unter Berücksichtigung einer angemessenen Lieferzeit) fällig (§ 271 BGB).

5. Der Schuldnerverzug ist grundsätzlich ausgeschlossen, solange die Forderung des Gläubigers mit einer Einrede behaftet ist.

Ja, in der Tat!

Der Schuldner einer einredebehafteten Forderung kommt grundsätzlich nicht in Verzug, weil und solange die Einrede als Gegenrecht die Durchsetzung des Anspruchs dauernd oder vorübergehend hindert und dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht zubilligt.

6. V stand wegen S' unbezahlten Rechnungen eine Einrede in Form eines Zurückbehaltungsrechtes (§ 273 Abs. 1 BGB) zu.

Ja!

Besitzt der Schuldner aus demselben rechtlichen Verhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger, so kann er grundsätzlich die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird (§ 273 Abs. 1 BGB). Dasselbe rechtliche Verhältnis liegt beispielsweise beim Abschluss von Verträgen mit vergleichbaren Leistungsinhalten vor. S ist Stammkundin bei V. Die offenen Rechnungen stammen insoweit aus demselben rechtlichen Verhältnis.

7. Da V ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 Abs. 1 BGB) zustand, konnte er nicht in Schuldnerverzug geraten.

Nein, das ist nicht der Fall!

Im Unterschied zu anderen Einreden ist bei dem Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB der Verzugseintritt nur ausgeschlossen, wenn es vor oder bei Eintritt der Verzugsvoraussetzungen ausgeübt wird. Die bloße Nichtlieferung der Ware stellt noch nicht die Erhebung des Zurückbehaltungsrechts dar. Damit trat durch die Mahnung am 15.3 Schuldnerverzug ein. Diese Besonderheit bei § 273 Abs. 1 BGB ergibt sich daraus, dass andernfalls die Abwendungsbefugnis des Gläubigers (§ 273 Abs. 3 BGB) unterlaufen würde.

8. Zum Zeitpunkt als S sich einen Gesetzessammlung mietete (20.3), befand sich V im Schuldnerverzug.

Ja, in der Tat!

Beruft der Schuldner sich auf das ihm zustehende Zurückbehaltungsrecht erst nach Eintritt des Verzugs, wird der bereits eingetretene Verzug nicht beseitigt. Er endet vielmehr - wie sonst auch - erst mit dem Bewirken bzw. Anbieten der geschuldeten Leistung. V hat sich nicht schon bei Zugang der Mahnung, sondern erst am Folgetag auf ihr Zurückbehaltungsrecht verwiesen. Damit endete der Schuldnerverzug erst durch ihre Lieferung des Habersack (31.3).

9. V hat den Verzug auch zu vertreten gehabt (§ 286 Abs. 4 BGB).

Ja!

Der Schuldner hat grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten (§ 276 Abs. 1 BGB). Es wird widerleglich vermutet, dass der Schuldner den Verzug (=Nichtleistung nach Mahnung) zu vertreten hat (§ 286 Abs. 4 BGB). Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass V die Vermutung widerlegen kann, dass sie die Nichtleistung im Anschluss an die Mahnung zu vertreten hatte. Beachte, dass die allgemeine Verschuldensvermutung (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB) beim Schuldnerverzug modifiziert ist (§ 286 Abs. 4 BGB). Abzustellen ist insofern nicht auf die erste Pflichtverletzung (hier: anfängliche Nichtleistung am 1.3), sondern auf die Nichtleistung bei Eintritt des Schuldnerverzuges (hier: 15.3).

10. S kann für die entstandenen Mietkosten Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung fordern (§§ 280 Abs. 1, 2, 286).

Genau, so ist das!

Ein Schadensersatzanspruch wegen verzögerter Leistung (§§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB) besteht, sofern (1) ein Schuldverhältnis vorliegt, (2) der Schuldner sich im Schuldnerverzug befindet (§ 286 BGB) und (3) ein Schaden des Gläubigers besteht. Ein wirksamer Kaufvertrag liegt vor. Durch die Mahnung am 15.3 ist V in den Schuldnerverzug geraten. Ein Schaden der K besteht in Form der entstandenen Mietkosten (§ 251 S. 1 BGB).
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