Zivilrecht

Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA)

Die echte GoA – Sonderfälle

Öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Geschäftsführers/Verwaltungsträger als Geschäftsführer – Tatbestand des § 677 BGB erfüllt?

Öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Geschäftsführers/Verwaltungsträger als Geschäftsführer – Tatbestand des § 677 BGB erfüllt?

31. Mai 2025

11 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

Durch Funkenflug verursacht eine Bahn auf der Strecke zwischen Kassel und Frankfurt einen Waldbrand. Die Gemeinde G lässt den Brand durch ihre Freiwillige Feuerwehr löschen. G verlangt von der Deutschen Bahn B Ersatz der Löschkosten.

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Einordnung des Falls

Öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Geschäftsführers/Verwaltungsträger als Geschäftsführer – Tatbestand des § 677 BGB erfüllt?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem G den Brand gelöscht hat, hat sie „ein Geschäft besorgt“ (§ 677 BGB).

Ja!

Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) liegt vor, wenn jemand (der Geschäftsführer) ein Geschäft für einen anderen (den Geschäftsherrn) besorgt, ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein. Geschäftsbesorgung ist hier wie im Auftragsrecht (§ 662 BGB) weit zu verstehen und umfasst jede tatsächliche oder rechtsgeschäftliche Tätigkeit, auch von kurzer Dauer. Mit der Brandbekämpfung ist G tatsächlich tätig geworden und hat ein Geschäft besorgt. G müsste das Geschäft auch „für einen anderen” vorgenommen haben.
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2. Hat G also durch die Brandlöschung ein subjektiv fremdes Geschäft besorgt, mit der Folge, dass der Fremdgeschäftsführungswille positiv festgestellt werden muss?

Nein, das ist nicht der Fall!

Unter subjektiv fremde Geschäfte fallen Tätigkeiten, die nicht nach außen als fremdes erkennbar sind, weil man ihnen nicht ansehen kann, dass im Interessenkreis eines Dritten gehandelt wird. Man spricht auch von objektiv eigenen bzw. neutralen Geschäften. Hier muss der Fremdgeschäftsführungswille positiv festgestellt werden. Seiner äußeren Erscheinung nach kam die Brandbekämpfung nicht nur G, sondern als Hilfeleistung für Dritte allen zugute, die durch die ungehinderte Ausbreitung des Feuers Schaden erleiden konnten. Hierzu gehörte objektiv erkennbar auch die Bahn, die als Brandverursacher für den Schaden haftete und an dessen Verringerung interessiert sein musste. G hat demnach kein subjektiv fremdes Geschäft besorgt.

3. Vielmehr hat G durch die Brandlöschung ein „auch-fremdes Geschäft“ besorgt, sodass der Fremdgeschäftsführungswille nach dem BGH vermutet wird.

Ja, in der Tat!

Unter „auch-fremde“ Geschäfte fallen Tätigkeiten, die ihrer äußeren Erscheinung nach nicht nur in den Interessenkreis des Geschäftsführers fallen, sondern auch einem Dritten zugute kommen (Handeln im Doppelinteresse). Es liegt zugleich ein eigenes und ein fremdes Geschäft vor. Der Fremdgeschäftsführungswille wird nach der Rspr. – wie beim objektiv fremden Geschäft – auch beim auch-fremden Geschäft widerlegbar vermutet, insbesondere wenn das Interesse des Anderen an der Vornahme der Handlung im Vordergrund steht. Nach der h.L. fehlt es hier am Fremdgeschäftsführungswillen, da es dem kraft öffentlichen Rechts verpflichteten Geschäftsführers vorrangig um die Erfüllung seiner öffentlich-rechtlichen Pflichten gehe und er sich von vornherein nicht dem Willen der begünstigten Person unterordnen wolle. Die Brandbekämpfung durch die Feuerwehr der G gleichermaßen in Gs als auch in Bs Interesse als Brandverursacher und ist somit ein „auch-fremdes“ Geschäft. Der Fremdgeschäftsführungswille wird nach dem BGH vermutet.

4. Da zwischen G und B keinerlei rechtliche Beziehung besteht, handelte G auch „ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung“ (§ 677 BGB). Liegen daher die tatbestandlichen Voraussetzungen der GoA (§ 677 BGB) vor?

Ja!

Eine Geschäftsführung ohne Auftrag liegt gemäß § 677 BGB vor, wenn jemand (der Geschäftsführer) ein Geschäft für einen anderen (den Geschäftsherrn) besorgt, ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein. G hat hier ein Geschäft – zumindest auch – für einen anderen (die B) besorgt. Dabei wird der Fremdgeschäftsführungswille (nach dem BGH) widerleglich vermutet. Auch lag der Geschäftsführung kein Auftrag oder sonstige Berechtigung zugrunde. Somit sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der GoA (§ 677 BGB) grundsätzlich gegeben. Achtung: Ob G aber nun aus den Vorschriften der GoA tatsächlich Ersatz der Löschkosten von B verlangen kann, schauen wir uns im nächsten Fall an!

5. Ob G das Geschäft „für einen anderen“ vorgenommen hat, hängt davon ab, wem die Brandbekämpfung zuzuordnen ist. Hat G als Gemeinde eine öffentlich-rechtliche Pflicht zur Gefahrenabwehr?

Genau, so ist das!

Einer Gemeinde obliegt die öffentlich-rechtliche Pflicht der Gefahrenabwehr. Dazu zählt insbesondere auch die Brandbekämpfung. G war demnach als Gemeinde zum Löschen des Brandes kraft öffentlichen Rechts verpflichtet. Es handelt sich bei G letztlich um einen pflichtengebundenen Geschäftsführer (wie im vorherigen Kapitel). Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Pflichten nicht aus einem Vertrag mit Dritten resultieren, sondern aus eigenen öffentlich-rechtlichen Pflichten entstehen.

6. Hat G, indem sie den Brand gelöscht hat, ein objektiv fremdes Geschäft besorgt, sodass der Fremdgeschäftsführungswille vermutet wird?

Nein, das trifft nicht zu!

Unter objektiv fremde Geschäfte fallen Tätigkeiten, die schon ihrem äußeren Erscheinungsbild nach, d.h. nach objektiven Kriterien in einen anderen Rechts- und Interessenkreis fallen (zB Hilfeleistungen, Gefahrabwendung und Zahlung fremder Schulden). G hat mit der Brandbekämpfung in Erfüllung der ihr als Gemeinde obliegenden öffentlich-rechtlichen Pflicht der Gefahrenabwehr gehandelt und daher – zumindest auch – ein eigenes Geschäft geführt. Ihr Handeln fiel äußerlich erkennbar daher jedenfalls auch in den eigenen Rechts- und Interessenkreis der G. Bevor Du den Fremdgeschätsführungswillen prüfst, solltest Du immer kurz feststellen, ob es sich um ein objektiv fremdes, subjektiv fremdes oder auch-fremdes Geschäft handelt. Denn diese Unterscheidung ist entscheidend für den Maßstab, den Du bei der Bestimmung des Fremdgeschäftsführungswillen anlegen musst.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

GEAS

Geasoph

23.10.2021, 21:40:53

Muss der Streit beim „auch-

fremd

en“ Geschäft angeführt werden?

VIC

Victor

24.10.2021, 12:02:21

Was m

einst du genau? Das hier ist doch gerade ein Beispiel für das „auch-

fremd

e“ Geschäft.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.10.2021, 11:32:47

Hallo Geasoph, ich vermute mal, du meintest, ob man in der Klausur den Streit darstellen muss oder einfach sagen kann, dass auch beim "auch-

fremd

en" Geschäft, der

Fremdgeschäftsführungswille

n vermutet wird. Grundsätzlich würde ich eine Darstellung zumindest in den "pathologischen Fällen" den Streit erwähnen, zB 1)

Erfüllung

in öffentlicher Dienstpflicht (der Fall hier), 2) Aufwendungen im Hinblick auf zukünftigen Vertragsschluss (

Erbensucherfall

), 3) eigene Verpflichtung des Auftragnehmers ggü. einem Dritten; 4) der nichtige Vertrag; 5)

Selbstaufopferung im Straßenverkehr

(im Einzelnen zB: Looschelders, 15.A.2020,

Schuld

recht BT, § 43 RdNr. 11 ff). Aber natürlich kannst Du dich dann für die Rechtsprechung entscheiden und die Vermutungswirkung bejahen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SAUFE

Saufen_Fetzt

8.2.2023, 17:00:27

Wenn die GoA in diesen Fallgruppen immer erst auf Rechtsfolgenseite ausgeschlossen wird; gibt es dann überhaupt einen sinnvollen Anwendungsbereich für die Widerlegung der Vermutung des FGW?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

9.2.2023, 13:08:43

Hallo Saufen_Fetzt, man darf natürlich nicht vergessen, dass im ersten Examen der Sachverhalt immer feststeht. Im zweiten Examen kommen dann Beweisfragen dazu darunter möglichweise auch die Frage, inwieweit ein

Fremdgeschäftsführungswille

nicht vorlag. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

ST

streicheldiepelzigewandxd26@gmail.com

19.4.2024, 22:39:27

Liebes Jura-Fuchs Team, eine Frage zur der Pflicht der DB zur Brandlöschung: Es leuchtet mir nicht unmittelbar ein, dass die DB als Private zum Brandlöschen verpflichtet wird, gänzlich ohne dafür ausgebildet oder ausgestattet zu sein. Ohne jetzt die genauen Regelungen zu kennen hätte ich aus dem Bauch heraus gesagt, dass die Bahn zwar Sorgfaltswidrig bei dem Betreiben ihres Zuges gehandelt hat und somit der Stadt (oder geschädigten Dritten) ihren Schaden ersetzen müssen, oder eine Ersatzpflichtigkeit aus dem BHKG NRW reüssiert. So wäre sie ja quasi immer auf die Vornahme ihrer Pflicht durch die Feuerwehr angewiesen. Ich fände es läge näher hier keine Pflicht der Bahn zur Brandlöschung, sondern eine Pflicht der Bahn zum Ersatz der Löschkosten gesetzgeberisch vorzusehen, sodass die Gemeinde nicht auf den Kosten sitzen bleibt. Im Ergebnis laufen die beiden Lösungen natürlich auf das Gleiche hinaus (die Bahn muss zahlen). Wisst ihr, ob das in einigen Bundesländern (NRW insbesondere :)) so geregelt wird? Beste Grüße

K.Attalla

K.Attalla

19.8.2024, 18:00:04

Hey @streicheldiepelzigewandxd26@gmail.com, ich zitiere mal Medicus: "Im Fall(1) ist das Löschen von Bränden sicher Sache der Feuerwehr. Der BGH meint jedoch, es handele sich um ein Geschäft der Bundesbahn, die (nach § 1 HPflG) zum Ersatz des Brandschadens verpflichtet gewesen sei." Hoffe das hilft. LG!

MIA

miamiu

27.5.2024, 20:04:49

Müsste man in diesem Fall nicht auch auf den Arbeitsvertrag des G eingehen? Also dass er das Geschäft auch im Rahmen seines Arbeitsvertrages und somit auch seinem eigenen Interessenkreis ausführte?

Sarinodino

Sarinodino

18.7.2024, 20:58:29

G ist eine Gemeinde und hat demnach keinen Arbeitsvertrag.

MAG

Magnum

15.1.2025, 11:06:59

Gibt es einen Grund, warum hier auch lt. BGH keine Korrektur auf Rechtsfolgenseite vorgenommen wird? Liegt es daran, dass keine abschließende öff-rechtliche Kostenregelung gegeben ist?

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

13.2.2025, 14:37:14

Hey @[Magnum](172647), danke für Deine Frage. Genau das ist das richtige Differenzierungsmerkmal. In einer Klausur würdest Du auf eine entsprechende öffentlich-rechtliche Norm gestoßen werden. In jedem Fall solltest Du diese Fallgruppe thematisieren. Viele Grüße Linne, für das Jurafuchs-Team


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