Hallo @[JanS1207](177867),
eine berechtigte Frage, danke dafür und danke an die anderen für die Ergänzungen.
Ich sehe es ähnlich wie @[julia_purpose](145904), die das Ganze hier schön analysiert hat.
Schon aus Gründen der Rechtssicherheit würde ich vom BVerfG nicht erwarten, dass eine jahre- und jahrzehntelange ständige Rspr kurzfristig komplett aufgegeben wird. Unabhängig davon, wie man dazu persönlich steht, darf man mE auch nicht vergessen, dass die Institution der Ehe politisch stark aufgeladen ist und hierzu in der Gesellschaft sehr verschiedene Ansichten aufeinander treffen. Gleichzeitig handelt es sich um eine rechtliche Frage, die viele Menschen sehr persönlich und auf einer emotionalen Ebene betrifft, viel mehr, als das bei anderen (auch grund-)rechtlichen Fragen der Fall ist. Das ist natürlich auch dem BVerfG bewusst. Die bisherige Rspr war das Ergebnis eines über Jahre eingependelten gesellschaftlichen Kompromisses, den das BVerfG nun wohl behutsam weiterentwickeln, aber vermutlich nicht kurzfristig wesentlich ändern möchte.
Ich würde die Entscheidung des BVerfG daher als Indiz für eine behutsame Öffnung und Anpassung an veränderte gesellschaftliche Vorstellungen sehen, aber (noch) nicht als komplette Aufgabe der vorherigen Rspr. Zumindest ein Teil der Kommentarliteratur scheint das ähnlich zu sehen und erwähnt zwar die neue und wichtige des Entscheidung des BVerfG, sieht darin aber anscheinend (noch) keine komplette Neuausrichtung (so zB BeckOK-GG/Uhle, 58. Ed, Stand 5.6.24, Art 6 Rn 4). Stimmen, die auch gleichgeschlechtliche Ehen von Art 6 I GG erfasst sehen (zB Dreier/Brosius-Gersdorf, GG, 4. Aufl 2023, Art 6 Rn 103 ff; v Münch/Kunig/Heiderhoff, GG, 7. Aufl 2021, Art 6 Rn 59), stützen das mehr auf inhaltliche Argumente als auf eine angeblich veränderte Rspr des BVerfG.
Wir werden beobachten, wie sich die Rspr des BVerfG weiter entwickelt. Zur Klarstellung haben wir aber jetzt einen kurzen Hinweis auf die Entscheidung in der Aufgabe eingefügt.
Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team