Definition: Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG)
13. April 2025
13 Kommentare
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Was versteht man unter dem verfassungsrechtlichen Begriff der „Ehe” (Art. 6 Abs. 1 GG)?
Die Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG ist die auf freiem Entschluss beruhende, auf der Grundlage gleichberechtigter Partnerschaft frei ausgestaltete und staatlich beurkundete Verbindung eines Mannes und einer Frau zur auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Dogu
1.6.2023, 08:56:26
Gab es nicht bei der Einführung der Ehe für alle eine Kontroverse, ob der Ehebegriff des GG nicht auf die tradierte Form der Ehe zwischen Mann und Frau begrenzt ist oder hat sich diese verfassungsrechtliche Diskussion mittlerweile erledigt, sodass es fürs Examen nicht mehr erwähnt werden muss?

Lukas_Mengestu
1.6.2023, 15:42:08
Hallo Dogu, vielen Dank für Deinen Hinweis. Wir haben die Definition an dieser Stelle noch einmal präzisiert. In der Tat geht das BVerfG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der „verfassungsrechtliche“ Ehebegriff zwingend die Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehepartner voraussetze. Der zivilrechtliche Ehebegriff umfasst seit der Einführung der Ehe für alle (2017) dagegen auch gleichgeschlechtliche Paare. Der zivilrechtliche Ehebegriff ist damit weiter, als der verfassungsrechtliche. Diese Unterscheidung bleibt somit weiter bedeutsam. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Raphaeljura
14.6.2023, 02:20:12
Welches Grundrecht wäre dann für die gleichgeschlechtliche Ehe einschlägig?
Dogu
25.6.2023, 12:53:26
Allgemeine Handlungsfreiheit würde ich vermuten. Es gibt mE kein spezielleres Grundrecht. Hier wäre aber fraglich, ob ein
Eingriffvorliegt, wenn der Staat lediglich die rechtliche Anerkennung versagt. Es ist ja primär ein Abwehrgrundrecht.

Jakob
30.9.2023, 15:55:07
Schaut man sich aber die neuere Rsp des BVerfG an, wird die Ehe anders definiert: Ehe im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG ist eine rechtlich verbindliche, im Grundsatz auf Dauer angelegte, auf freiem Entschluss beruhende, in besonderer Weise mit gegenseitigen Einstandspflichten einhergehende, gleichberechtigte und autonom ausgestaltete Lebensgemeinschaft, die durch einen formalisierten, nach außen erkennbaren Akt begründet wird. Beschluss vom 01. Februar 2023 - 1 BvL 7/18 1. Leitsatz
JanS1207
25.12.2023, 05:46:09
Moin, hat das BVerfG nicht in seiner Entscheidung zur Kinderehe (BVerfG, 1 BvL 7/18, NJW 2023, 1494) erstmals einen offenen Ehe-Begriff verwendet? Definiert als "Ehe im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG ist eine rechtlich verbindliche, im Grundsatz auf Dauer angelegte, auf freiem Entschluss beruhende, in besonderer Weise mit gegenseitigen Einstandspflichten einhergehende, gleichberechtigte und autonom ausgestaltete Lebensgemeinschaft, die durch einen formalisierten, nach außen erkennbaren Akt begründet wird.", sodass der Streit obsolet ist? Liebe Grüße
Bilbo
29.12.2023, 18:09:46
Wäre in der Tat interessant zu wissen, ob sich das als endgültige Abkehr verstehen lässt. Bevor wir hier noch veraltete Streits lernen, die wir gar nicht mehr brauchen. :)
bayilm
19.3.2024, 11:45:47
Nach wie vor wäre eine Stellungnahme vom Jurafuchs-Team dazu wünschenswert ;)
in persona
11.7.2024, 09:09:58
sehe ich auch so

natiiswelt
13.9.2024, 11:15:01
Ja bitte :)

julia_purpose
16.9.2024, 18:20:29
Aufgrund des erhöhten Interesses an der Fragestellung habe ich mich mit dem Urteil des BVerfG und der Definition des Ehebegriffs beschäftigt und bin zu folgender Schlussfolgerung gekommen: Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 1. Februar 2023 den Ehebegriff in Art. 6 Abs. 1 GG etwas weiter präzisiert. In diesem Beschluss ging es primär um die
Verfassungsmäßigkeitdes Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen. Die konkrete Definition im Urteil lautet: "Ehe im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG ist eine rechtlich verbindliche, im Grundsatz auf Dauer angelegte, auf freiem Entschluss beruhende, in besonderer Weise mit gegenseitigen Einstandspflichten einhergehende, gleichberechtigte und autonom ausgestaltete Lebensgemeinschaft, die durch einen formalisierten, nach außen erkennbaren Akt begründet wird." Ich nehme an, in Anknüpfung an den Begriff “autonom ausgestaltete Lebensgemeinschaft” ist man hellhörig geworden, da dieser sich als eine etwas weitere Öffnung der Ehegestaltung interpretieren lässt. Die Definition entspricht aber grundsätzlich immer noch der selben verfassungsrechtlichen Definition wie eh und je. Sie schließt zwar gleichgeschlechtliche Ehen nicht explizit aus, was wiederum impliziert, dass auch sie unter den Schutz von Art. 6 GG fallen könnten. Jedoch kann diesem Umstand meiner Auffassung nach nicht entnommen werden, dass das BVerfG nach diesem Urteil ausdrücklich ab jetzt die gleichgeschlechtliche Ehe unter den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG stellen möchte. In Anbetracht der Historie des Ehebegriffs im verfassungsrechtlichen Sinne würde das BVerfG sich viel deutlicher ausdrücken, wenn es sich dazu entscheiden würde, von seiner Definition abzulassen und sie zu erweitern. Diese revolutionäre Änderung wird es sicherlich nicht durch eine vage Interpretationsmöglichkeit verkünden, sondern ein für alle Mal klarstellen wollen. Wir werden es mit Sicherheit in aller Deutlichkeit mitbekommen, sollte das BVerfG zu einer Modernisierung des Begriffs kommen. :) @[JanS1207](177867)

Sebastian Schmitt
24.9.2024, 18:20:19
Hallo @[JanS1207](177867), eine berechtigte Frage, danke dafür und danke an die anderen für die Ergänzungen. Ich sehe es ähnlich wie @[julia_purpose](145904), die das Ganze hier schön analysiert hat. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit würde ich vom BVerfG nicht erwarten, dass eine jahre- und jahrzehntelange ständige Rspr kurzfristig komplett aufgegeben wird. Unabhängig davon, wie man dazu persönlich steht, darf man mE auch nicht vergessen, dass die Institution der Ehe politisch stark aufgeladen ist und hierzu in der Gesellschaft sehr verschiedene Ansichten aufeinander treffen. Gleichzeitig handelt es sich um eine rechtliche Frage, die viele Menschen sehr persönlich und auf einer emotionalen Ebene betrifft, viel mehr, als das bei anderen (auch grund-)rechtlichen Fragen der Fall ist. Das ist natürlich auch dem BVerfG bewusst. Die bisherige Rspr war das Ergebnis eines über Jahre eingependelten gesellschaftlichen Kompromisses, den das BVerfG nun wohl behutsam weiterentwickeln, aber vermutlich nicht kurzfristig wesentlich ändern möchte. Ich würde die Entscheidung des BVerfG daher als Indiz für eine behutsame Öffnung und Anpassung an veränderte gesellschaftliche Vorstellungen sehen, aber (noch) nicht als komplette Aufgabe der vorherigen Rspr. Zumindest ein Teil der Kommentarliteratur scheint das ähnlich zu sehen und erwähnt zwar die neue und wichtige des Entscheidung des BVerfG, sieht darin aber anscheinend (noch) keine komplette Neuausrichtung (so zB BeckOK-GG/Uhle, 58. Ed, Stand 5.6.24, Art 6 Rn 4). Stimmen, die auch gleichgeschlechtliche Ehen von Art 6 I GG erfasst sehen (zB Dreier/Brosius-Gersdorf, GG, 4. Aufl 2023, Art 6 Rn 103 ff; v Münch/Kunig/Heiderhoff, GG, 7. Aufl 2021, Art 6 Rn 59), stützen das mehr auf inhaltliche Argumente als auf eine angeblich veränderte Rspr des BVerfG. Wir werden beobachten, wie sich die Rspr des BVerfG weiter entwickelt. Zur Klarstellung haben wir aber jetzt einen kurzen Hinweis auf die Entscheidung in der Aufgabe eingefügt. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

julia_purpose
30.9.2024, 17:07:36
Hallo @[Sebastian Schmitt](263562), vielen Dank für das Lob und die sehr sachlichen und neutralen weiterführenden Klarstellungen!