Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Zurückbehaltungsrechte

Grundfall: Zurückbehaltungsrecht (§ 320 Abs. 1 BGB), Haupt- u. Nebenleistung

Grundfall: Zurückbehaltungsrecht (§ 320 Abs. 1 BGB), Haupt- u. Nebenleistung

13. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Naturfotografin K kauft bei V einen neuen Jeep, den sie für berufliche Fahrten in der Serengeti benutzen will. Bei Anlieferung bemerkt K, dass die Kupplung defekt ist. K erklärt V, sie verweigere die Abnahme und zahle auch solange nicht, bis V den Mangel behoben habe.

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Einordnung des Falls

Grundfall: Zurückbehaltungsrecht (§ 320 Abs. 1 BGB), Haupt- u. Nebenleistung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V hat einen Anspruch darauf, dass K den Kaufpreis zahlt und den Jeep abnimmt (§ 433 Abs. 2 BGB).

Ja!

Bei Abschluss eines Kaufvertrages ist der Käufer verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen (§ 433 Abs. 2 BGB). V und K haben einen Kaufvertrag über den Jeep geschlossen. K war somit verpflichtet, diesen zu bezahlen und abzunehmen.
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2. Vs Anspruch ist durchsetzbar, sofern K kein Zurückbehaltungsrecht zusteht (§ 320 Abs. 1 S. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Bei einem gegenseitigen Vertrag kann eine Partei die ihr obliegende Leistung so lange verweigern, bis die Gegenleistungbewirkt ist (§ 320 Abs. 1 BGB). Dies setzt voraus: (1) das Bestehen eines wirksamen gegenseitigen Vertrages, (2) Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen der verweigerten Leistungspflicht und der Gegenleistungspflicht, (3) eine fällige und (4) noch nicht erbrachte Gegenleistung (5), Schuldner muss sich selbst vertragstreu verhalten und (6) das Zurückbehaltungsrecht darf nicht ausgeschlossen sein.§ 320 BGB ist als spezielles Leistungsverweigerungsrecht vor dem allgemeinen Zurückbehaltungsrecht zu prüfen (§ 273 BGB).

3. Bei dem Kaufvertrag handelt es sich um einen gegenseitigen Vertrag.

Ja, in der Tat!

Ein gegenseitiger Vertrag (=vollkommen zweiseitig verpflichtend) liegt vor, wenn beide Parteien zu Leistungen verpflichtet sind, also die Leistung und Gegenleistung in einem Austausverhältnis stehen (lat: „do ut des“ = „ich gebe, damit Du gibst“), zB Kauf (§ 433 BGB), Tausch (§ 480 BGB), Miete (§ 535 BGB), Werk- (§ 631 BGB) und Dienstvertrag (§ 611 BGB). Abzugrenzen davon sind unvollkommen zweiseitig verpflichtende Verträge. Hier wird die Leistung nicht zur Erlangung der Gegenleistung versprochen. Beispiel: Der unentgeltliche Auftrag (§ 662 ff. BGB), wo die Verpflichtung des Beauftragten nicht in einem unmittelbaren Austauschverhältnis zur Pflicht des Auftraggebers steht, ihm eventuell getätigte Aufwendungen zu ersetzen (§ 670 BGB).

4. Die Pflicht zur Kaufpreiszahlung und die Pflicht zur Übergabe und Übereignung eines mangelfreien Jeeps stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis.

Ja!

Die Leistungspflichten lassen sich in Haupt- und Nebenleistungspflichten unterteilen. Die Hauptleistungspflichten sind die Pflichten, die für den Vertrag prägend sind. Sie stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis (Synallagma) und sind in ihrem Bestand voneinander abhängig. Prägend für den Kauvertrag ist der Austausch von Ware gegen Geld.V und K haben einen Kaufvertrag geschlossen. Als Verkäufer war V zur Übergabe und Übereignung verpflichtet, während K vor allem die Zahlung des vereinbarten Kaufpreis schuldete.

5. Da V einen mangelhaften Jeep lieferte, war K berechtigt, ihre Zahlung zu verweigern (§ 320 Abs. 1 S. 1 BGB).

Genau, so ist das!

V und K haben (1) einen wirksamen gegenseitigen Kaufvertrag geschlossen. (2) Ks Zahlungspflicht und Vs Pflicht – Übergabe und Übereignung eines sachmangelfreien Jeeps – sind gegenseitige (synallagmatische) Hauptleistungspflichten. Indem der Jeep bei der Anlieferung mangelhaft war, hat V seine (3) fällige Pflicht (4) nicht erfüllt. K selbst verhielt sich (5) vertragstreu und (6) das Zurückbehaltungsrecht war nicht ausgeschlossen. Mithin kann K ihre Kaufpreiszahlung verweigern (§ 320 Abs. 1 S. 1 BGB). Das Leistungsverweigerungsrecht stellt eine Einrede dar, die den Anspruch nicht zum Erlöschen bringt, sondern lediglich die Durchsetzbarkeit verhindert.

6. Die Pflicht zur Abnahme des Jeeps und die Pflicht zur Übergabe und Übereignung eines mangelfreien Jeeps stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Leistungspflichten lassen sich in Haupt- und Nebenleistungspflichten unterteilen. Die Nebenleistungspflichten sind selbstständige Pflichten, die lediglich der Förderung der Hauptleistungspflicht dienen und nur im Einzelfall bei gesonderter Parteivereinbarung mit der Gegenleistung in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. Die Abnahme der Kaufsache dient lediglich der Hauptleistungspflicht des Verkäufers zur Übergabe der Sache. Es handelt sich insoweit um eine Nebenleistungspflicht. K und V haben keine gesonderte Abrede getroffen, somit ist diese nicht synallagmatisch zu Vs Lieferpflicht.

7. Da V einen mangelhaften Jeep lieferte, war K auch berechtigt, die Abnahme nach § 320 Abs. 1 S. 1 BGB zu verweigern.

Nein!

Das Zurückbehaltungsrecht nach § 320 Abs. 1 S. 1 BGB setzt gegenseitige (synnallagmatische) Verpflichtungen voraus.Vs Hauptleistungspflicht - Übergabe und Übereignung eines mangelfreien Jeep - steht in keinem Gegenseitigkeitsverhältnis zu Ks Nebenpflicht, den Jeep abzunehmen. K kann die Abnahme nicht nach § 320 Abs. 1 BGB verweigern. Allerdings besteht das allgemeine Leistungsverweigerungsrecht nach § 273 BGB (BGH). In der Literatur wird das Recht zur Verweigerung der Annahme überwiegend bereits aus § 266 BGB abgeleitet, wonach der Käufer eine mangelhafte Sache (als Teilleistung in Bezug auf die mangelfreie Sache) nicht annehmen brauch. Dazu später mehr.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ST

streicheldiepelzigewandxd26@gmail.com

23.10.2024, 23:36:33

Soweit 266 BGB auch für quali

tat

ive

Teilleistung

en greift, müsste die Käuferin doch auch hiernach berechtigt sein, die Annahme zu verweigern, indem der Verkäufer nicht berechtigt ist, eine

Teilleistung

zu besichtigen. Braucht man dann

273

/320 überhaupt noch? Schließlich käme der Käufer auch nicht in Gläubigerverzug, da ihm die Leistung nicht vertragsgemäß an

geboten

wurde. Beste Grüße!

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

4.12.2024, 12:18:52

Hey @[streicheldiepelzigewandxd26@gmail.com](172677), danke für deine kluge Frage. Du hast Recht damit, dass der Gläubiger nach § 266 BGB (nach h.M.) eine mangelhafte Leistung nicht anzunehmen braucht. Siehe dazu z.B. Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 266 RdNr. 3: „Grundsätzlich ist jede unvollständige Leistung (...) eine

Teilleistung

im Sinne der Norm. Ausgenommen ist – anders als nach früherem Recht – nicht mehr die Schlechtleistung („quali

tat

ive

Teilleistung

“), (...). Schon aus § 266 ergibt sich daher, dass der Gläubiger eine mangelhafte Leistung nicht anzunehmen braucht.“ Für eine Auseinandersetzung mit den Gegenansichten kann ich dir folgenden Aufsatz empfehlen: Wu, Die Rechte des Käufers bei Mangelhaftigkeit der Kaufsache vor

Gefahrübergang

, JuS 2020, 394 (zu § 266 ab RdNr. 396). Das Zurückweisungsrecht aus § 266 BGB ist Voraussetzung dafür, dass der Gläubiger die Gegenleistung nach §

320 BGB

verweigern kann. Denn, wenn der Käufer die Sache nicht nach § 266 BGB zurückweisen könnte, müsste er diese als erfüllungstauglich annehmen, was zur Folge hätte, dass die Einrede aus § 320 Abs. 1 BGB wegen der dadurch erfolgten Leistung des Verkäufers wegfällt. § 266 BGB tritt damit im vorliegenden Fall nicht anstelle von § 320 Abs. 1 BGB, sondern vielmehr daneben. Zusammengefasst: K muss nach § 320 Abs. 1 BGB nicht den Kaufpreis zahlen und nach § 266 BGB den Jeep nicht abnehmen. Ich habe die Aufgabe jetzt entsprechend ergänzt. Der BGH hat in der Vergangenheit übrigens bei mangelhaften Leistungen in einigen Fällen auf das

Zurückbehaltungsrecht

aus

§ 273 BGB

s

tat

t auf § 266 BGB abgestellt.

§ 273 BGB

kann nicht kumulativ zu § 266 BGB, sondern nur alternativ geltend gemacht werden. Dies kann sich u.U. auf die konkrete Rechtsfolge auswirken. Auch dazu kann ich den o.g. Aufsatz sehr empfehlen. Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team


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