Strafrecht AT | Vorsatz | Koinzidenz- / Simultanitätsprinzip (Aufgabe des Vorsatzes zwischen Tathandlung und Erfolgseintritt)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A schreibt dem neuen Freund O seiner Ex-Frau einen über mehrere Seiten extrem beleidigenden Brief und gibt ihn bei der Post ab. Bevor der Brief zugestellt ist, versucht er vergeblich, die Zustellung des Briefes an O zu verhindern.

Einordnung des Falls

Strafrecht AT | Vorsatz | Koinzidenz- / Simultanitätsprinzip (Aufgabe des Vorsatzes zwischen Tathandlung und Erfolgseintritt)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Vorsatz muss in dem Zeitpunkt vorliegen, in dem die Beleidigung (§ 185 StGB) den O trifft.

Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

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Nein, das trifft nicht zu!

Der Täter hat Vorsatz, wenn er mit dem Willen zur Verwirklichung des Tatbestands (voluntatives Element) in Kenntnis aller objektiven Tatumstände (kognitives Element) handelt. Nach dem Umkehrschluss aus § 16 Abs. 1 S. 1 StGB muss der Vorsatz bei „Begehung der Tat“ vorliegen. Entscheidend ist der Moment der tatbestandlichen Ausführungshandlung (§ 8 StGB; Koinzidenz-/Simultanitätsprinzip). Der Vorsatz muss nicht bis zum Erfolgseintritt „durchgehalten“ werden.A hatte beim Absenden Vorsatz. Dass er zwischen dem Abschluss der Tathandlung und dem Erfolgseintritt den Verwirklichungswillen aufgegeben hat, beseitigt seinen Vorsatz bei Begehung der Tat nicht.

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LH

L. H.

13.12.2020, 12:02:44

Käme hier Paragraph 24 Absatz 1 Satz 2 StGB wegen ernsthaften Bemühens strafbefreiend in Betracht? Oder gilt dies nur, wenn die Zustellung des Briefes letztendlich scheitert, der Taterfolg also nicht eintritt?

Eigentum verpflichtet 🏔️

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13.12.2020, 13:04:54

Hallo L.H. gute Frage: Ein Rücktritt kommt bis zum Erfolgseintritt in Betracht (solange sich die Tat im Versuchsstadium befindet). Für § 24 Abs. 1 S. 1 StGB fehlt es an der Erfolgsverhinderung (bzw. falls der Brief verloren geht, an der Verhinderungskausalität). Für § 24 Abs. 1 S. 2 StGB ist Voraussetzung, dass die Tat nicht vollendet wird (die Post verliert den Brief...). Zusätzlich müsste A aber auch die optimal mögliche Rettungshandlung vollbracht haben. Dazu fehlen hier genauere Angaben. Denkbar ist es aber!

LH

L. H.

13.12.2020, 17:43:33

Verstehe. Danke für die Antwort!

NB

Nani Babic

28.1.2021, 08:14:55

Wie verhält es sich mit dem "ernsthaften Bemühen"?

Eigentum verpflichtet 🏔️

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28.1.2021, 08:35:45

Hallo Nani, das ist ja § 24 Abs. 1 S. 2 StGB. Die Tat müsste ohne Zutun des Täters vollendet werden, dieser müsste sich aber ernsthaft bemühen = optimale Rettungshandlung.

Eigentum verpflichtet 🏔️

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28.1.2021, 08:36:20

nicht vollendet werden* natürlich


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