+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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T sieht, dass der ihm verhasste O auf einer Treppe das Gleichgewicht verliert. Er hält den D davon ab, O den nötigen Halt zu geben, so dass O die Treppe herunterfällt und sich verletzt. Wenn D geholfen hätte, hätte O sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht verletzt.

Einordnung des Falls

Treppensturz

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem T den D daran gehindert hat, O zu stützen, hat er kausal die Verletzung des O verursacht.

Diese Rechtsfrage lösen 95,4 % der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.

Genau, so ist das!

Die Rspr und hL bestimmt die Kausalität überwiegend nach der Äquivalenztheorie (= conditio-sine-qua-non-Formel). Eine Handlung ist danach kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Hypothetische Reserveursachen bleiben außer Betracht. Etwas anderes ergibt sich bei hypothetisch rettenden Kausalverläufen: Unterbricht der Täter einen konkreten, auf das Opfer zulaufenden Kausalverlauf, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Rettung geführt hätte, ist dieser im Rahmen der conditio-sine-qua-non-Formel hinzuzudenken.Hätte T den D nicht zurückgehalten, hätte D dem O Stabilität gegeben und O mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet.

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KEFYA

Kefyat

17.6.2020, 08:51:39

Müsste hier nicht die Definition der Kausalität im Rahmen des Unterlassens erwähnt werden. Denn hier wurde der D von T daran behindert dem O Hilfe zu leisten 323c II Zumal ist es im Kommentar erwähnt worden „ hinzudenken“ bzgl. der Hypothetischen Kausalität. Also müsste die Definition lauten: Kausal ist danach das Unterlassen, wenn die rechtlich erwartete Handlung ( Nicht fallen lassen) nicht hinzugedacht werden kann, ohne das der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich entfiele. Danke!

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

17.6.2020, 13:30:40

Hallo Keyfat, berechtigte Frage! Ich würde allerdings sagen, dass hier der Unrechtsschwerpunkt nicht auf einem Unterlassen (der Rettung), sondern auf einem aktiven Tun (Verhindern der Rettung) liegt. Denkt man nun das Verhindern der Rettung weg, so würde die Körperverletzung beim Opfer entfallen. Demnach stimmt die Lösung.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

18.6.2020, 09:08:25

Hi @Kefyat, danke für die Frage. Sehen wir auch so, sehr gut erklärt, @Eigentum verpflichtet.

JURAPR

JURAPROF

18.9.2023, 16:58:54

Also hypothetisch rettende Kausalverläufe sind was anderes als hypothetische Kausalität? Inwiefern rechtfertigt man diese Differenzierung? Was ist der Sinn und Zweck? hypothetisch rettende Kausalverläufe: dann anzunehmen, wenn T eine Rettungshandlung verhindert, die den Erfolg MIT SICHERHEIT GRENZENDER WAHRSCHEINLICHKEIT verhindert hätte? Was genau meinen wir mitMIT SICHERHEIT GRENZENDER WAHRSCHEINLICHKEIT? Gibt es dafür einen Maßstab woran ma sich orintieren kann im Gutachten? Oder irgendein Richtwert?

DWA

Dirk Walter

26.9.2023, 20:49:48

Das würde mich auch interessieren. Ich habe die Frage zwar intuitiv richtig beantwortet, aber das sollte besonders am Anfang nicht Sinn der Sache sein, da viele logisch korrekte Sachverhalte kontraintuitiv sind. Wenn man die conditio sine qua non Formel zugrunde legt und die Rettung des O durch den D gemäß einer dreiwertigen Logik einen der drei Wahrheitswerte 0, u und 1 für "falsch", "ungewiss" und "wahr" zuordnet, dann kann für die Fälle wie folgt geschlussfolgert werden: - 0: Wenn die Rettung keine wirkliche Rettung ist, dann kann die Handlung des T weggedacht werden und das Ergebnis wäre dasselbe - 1: Wenn die Rettung sicher geglückt wäre, dann kann die Handlung des T nicht weggedacht werden, ohne das Ergebnis zu verändern - u: Wenn die Rettung ungewiss ist, dann führt ein Wegdenken der Handlung des T zu einem ebenso ungewissen Ergebnis. Ich glaube, dass der letzte Fall hierbei interessant ist, um die Sonderstellung der hypothetischen rettenden Kausalverläufe zu verstehen. Da man ja Gewissheit über die Kausalität haben will, lässt man keine Ungewissheit zu und muss sich mit zusätzlichen Axiomen bzw. Grundsätzen behelfen. Woher diese stammen weiß ich nicht, ich bin kein Jurist (deshalb nutze ich ja die App). Aber vielleicht wird hierbei die Intention des T miteinbezogen? Ich weiß es nicht. Aber ich kommentiere mal, um hoffentlich in Zukunft darüber informiert zu werden. Der Zusatz "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" soll wohl die Entscheidung vereinfachen und man soll davon ausgehen, dass O gerettet worden wäre.

JALUD

Jan Ludwig

29.10.2023, 12:57:30

Meiner Meinung nach kommt man zu dem Ergebnis auch mit der „normalen“ Äquivalenztheorie: Denkt man sich die Verhinderung der Rettung weg, wäre es (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) nicht zu dem konkreten Erfolg bekommen.


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