Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Formfreiheit und Grenzen

Verstoß gegen § 311b Abs. 2, Abs. 3 BGB – Heilung?

Verstoß gegen § 311b Abs. 2, Abs. 3 BGB – Heilung?

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die wohlhabende Tante T liegt nach einem Unfall im Krankenhaus. Ihre Nichte N besucht sie als Einzige regelmäßig. Aus Dankbarkeit schenkt T der N ihr gesamtes gegenwärtiges und künftiges Vermögen. Nach Entlassung aus dem Krankenhaus überträgt T der N das Eigentum an ihrer Villa.

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Einordnung des Falls

Verstoß gegen § 311b Abs. 2, Abs. 3 BGB – Heilung?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Versprechen der T, der N ihr künftiges Vermögen zu übertragen, ist nichtig (§ 311b Abs. 2 BGB).

Ja, in der Tat!

Schuldrechtliche Verpflichtungen zur Übertragung des künftigen Vermögens sind nichtig (§ 311b Abs. 2 Alt. 1 BGB). Diese Nichtigkeit dient dem Schutz des Schuldners vor sich selbst. Es soll verhindert werden, dass er sich gewissermaßen seiner Erwerbsfähigkeit begibt und damit zugleich allen Antrieb zum Erwerb verliert. Es handelt sich um eine Beschränkung der von der Vertragsfreiheit umfassten inhaltlichen Gestaltungsfreiheit der Parteien.
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2. Der Vollzug der Schenkung durch Übertragung der Villa heilt den Formfehler des Verpflichtungsgeschäfts.

Nein!

Eine Heilung des schuldrechtlichen Vertrages durch Erfüllung ist nicht möglich. § 311b Abs. 3 BGB enthält keine Regelung zur Heilung durch Vollzug. Eine analoge Anwendung des § 311b Abs. 1 S. 2 BGB scheidet aus. Es fehlt eine planwidrige Regelungslücke. Gleiches gilt für den tatsächlichen Vollzug einer Schenkung nach § 518 Abs. 2 BGB. § 518 Abs. 2 BGB bezieht sich nur auf die Heilung des Formmangels der Schenkung und nicht auf die strengere Formvorschrift des § 311b Abs. 3 BGB. T kann daher Rückübergabe und -übereignung des Grundstücks verlangen (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

3. Auch das Versprechen bezüglich der Übertragung des gegenwärtigen Vermögens ist nichtig (§§ 311b Abs. 3, 125 S. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, sein gegenwärtiges Vermögen zu übertragen, bedarf der notariellen Beurkundung (§ 311b Abs. 3 BGB). Der Formzwang dient: (1) der Rechtssicherheit, (2) dem Übereilungsschutz der Parteien vor inhaltsschweren Geschäften und (3) der Verhütung von Umgehungen der für die Verfügungen von Todes wegen geltenden Formvorschriften. Da T der N das Versprechen nur mündlich erklärt hat, ist dieses nichtig (§§ 311b Abs. 3, 125 S. 1 BGB). Im Übrigen handelt es sich auch um ein Schenkungsversprechen, welches ebenfalls mangels notarieller Beurkundung nichtig ist (§§ 518 Abs. 1 S.1, 125 S. 1 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LI

lillschi

7.1.2021, 22:13:27

Bei der ersten Frage steht in der Erklärung: “Es soll verhindert werden, dass er sich gewissermaßen seiner Erwerbsfähigkeit begibt ...” Was ist damit gemeint?

BIE

Bienenschwarmverfolger

23.4.2021, 09:05:41

„Sich etwas begeben“ kann so viel heißen wie „sich etwas entledigen“ oder „etwas aufgeben“. Wenn man sich zur Übertragung seines künftigen Vermögens verpflichtet, gibt man gewissermaßen seine Erwerbsfähigkeit auf, weil man - zumindest für sich selbst - faktisch nichts mehr erwerben kann.

LI

lillschi

23.4.2021, 11:23:29

Ah ok, Danke, kannte die Begrifflichkeit “sich etwas begeben” nicht.

EI

Eike-Christian

13.5.2023, 09:46:57

Wie habe ich mir denn praktisch den Vollzug der Schenkung durch Übertragung der Villa vorzustellen? T und N gehen zum Grundbuchamt, erklären die Auflassung und beantragen und bewilligen die Eintragung? Das dürfte aber dann nicht ohne notariellen Schenkungsvertrag geschehen?

Carl Wagner

Carl Wagner

13.5.2023, 14:41:05

Vielen Dank für deine Frage Eike-Christian! In der Tat ist es in der Praxis so, dass die Grundbuchämter auf eine notarielle Beurkundung bestehen. Der Fall der Heilung in § 311b I 2 BGB ist eher theoretischer Natur. Viele Grüße - Carl für das Jurafuchs-Team

SI

silasowicz

17.8.2023, 12:39:08

Woraus im Fall ergibt sich denn, dass die Villa das gegenwärtige oder künftige Vermögen der T darstellt? Irgendwie stehe ich da gerade auf dem Schlauch. Wäre sie das nämlich nicht, müsste doch schon 311b I 2 zum Zuge kommen, oder?

Paulah

Paulah

29.9.2023, 14:29:52

Kleine Anekdote am Rande: In einem Mentoriat fragte mal jemand "wann ist denn der Hund tot". Der Dozent: "Wenn es im Sachverhalt steht." Vorliegend würde ich aus der Kombination der Informationen "sie schenkt der Nichte das gegenwärtige und künftige Vermögen" und "sie überträgt die Villa" schließen, dass die Villa das gegenwärtige und künftige Vermögen ist.

SvzW

SvzW

23.12.2023, 21:35:43

kann man hier nicht auch eine neuen Schenkung nur für die Villa sehen?

LELEE

Leo Lee

24.12.2023, 16:32:09

Hallo SvzW, vielen Dank für dein Feedback! In der Tat könnte man meinen, dass durch das „Übertragen“ eine neue Schenkung stattfand. Wir haben un den Text dahingehend korrigiert, dass nach der Entlassung nur das Eigentum übertragen wird (womit die ursp. Verpflichtung ledilgich vollzogen wird) :). Besinnliche Feiertage und einen guten Rutsch wünscht dir das Jurafuchsteam!

0815jurafuchs

0815jurafuchs

11.3.2024, 07:37:17

Gemäß 311b III BGB bedarf auch die Übertragung eines Bruchteil eines gegenwärtigen Vermögens der notariellen Beurkundung. In welchen Fällen wird der Mangel der Form bei einer Schenkung von Vermögensgegenständen durch deren Vollzug gem. 518 II BGB geheilt und wann steht dieser Heilung 311b III BGB entgegen?

QUAR

Quarklo

20.8.2024, 01:14:24

Gute Frage, ich denke die Abgrenzung hat nach der Bedeutung des zu verschenkenden Gegenstandes zu erfolgen: § 311b III soll den sich Verpflichtenden davor schützen, sich durch massive Eingriffe in seine Vermögensverhältnisse seiner wirtschaftlichen Bewegungs- bzw. Entscheidungsfreiheit (Privatautonomie) zu berauben. Beispielsweise würde ich die Verschenkung der Eigentumswohnung bei ansonsten zu vernachlässigendem Restvermögen als einen Fall des § 311b III einordnen. Insbesondere dann, wenn kein Einkommen vorhanden ist, um sich eine Wohnung zu mieten. Möglicherweise kann man die Grenze in Anlehnung an die Einzeltheorie, die zu § 1365 vertreten wird, ziehen

QUAR

Quarklo

20.8.2024, 01:21:20

Nachdem ich die nächste Aufgabe gesehen habe, muss ich meinen Kommentar einschränken. § 311b III greift nicht bei Verpflichtungsgeschäften über einzelne Gegenstände

Kathi

Kathi

31.5.2024, 11:35:22

Liebes Jurafuchs-Team, ich steh gerade noch total auf'm Schlauch. Das Versprechen ist der Schenkungsvertrag. Auch der bedürfte der notariellen Beurkundung. Soweit so gut. Ein nicht notariell beurkundeter Kaufvertrag über ein Grundstück (Verpflichtungsgeschäft) ist auch nichtig, kann aber durch Erfüllung (

Verfügungsgeschäft

) geheilt werden. Warum ist das im vorliegenden Fall nicht so? Ich verstehe den Unterschied nicht wirklich. Liegt es daran, dass die Tante nur das Eigentum übertragen hat? Also nur einen Teil des Schenkungsvertrages damit erfüllt hat und dieser damit weiterhin nichtig bleibt? Oder liegt es daran, dass die Tante überhaupt auch nur das zukünftige Vermögen schenken wollte und dies aufgrund des § 311b II niemals möglich ist, ganz gleich, ob das gegenwärtige Vermögen verschenkbar wäre? Oder hab ich irgendwo einen großen Denkfehler? Liebe Grüße

FOC

Focke

9.7.2024, 14:10:13

Ich fänds auch super, wenn ihr die Frage nochmal ausführlich beantworten könntet!

QUAR

Quarklo

20.8.2024, 01:02:54

§ 311b II, III sind lex speciales zu § 518. Damit kommt auch keine Heilung nach § 518 II in Betracht. Darüber hinaus kommt auch keine andere Heilungsmöglichkeit in Betracht. Grund hierfür ist, dass das Verschenken des gesamten Vermögens ein derart massiver Eingriff in die Vermögensverhältnisse des Verpflichteten ist, dass nach Vollzug der Verpflichtung ein selbstbestimmtes Leben kaum noch möglich ist. Der vermeintliche Eingriff in die Privatautonomie (Verhinderung der Verpflichtung zur Verfügung über das gesamte künftige Vermögen, § 311b II) lässt sich mit selbiger erklären: Selbstbestimmtes (privatautonomes) Handeln wäre mit solch einer Verpflichtung schlicht nicht möglich. Die Argumentation ist vergleichbar mit den Fällen der Sittenwidrigkeit bei Angehörigenbürgschaften. Im Ergebnis bleibt damit das Verpflichtungsgeschäft unwirksam und dem Verfügenden steht ein Bereicherungsanspruch zu

JC1909

jc1909

26.6.2024, 07:09:14

Könnte man das Rechtsgeschäft nicht in eine „einfache“ Schenkung umdeuten?

LO

Lorenz

30.10.2024, 10:29:51

Schenkungen sind formbedürftig. Sie müssen vor einem Notar beurkundet werden. Als Ausnahme besteht die

Handschenkung

. Eine Heilung gibt es nicht.


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