Zivilrecht
Werkrecht
Gefahrtragungsregeln
Gefahrtragung für die Vergütung: Gegenleistungsgefahr bei möglicher Werkleistung
Gefahrtragung für die Vergütung: Gegenleistungsgefahr bei möglicher Werkleistung
31. Mai 2025
8 Kommentare
4,8 ★ (18.331 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Schneider U schneidert für die Braut B für €4.000 ein Hochzeitskleid nach Maß. Durch eine Überschwemmung steht das Atelier unter Wasser. Das Brautkleid ist ruiniert.
Diesen Fall lösen 78,7 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Gefahrtragung für die Vergütung: Gegenleistungsgefahr bei möglicher Werkleistung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Wer bei einem Werklieferungsvertrag die Leistungsgefahr trägt, trägt auch das Herstellungsrisiko.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. U trägt das Herstellungsrisiko für das Brautkleid.
Genau, so ist das!
3. U trägt auch die Gegenleistungsgefahr.
Ja, in der Tat!
4. U kann mehr Vergütung verlangen, weil er für das Hochwasser nichts kann.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Artur
19.10.2021, 21:40:33
Wieso trägt U denn die
Leistungsgefahr? Das Kleid ist ruiniert und damit ist
Unmöglichkeiteingetreten

Lukas_Mengestu
20.10.2021, 09:27:09
Hallo Artur, vielen Dank für die gute Frage! Bei der
Unmöglichkeitmuss man etwas aufpassen, dass man diese nicht zu schnell bejaht.
Unmöglichkeitliegt ja nur dann vor, wenn der
Schuldner die Leistung subjektiv/objektiv nicht mehr erbringen kann und ist eng verknüpft mit der Frage, was der
Schuldner im vorliegenden Fall
schuldet. Wenn es sich vorliegend zB um einen reinen Kaufvertrag handeln würde, dann könnte man hier die
Unmöglichkeitin der Tat bejahen. Denn ge
schuldet ist dort ja lediglich Übergabe und
Übereignungdes maßangefertigten Kleides (
Stückschuld). Ist dieses zerstört, entfällt damit auch die
Primärleistungspflicht. Anders dagegen hier, denn hier war die Herstellung ge
schuldet. Insoweit ist es U ohne weiteres möglich, das Kleid erneut anzufertigen, wozu er auch verpflichtet ist (ähnlich wie, wenn im Kaufvertrag eine
Gattungsschuldvereinbart ist und noch keine
Konkretisierungdes Kaufgegenstandes vorliegt. In diesem Fall kann sich der Verkäufer ebenfalls nicht auf
Unmöglichkeitberufen, sondern muss einen anderen Gegenstand derselben Gattung besorgen). Wird es so etwas klarer? Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Eichhörnchen I
1.9.2022, 15:09:44
Hallo, warum ergibt sich der Anspruch auf die Vergütung aus §§ 650 S. 1, 433 II BGB und nicht aus § 631 Abs. I BGB? Im Text steht doch gar nichts bzgl. Lieferung. Ansonsten müsste bei § 650 auch noch der Absatz ergänzt werden. Liebe Grüße

Lukas_Mengestu
28.10.2022, 12:01:58
Hallo Eichhörnchen I, der
Werklieferungsvertragwurde durch das zum 1.Januar 2002 in Kraft getretene
Schuldrechtsmodernisierungsgesetz neu gefasst. In Abgrenzung zum Werkrecht werden die Regelungen des
Werklieferungsvertrags nun stets angewendet, wenn es um die Herstellung neuer, beweglicher Sachen geht. Der Begriff "Lieferung" in § 650 Abs. 1 BGB ist dabei nicht als Bring-/
Schickschuldzu verstehen, sondern bezeichnet lediglich den Umstand, dass neben der Herstellung auch die
Übereignungder Sache zu den Pflichten des Unternehmers gehört. Der Anwendungsbereich des Werkrechts ist damit in Abgrenzung zum
Werklieferungsvertragnun in erster LInie auf die Herstellung unbeweglicher Sachen oder die Reparatur/Änderung von bestehenden Sachen beschränkt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
nondum conceptus
4.11.2024, 16:23:26
Warum wird auf 446 verwiesen. Dieser bezieht sich doch auf die Preisgefahr. Ist bei uns nicht § 650 I S.3 einschlägig?
Frederieke
5.5.2025, 00:17:56
Ich verstehe den Unterschied bzw. wann ich was annehmen muss einfach nicht, vor allem bei diesem Beispiel, weil ich an verschiedenen Stellen gelesen habe, das ein maßgeschneidertes Hemd/ Anzug gerade ein Beispiel für einen Werkvertrag ist, weil der Schwerpunkt auf der Herstellung läge. Warum wird aber hier bei dem Brautkleid jetzt ein
Werklieferungsvertragangenommen?
Lt. Maverick
5.5.2025, 10:15:40
Ich glaube, dass du etwas durcheinander bringst. Auch die Lieferung von maßgeschneiderten Anzügen ist ein
Werklieferungsvertrag. Die Besonderheit ist nur, dass darauf nicht allein
Kaufrecht, sondern auch einzelne Normen aus dem Werkvertragsrecht anwendbar sind. Bei den beweglichen Sachen muss es sich nach § 650 I S. 1 BGB um vertretbare Sachen iSv § 91 BGB handeln.
Nicht vertretbare Sachensind so individuell, dass sie nicht ohne weiteres austauschbar sind. Auf
nicht vertretbare Sachensind nach § 650 I S. 3 BGB die zitierten Normen aus dem Werkvertragsrecht neben dem
Kaufrechtanwendbar. Der Unterschied zwischen Brautkleid und Maßanzug liegt hier wohl darin, dass das Brautkleid nicht exakt an die B angepasst ist. Vermutlich hat sie nur ihre Kleidergröße mitgeteilt und aus einer Auswahl vergangener Arbeiten des Schneiders gewählt. Kleidergröße M z.B. ist ein gängiges Maß im Verkehr, ebenso ein Schnittmuster eines Kleids (die kann man nämlich regelmäßig kaufen). Sonst müsste im Sachverhalt stehen, dass der Unternehmer bei ihr Maß genommen hat, das Kleid nach ihren Wünschen mit den von ihr ausgesuchten Stoffen geschneidert hat. Ein Maßanzug hingegen, wie der Begriff schon vermuten lässt, ist im Regelfall so geschneidert, dass er nicht austauschbar ist. Das ist ein Unikat und gibt es so nicht auf dem Markt, weder nach Maß noch nach dem Schnitt mit den eingesetzten Stoffen. Nicht jede „Handarbeit“ ist ein Unikat. Ich kann mir beim Tischler einen Stuhl bestellen, ohne konkrete Wünsche zu äußern. Der Tischler wird den Stuhl nach den üblichen DIN-Maßen herstellen und womöglich ein Modell wählen, dass zu seinem üblichen Repertoire (Muster) gehört. Wenn ich aber beim Tischler einen Stuhl bestelle, besondere Maße vorgebe, die von den marktüblichen Maßen abweichen, um besondere Zierelemente bitte und z.B. Schnitzereien mit dem Familienwappen - ja, sowas gibt es nicht noch einmal auf der Welt. Dieser Stuhl wäre dann gerade keine vertretbare Sache iSv § 91 BGB. Es kann immer wieder Abgrenzungsschwierigkeiten geben und wenn es gerade um Sachen und Branchen geht, die einem nicht geläufig sind, wird es wohl auch differenzierte Meinungen für die Einordnung geben. Wichtig ist dann nur eine vernünftige Argumentation für die Einordnung anzuführen.
Frederieke
5.5.2025, 10:49:23
@[Lt. Maverick](229751) Danke für die ausführliche Antwort!