Zivilrecht

Werkrecht

Gefahrtragungsregeln

Gefahrtragung für die Vergütung: Gegenleistungsgefahr bei möglicher Werkleistung

Gefahrtragung für die Vergütung: Gegenleistungsgefahr bei möglicher Werkleistung

31. Mai 2025

8 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Schneider U schneidert für die Braut B für €4.000 ein Hochzeitskleid nach Maß. Durch eine Überschwemmung steht das Atelier unter Wasser. Das Brautkleid ist ruiniert.

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Einordnung des Falls

Gefahrtragung für die Vergütung: Gegenleistungsgefahr bei möglicher Werkleistung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wer bei einem Werklieferungsvertrag die Leistungsgefahr trägt, trägt auch das Herstellungsrisiko.

Ja!

Leistungsgefahr betrifft die Frage, ob bei einer zufälligen Erschwerung der Leistung der Schuldner den Mehraufwand zu erbringen hat oder der Gläubiger sein Forderungsrecht ganz oder teilweise verliert. Bis zum Gefahrübergang trägt der Schuldner die Leistungsgefahr, außer im Fall von Unmöglichkeit. Im Werkvertragsrecht nennt man die Leistungsgefahr auch das Herstellungsrisiko. Das Herstellungsrisiko ist das Risiko, solange leisten zu müssen, bis der Erfolg eintritt. Er trägt die Leistungsgefahr bzw. das Herstellungsrisiko bis zum Gefahrübergang. Die Gefahr ist noch nicht übergegangen.
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2. U trägt das Herstellungsrisiko für das Brautkleid.

Genau, so ist das!

Das Herstellungsrisiko ist das Risiko, solange leisten zu müssen, bis der Erfolg eintritt. Es beschreibt die Leistungsgefahr im Werkvertragsrecht. Bis zum Gefahrübergang trägt der Schuldner die Leistungsgefahr bzw. das Herstellungsrisiko. Schneider U ist als Werklieferant Schuldner der Werkleistung. Er trägt die Leistungsgefahr bzw. das Herstellungsrisiko bis zum Gefahrübergang. Die Gefahr geht mit Übergabe des Leistungsgesgegenstandes über über (§§ 650 Abs. 1 S.1, 446 BGB). Die Gefahr ist noch nicht übergegangen.

3. U trägt auch die Gegenleistungsgefahr.

Ja, in der Tat!

Die Gegenleistungsgefahr betrifft die Frage, ob beim Untergang der Leistung der Gläubiger die Gegenleistung dennoch erbringen muss oder der Schuldner seinen Anspruch auf die Gegenleistung verliert. Bis zum Gefahrübergang trägt der Werklieferant auch die Gegenleistungsgefahr. U ist Werklieferant.

4. U kann mehr Vergütung verlangen, weil er für das Hochwasser nichts kann.

Nein!

U trug bis zur Zerstörung des Brautkleids sowohl das Herstellungsrisiko (=Leistungsgefahr) als auch die Gegenleistungsgefahr. Er muss solange leisten, bis der Erfolg eintritt und hat dann Anspruch auf die vereinbarte Vergütung (§§ 650 Abs. 1 S.1, 433 Abs. 2 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

AR

Artur

19.10.2021, 21:40:33

Wieso trägt U denn die

Leistungsgefahr

? Das Kleid ist ruiniert und damit ist

Unmöglichkeit

eingetreten

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

20.10.2021, 09:27:09

Hallo Artur, vielen Dank für die gute Frage! Bei der

Unmöglichkeit

muss man etwas aufpassen, dass man diese nicht zu schnell bejaht.

Unmöglichkeit

liegt ja nur dann vor, wenn der

Schuld

ner die Leistung subjektiv/objektiv nicht mehr erbringen kann und ist eng verknüpft mit der Frage, was der

Schuld

ner im vorliegenden Fall

schuld

et. Wenn es sich vorliegend zB um einen reinen Kaufvertrag handeln würde, dann könnte man hier die

Unmöglichkeit

in der Tat bejahen. Denn ge

schuld

et ist dort ja lediglich Übergabe und

Übereignung

des maßangefertigten Kleides (

Stückschuld

). Ist dieses zerstört, entfällt damit auch die

Primärleistungspflicht

. Anders dagegen hier, denn hier war die Herstellung ge

schuld

et. Insoweit ist es U ohne weiteres möglich, das Kleid erneut anzufertigen, wozu er auch verpflichtet ist (ähnlich wie, wenn im Kaufvertrag eine

Gattungsschuld

vereinbart ist und noch keine

Konkretisierung

des Kaufgegenstandes vorliegt. In diesem Fall kann sich der Verkäufer ebenfalls nicht auf

Unmöglichkeit

berufen, sondern muss einen anderen Gegenstand derselben Gattung besorgen). Wird es so etwas klarer? Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Eichhörnchen I

Eichhörnchen I

1.9.2022, 15:09:44

Hallo, warum ergibt sich der Anspruch auf die Vergütung aus §§ 650 S. 1, 433 II BGB und nicht aus § 631 Abs. I BGB? Im Text steht doch gar nichts bzgl. Lieferung. Ansonsten müsste bei § 650 auch noch der Absatz ergänzt werden. Liebe Grüße

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.10.2022, 12:01:58

Hallo Eichhörnchen I, der

Werklieferungsvertrag

wurde durch das zum 1.Januar 2002 in Kraft getretene

Schuld

rechtsmodernisierungsgesetz neu gefasst. In Abgrenzung zum Werkrecht werden die Regelungen des

Werklieferungsvertrag

s nun stets angewendet, wenn es um die Herstellung neuer, beweglicher Sachen geht. Der Begriff "Lieferung" in § 650 Abs. 1 BGB ist dabei nicht als Bring-/

Schickschuld

zu verstehen, sondern bezeichnet lediglich den Umstand, dass neben der Herstellung auch die

Übereignung

der Sache zu den Pflichten des Unternehmers gehört. Der Anwendungsbereich des Werkrechts ist damit in Abgrenzung zum

Werklieferungsvertrag

nun in erster LInie auf die Herstellung unbeweglicher Sachen oder die Reparatur/Änderung von bestehenden Sachen beschränkt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

NC

nondum conceptus

4.11.2024, 16:23:26

Warum wird auf 446 verwiesen. Dieser bezieht sich doch auf die Preisgefahr. Ist bei uns nicht § 650 I S.3 einschlägig?

FRED

Frederieke

5.5.2025, 00:17:56

Ich verstehe den Unterschied bzw. wann ich was annehmen muss einfach nicht, vor allem bei diesem Beispiel, weil ich an verschiedenen Stellen gelesen habe, das ein maßgeschneidertes Hemd/ Anzug gerade ein Beispiel für einen Werkvertrag ist, weil der Schwerpunkt auf der Herstellung läge. Warum wird aber hier bei dem Brautkleid jetzt ein

Werklieferungsvertrag

angenommen?

LMA

Lt. Maverick

5.5.2025, 10:15:40

Ich glaube, dass du etwas durcheinander bringst. Auch die Lieferung von maßgeschneiderten Anzügen ist ein

Werklieferungsvertrag

. Die Besonderheit ist nur, dass darauf nicht allein

Kaufrecht

, sondern auch einzelne Normen aus dem Werkvertragsrecht anwendbar sind. Bei den beweglichen Sachen muss es sich nach § 650 I S. 1 BGB um vertretbare Sachen iSv § 91 BGB handeln.

Nicht vertretbare Sachen

sind so individuell, dass sie nicht ohne weiteres austauschbar sind. Auf

nicht vertretbare Sachen

sind nach § 650 I S. 3 BGB die zitierten Normen aus dem Werkvertragsrecht neben dem

Kaufrecht

anwendbar. Der Unterschied zwischen Brautkleid und Maßanzug liegt hier wohl darin, dass das Brautkleid nicht exakt an die B angepasst ist. Vermutlich hat sie nur ihre Kleidergröße mitgeteilt und aus einer Auswahl vergangener Arbeiten des Schneiders gewählt. Kleidergröße M z.B. ist ein gängiges Maß im Verkehr, ebenso ein Schnittmuster eines Kleids (die kann man nämlich regelmäßig kaufen). Sonst müsste im Sachverhalt stehen, dass der Unternehmer bei ihr Maß genommen hat, das Kleid nach ihren Wünschen mit den von ihr ausgesuchten Stoffen geschneidert hat. Ein Maßanzug hingegen, wie der Begriff schon vermuten lässt, ist im Regelfall so geschneidert, dass er nicht austauschbar ist. Das ist ein Unikat und gibt es so nicht auf dem Markt, weder nach Maß noch nach dem Schnitt mit den eingesetzten Stoffen. Nicht jede „Handarbeit“ ist ein Unikat. Ich kann mir beim Tischler einen Stuhl bestellen, ohne konkrete Wünsche zu äußern. Der Tischler wird den Stuhl nach den üblichen DIN-Maßen herstellen und womöglich ein Modell wählen, dass zu seinem üblichen Repertoire (Muster) gehört. Wenn ich aber beim Tischler einen Stuhl bestelle, besondere Maße vorgebe, die von den marktüblichen Maßen abweichen, um besondere Zierelemente bitte und z.B. Schnitzereien mit dem Familienwappen - ja, sowas gibt es nicht noch einmal auf der Welt. Dieser Stuhl wäre dann gerade keine vertretbare Sache iSv § 91 BGB. Es kann immer wieder Abgrenzungsschwierigkeiten geben und wenn es gerade um Sachen und Branchen geht, die einem nicht geläufig sind, wird es wohl auch differenzierte Meinungen für die Einordnung geben. Wichtig ist dann nur eine vernünftige Argumentation für die Einordnung anzuführen.

FRED

Frederieke

5.5.2025, 10:49:23

@[Lt. Maverick](229751) Danke für die ausführliche Antwort!


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