Strafrecht

Strafprozessrecht

Das Beweisrecht

Fernwirkung von Verwertungsverboten

Fernwirkung von Verwertungsverboten

6. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

G hat ein Kind entführt. Nach drei Tagen wird er vorläufig festgenommen. Bei der Vernehmung weigert er sich auszusagen. Weil die Zeit drängt, droht Polizist P dem G mit Folter, wenn er nicht verrät, wo das Kind ist. Daraufhin verrät G den Fundort der Leiche.

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Einordnung des Falls

Fernwirkung von Verwertungsverboten

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Aussage ist verwertbar.

Nein, das ist nicht der Fall!

Aussagen, die unter Verletzung des Verbotes des § 136a Abs. 1 StPO zu Stande gekommen sind, dürfen nicht verwertet werden (§ 136a Abs. 3 S. 2 StPO). Es handelt sich um ein absolutes Beweisverwertungsverbot, dass auch dann gilt, wenn der Beschuldigte der Verwertung zustimmt. Auch ein Widerspruch in der Hauptverhandlung ist bei einem Verstoß gegen § 136a StPO nicht erforderlich. Weil B Folter angedroht wurde, ist die Aussage unverwertbar.
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2. Die Leiche darf ausgegraben und gegen G als Beweismittel verwendet werden.

Ja, in der Tat!

Nach hM gibt es in Deutschland keine „fruit of the poisonous tree doctrine” (anders bspw. in den USA). Mittelbar gewonnene Beweise unterliegen keinem Verwertungsverbot (keine Fernwirkung). Denn ein Verfahrensverstoß darf nicht das gesamte Ermittlungsverfahren lahm legen. Außerdem lässt sich kaum sicher feststellen, ob der Verfahrensverstoß für die Überführung des Beschuldigten wirklich ursächlich geworden ist. Es ist daher nur die Aussage selbst unverwertbar. Die mittelbaren Beweise, die mit Hilfe der Aussage gewonnen worden sind, bleiben verwertbar. Erlaubt ist es also, den Zeugen zu vernehmen, dessen Namen ein Beschuldigter unter Hypnose genannt hat, den Tatort zu besichtigen, den er in übermüdetem Zustand erwähnt hat, und die Leiche auszugraben, deren Versteck er unter Folter preisgegeben hat. Die Leiche des Kindes darf als (mittelbares) Beweismittel verwendet werden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TJU

Tr(u)mpeltier junior

16.1.2021, 00:48:21

Moin zusammen, kann es sein, dass das Datum der Entscheidung etwas verrutscht ist. Der Fall erinnert stark an den daschner Prozess, der ist aber von Anfang der 2000er (vgl. https://jura-online.de/blog/2018/01/03/daschner-prozess/). Lief kürzlich auch als schirach Verfilmung im ZDF (unter Feinden).

t o m m y

t o m m y

16.1.2021, 06:28:06

hm, bei gaefgen gings ja weniger wirklich um die

fernwirkung

als solche + da war schon alles geklaert, und bei daschner gings gar nicht mehr um BVV. in der zitierten entscheidung gehts aber ganz speziell um die (dort vom bgh abgelehnte)

fernwirkung

iSd fruit of the poisonous tree

TJU

Tr(u)mpeltier junior

16.1.2021, 17:52:11

Da hast du natürlich recht. War nur etwas irritiert, als ich auf dem angegebenen link einen völlig anderen Sachverhalt sowie nix zur Folter fand. Aber wenn der Fokus hier allein auf der

fernwirkung

liegen soll, passt das :)

Juramaus

Juramaus

14.12.2022, 12:31:57

Eine Frage zur

Fortwirkung

: Die erste Aussage des G ist nicht verwertbar. Eine zweite Aussage vor einer Ermittlungsrichterin wäre aber verwertbar, vorausgesetzt G wird qualifiziert belehrt, oder nicht? Wie ist das mit der Befragung der Ermittlungsrichterin im HV? Und wäre die Aussage der Ermittlungsrichterin von der Fort- oder

Fernwirkung

betroffen?

FW

FW

26.9.2024, 11:11:39

Hi, Das Argument, dass ja nicht das gesamte Ermittlungsverfahren lahmgelegt werden darf, überzeugt mich nicht. Gerade durch diese Rechtsprechung wird ja den Strafverfolgungs

behörde

n die Tür zur Anwendung von Vernehmungsverboten geöffnet, weil sie zumindest mittelbar Informationen gewinnen können. Auch die Kausalität ist hier m.E. eindeutig, da der Fund einer Leiche ohne das Wissen des Täters ziemlich schwierig sein kann ( man denke an den Fall Rebecca Reusch aus Berlin). Zu guter letzt müssen doch auch das fair-trial Prinzip und der neme tenetur Grundsatz. Letztendlich hat nämlich der Herr Gäfgen an seiner Überführung mitgewirkt. Und dieses Vorgehen der Polizei würde ich rein rechtlich betrachtet nicht unbedingt als „faires Verfahren“ beurteilen. Menschlich absolut nachvollziehbar, rechtlich jedoch schwer begründbar.


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