Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
AGG
Persönlichkeitsrechtsverletzung beim „Online-Shopping
Persönlichkeitsrechtsverletzung beim „Online-Shopping
31. Mai 2025
6 Kommentare
4,7 ★ (26.177 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K möchte bei Onlinehändler V Kleidung kaufen. Während des Bestellvorgangs muss K zwischen den Anreden „Herr" und Frau" wählen. K ist non-binär und verklagt V auf Unterlassung und Geldentschädigung. Auf Ks Verlangen hatte V schon vorher die Option „divers/keine Anrede" hinzugefügt.
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Einordnung des Falls
Persönlichkeitsrechtsverletzung beim „Online-Shopping
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K könnte ein Unterlassungsanspruch gegen V aus § 21 Abs. 1 S. 2 AGG zustehen.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Indem V verlangt hat, dass K zwischen der Anrede „Frau“ und „Herr“ wählen muss, liegt eine unmittelbare Benachteiligung wegen der sexuellen Identität vor (§§ 19 Abs. 1, 3 Abs. 1, 1 AGG).
Ja!
3. Erfolgte diese Benachteiligung bei Begründung, Durchführung oder Beendigung eines Massengeschäfts (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG)?
Genau, so ist das!
4. Ein Unterlassungsanspruch könnte K ferner aufgrund einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zustehen (§ 1004 Abs. 1 S. 2 analog, 823 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
5. Hat V das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) von K beeinträchtigt?
Ja!
6. Im Hinblick auf beide Unterlassungsansprüche (§ 21 Abs. 2 S. 3 AGG und § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog) besteht auch eine Wiederholungsgefahr.
Nein, das ist nicht der Fall!
7. K könnte aufgrund der erfolgten Benachteiligung ein Anspruch auf Geldentschädigung zustehen (§§ 21 Abs. 2 S. 3 AGG, 253 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
8. Für diesen Anspruch (§§ 21 Abs. 2 S. 3 AGG, 253 Abs. 1 BGB) reicht jedwede Beeinträchtigung aus.
Nein!
9. Die vorliegende Verletzung des Benachteiligungsverbots erreicht die erforderliche Intensitätsschwelle.
Nein, das ist nicht der Fall!
10. Ein Geldentschädigungsanspruch käme auch aufgrund der erfolgten Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Betracht (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
11. Auch dieser Anspruch scheitert indes daran, dass keine schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegt.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Philippe
4.8.2022, 13:38:52
Was ist eine nicht binäre Geschlechtsidentität wie es in dem Urteil heißt? Geht es da alleine um die individuelle Identifikation oder geht es um Personen, die biologisch keinem Geschlecht zugeordnet werden müssen. Bei ersterem hätte ich schon Schwierigkeiten, ein entsprechendes Diskriminierungsmerkmal aus § 1 zu bejahen.

Nora Mommsen
16.8.2022, 18:18:21
Hallo Philippe, non binäre Geschlechtsidentität bedeutet, dass sich die Person keiner der beiden bei uns vorherrschenden sozialen Geschlechter - also männlich oder weiblich - zuordnet unabhängig von seinem biologischen Geschlecht. Dies ist eine individuelle Frage und wird im deutschen Recht unter Geschlecht verortet. Fragen der Transsexualität - wenn also biologisches und psychisches Geschlecht auseinanderfallen - werden unter den Punkt der sexuellen Identität gefasst. Im europäischen Kontext wird dies zum Teil etwas abweichend gehandhabt, macht aber im Ergebnis keinen Unterschied. Die Diskriminierung aufgrund dieser Merkmale stellt eine Benachteiligung im Sinne des § 3 AGG dar. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Samia
24.9.2022, 17:20:22
Kann man eigentlich auch in Fällen bei denen es um Diskriminierungen geht und sich ein Vertragsverhältnis anbahnt die cic prüfen und 241 II als Schutz
pflichtverletzung? Also das er das APR als sonstiges Recht iSv 241 II verletzt hat oder geht das nur bei 823 I?

Lukas_Mengestu
28.9.2022, 19:27:06
Hallo Simsema, sehr schöner Gedanke. Aus § 241 Abs. 2 BGB folgt in der Tat ein Rücksichtsnahmegebot der Vertragsparteien, das man im Hinblick auf Diskriminierungen fruchtbar machen könnte. Ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot im Privatrecht wird allerdings überwiegend im Hinblick auf die hier grundsätzlich geltende Vertragsfreiheit abgelehnt (vgl. MüKo-BGB/Bachmann, 9.A. 2022, § 241 RdNr. 151). Die Rechtsprechung hat ein solches außerhalb des Anwendungsbereiches des AGG insoweit nur in Ausnahmekonstellationen angenommen (zB Veranstaltung, die für größeres Publikum geöffnet ist; marktbeherrschende Betreiber sozialer Netzwerke...). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Vanilla Latte
10.4.2025, 05:40:27
21 AGG wäre aber schon nicht anwendbar, weil keine weiteren Diskriminierungenzu besorgen sind, wie es für den Unterlassungsanapruch notwendig ist oder? Wo fliege ich bei 823 I iVm APR raus? Bereits bei Rechtsgustverletzung im Eingriff?
Timurso
10.4.2025, 12:30:08
1. Du solltest genauer zitieren, da § 21 AGG eine Vielzahl von Anspruchsgrundlagen enthält. Meinst du § 21 I 2 AGG? Dieser ist zwar anwendbar, aber die Tatbestandsvoraussetzungen sind mangels weiterer zu besorgender Diskriminierungen nicht erfüllt. Die anderen Anspruchsgrundlagen in § 21 AGG setzen dagegen eine Wiederholungsgefahr gar nicht voraus und sind ebenfalls grundsätzlich anwendbar. 2. Eine Rechtsgutsverletzung liegt vor. Insgesamt würde ich die Voraussetzungen des § 823 I BGB bejahen und einen Anspruch erst auf Rechtsfolgenseite im Hinblick auf die im Fall erläuterte Rechtsprechung ablehnen.