Strafrecht

BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.

Gefährliche Körperverletzung, § 224 StGB

Ärztliche Instrumente als gefährliches Werkzeug (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB)

Ärztliche Instrumente als gefährliches Werkzeug (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB)

21. Dezember 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Aufgrund anhaltender Kopfschmerzen verlangt O von Zahnarzt T eine Zahnextraktion der plombierten Zähne. Diese ist medizinisch nicht indiziert. T entfernt aufgrund eines Missverständnisses alle im Oberkiefer befindlichen Zähne.

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Einordnung des Falls

Ärztliche Instrumente als gefährliches Werkzeug (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat den objektiven Tatbestand der einfachen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) erfüllt.

Ja!

Unter die Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) fallen die körperliche Misshandlung (§ 223 Abs. 1 Var. 1 StGB) und die Gesundheitsschädigung (§ 223 Abs. 1 Var. 2 StGB). Eine körperliche Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird. Eine Gesundheitsschädigung ist das Hervorrufen oder Steigern eines nicht nur unerheblichen krankhaften (= pathologischen) Zustandes. O fehlen alle Zähne ihres Oberkiefers. Sie ist nun darauf angewiesen, Prothesen zu tragen. Somit kommt es zumindest zu einem pathologischen Zustand, der auch dauerhaft vom Normalzustand abweicht (Gesundheitsschädigung). Auf den Streitentscheid, ob ärztliche Eingriffe überhaupt den Tatbestand einer Körperverletzung erfüllen, kommt es hier nicht an. Denn auch nach der Lit. Ansicht, die darauf abstellt, ob der Eingriff indiziert ist oder nicht, liegt hier eine Körperverletzung vor.
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2. T handelte durch die Einwilligung der O gerechtfertigt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein ärztlicher Heileingriff kann durch Einwilligung gerechtfertigt sein, wenn der Eingriff lege artis, also fehlerfrei, durchgeführt wird. Die Einwilligung der O beruhte auf ihrer laienhaften Unkenntnis und einer schlechten seelischen Verfassung. Auch bezog sie sich nur auf einen einen Eingriff, der Heilungsaussichten bietet (Heileingriff). Dies war jedoch gerade nicht der Fall. Es gab keine medizinische Indikation. Auch war es dem Zahnarzt völlig klar, dass es sich nicht um einen therapeutischen Eingriff handelte.

3. Die zahnärztliche Zange könnte ein „gefährliches Werkzeug“ (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB) darstellen.

Ja, in der Tat!

Werkzeugist jeder bewegliche Gegenstand, mittels dessen durch Einwirkung auf den Körper eine Verletzung zugefügt werden kann. Gefährlich ist ein Werkzeug, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen (potentielle Gefährlichkeit).Das StGB wurde im Jahr 1998 neugefasst. Die erhöhte Strafbarkeit in §223a StGB a.F. war hauptsächlich an den Gebrauch einer Waffe geknüpft. Das gefährliche Werkzeug war nur ein Beispiel der Waffe und musste daher waffenähnlich sein. Dies wäre nur gegeben, wenn der Gegenstand zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken benutzt wurde. Nach der Neufassung sind Waffen nur nur noch ein Unterfall des gefährlichen Werkzeugs. Entscheidend ist nicht mehr der Einsatz des Gegenstands als Angriffs- oder Verteidigungsmittel. Es kommt vielmehr darauf an, ob der Gegenstand im Einzelfall geeignet ist erhebliche Verletzungen hervorzurufen.

4. T hat den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB erfüllt.

Ja, in der Tat!

Ein gefährliches Werkzeug iSv § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB ist jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner Beschaffenheit und nach seiner konkreten Art der Benutzung geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. T hat zur Zahnextraktion medizinisches Werkzeug verwendet, das abstrakt geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen und von T auch so eingesetzt wurde. O hat erhebliche Verletzungen in der Mundhöhle erlitten.In einer Entscheidung von 1978 hatte der BGH auf der Grundlage des § 223a StGB a.F. noch geurteilt, dass ärztliche Instrumente aus dem Anwendungsbereich ausscheiden, wenn sie von einem Arzt fachgerecht in Ausübung seines Berufes gebraucht werden. Denn dann würden sie nicht in Angriffs- oder Verteidigungsrichtung verwendet. Im Hinblick auf die neue Gesetzeslage hat das OLG Karlsruhe klargestellt, dass nun auch medizinische Werkzeuge unter den Begriff des gefährlichen Werkzeugs fallen können. Der BGH hat diese Auslegung in einem anderen Verfahren bestätigt (BGH, Urt. v. 19.12.2023 - 4 StR 325/23). Eine aktuelle Entscheidung des BGH aus dem Jahre 2023 haben wir für euch in unserem Rspr.-Kurs aufbereitet.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DIAA

Diaa

27.8.2023, 18:18:54

Im Sachverhalt steht nichts zur Mundverletzungen, sodass man aE die letzte Frage verneinen sollte... Dazu steht es nur in der Antwort...

Selma🌻

Selma🌻

18.2.2024, 13:30:39

Wenn dir Zähne gezogen werden hast du immer Mundverletzungen, das sind ja praktisch offene Wunden. Das wird gemeint sein.

Sophix58

Sophix58

9.10.2023, 08:09:53

Worin genau liegt denn jetzt der Unterschied zwischen Werkzeugen zum Haareschneiden (Schere zum Beispiel) und medizinischen Werkzeugen?

LELEE

Leo Lee

14.10.2023, 19:10:28

Hallo sophix58, eine Rechtsprechung, die zwischen einem "normalen" und einem "medizinischen" Werkzeug unterscheidet, ist uns leider noch nicht bekannt. Allerdings würde sich dem Sachverhalt entnehmen lassen, ob ein medizinisches Werkzeug vorliegt (etwa "Zange" beim Arzt oder "Skalpell" usw.) :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

Natze

Natze

27.8.2024, 09:02:22

Ist nun eine Spritze, Skalpell etc, also jedes medizinische Instrument eine gefährliches Werkzeug nach der neuen Rechtsprechung?

Tobias Krapp

Tobias Krapp

30.8.2024, 11:17:36

Hallo Natze, danke für deine Nachfrage. Es ist nicht per se jedes medizinisches Instrument als gefährliches Werkzeug zu qualifizieren. Es kommt nun für jedes medizinische Instrument auf die allgemeine Formel an, das Instrument muss also nach seiner objektiven

Beschaffenheit

und der Art seiner Verwendung im

Einzelfall

dazu geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. Das muss also für jedes Instrument im

Einzelfall

entschieden werden. Bei einer Spritze wird man das wohl regelmäßig zu verneinen haben, bei einem Skalpell regelmäßig zu bejahen. Beachte bitte noch Folgendes: Der BGH hat diese neue Auslegung bisher ausdrücklich auf Fälle eines medizinisch nicht indizierten Eingriffs beschränkt, wie hier in der Aufgabe. Er hat sich also eine "Hintertür" für die Fälle eines medizinisch indizierten Eingriffs offengelassen. An und für sich wäre eine Unterscheidung hier zwar kaum überzeugend, schließlich ändert sich an der objektiven Gefährlichkeit der Begehungsweise, die §

224 StGB

erfassen will und auf die der BGH seine neue Rechtsprechung neben der Änderung des Gesetzeswortlauts maßgeblich stützt, nichts dadurch, dass der Eingriff medizinisch indiziert ist. Es bleibt aber abzuwarten, ob der BGH - wie nicht selten im Medizinstrafrecht - hier wertungsmäßig unterscheidet und die "redliche" Ärzteschaft, die nur dem Patienten medizinisch indiziert helfen will, vor den höheren Strafrahmen des § 224 I StGB schützt. In der Klausur würde ich bis dahin empfehlen, eine solche Differenzierung kurz anzureißen, dann aber mit der obigen Argumen

tat

ion zu verwerfen. Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias

Natze

Natze

30.8.2024, 13:04:13

Das ist die perfekte Erklärung! Vielen Dank! 🙏

AME

Amelie7

4.11.2024, 17:28:58

Es wäre gut wenn in den Lösungen wenigstens kurz vermerkt ist, dass sich die neue Rechtsprechung auf nicht indizierte Eingriffe beschränkt.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

15.11.2024, 10:25:17

Hey, wir haben einen aktuellen Beschluss vom BGH aus dem Jahre 2023 zu dieser Thematik für euch aufbereitet: https://applink.jurafuchs.de/SRDVcBnBxOb Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team


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