Fehlen der Geschäftsgrundlage

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K und B wollen Grundstücke tauschen. In einem notariellen Vertrag verpflichten sie sich, ihre unvermessenen Grundstücke von jeweils „ca. 28.000m²“ zu übertragen. Diese sind in einem beigefügten Lageplan eingezeichnet. Bs Grundstück ist tatsächlich nur 18.000 m² groß, was beide erst später erfahren.

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Einordnung des Falls

Fehlen der Geschäftsgrundlage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Identität der Grundstücksgrößen ist Vetragsbestandteil. Da die Grundstücke voneinander abweichen, liegt ein Mangel vor.

Nein!

BGH: Werde bei dem Verkauf einer noch nicht vermessenen Grundstücksfläche der Vertragsgegenstand in der notariellen Urkunde sowohl durch eine Grenzziehung in einem maßstabsgerechten Plan als auch durch eine als ungefähr bezeichnete Flächenmaßangabe bestimmt, so sei bei Differenzen zwischen der bezifferten und der der Grenzziehung entsprechenden umgrenzten Flächengröße die Bezifferung in der Regel ohne Bedeutung und die Umgrenzung allein maßgeblich.Ausgehend von den maßgeblichen Zeichnungen im Lageplan haben K und B vereinbart Ks Grundstück (28.000 m²) gegen Bs Grundstück (18.000 m²) zu tauschen. Die Identität der Größen ist damit nicht Vertragsbestandteil
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2. Die Identität der Grundstücksgrößen ist Geschäftsgrundlage des Vertrags.

Genau, so ist das!

Geschäftsgrundlage sind nach h.M. die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsabschluss aber zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, auf denen der Geschäftswille der Parteien sich aufbaut.K und B haben identische Größenangaben bezüglich der Grundstücke in den Vertragstext aufgenommen. Daraus ergibt sich, dass sie davon ausgingen, dass die Grundstücksgrößen in etwa gleich sind.

3. Fehlt die Geschäftsgrundlage, so kann unter den Voraussetzungen des § 313 Abs. 2 BGB ebenfalls eine Anpassung des Vertrages verlangt werden.

Ja, in der Tat!

Eine Vertragsanpassung ist nicht nur bei nachträglicher Veränderung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) möglich. Vielmehr besteht die Möglichkeit nach § 313 Abs. 2 BGB auch dann, wenn (1) anfängliche, wesentliche Vorstellungen der Parteien sich als falsch herausgestellt haben (reales Element). (2) Auch hier dürften die Parteien den Vertrag nicht oder nur mit anderem Inhalt geschlossen haben, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten (hypothetisches Element). (3) Zudem darf einem Teil das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden können (normatives Element).Das Prüfschema beim Fehlen der Geschäftsgrundlage ist also nahezu identisch zu deren Wegfall.

4. K und Bs Vorstellungen über die Geschäftsgrundlage haben sich als falsch herausgestellt (reales Element).

Ja!

Nach § 313 Abs. 2 BGB liegt eine Störung der Geschäftsgrundlage auch dann vor, wenn sich wesentliche Vorstellungen der Parteien als falsch herausgestellt haben.K und B haben Bs Grundstücksgröße beide falsch eingeschätzt und unterlagen somit einem beiderseitigen Irrtum darüber, dass die Grundstücke annähernd gleich sind.

5. K und B hätten den Vertrag nicht oder anders geschlossen, hätten sie vorausgesehen, dass Bs Grundstück deutlich kleiner ist.

Genau, so ist das!

Im Hinblick auf das hypothetische Element ist gefordert, dass sich die den Parteien gemeinsame Fehlvorstellung hinsichtlich der eingetretenen Störung auf den Inhalt des Vertrags ausgewirkt hat. Der Vertrag muss eine Regelungslücke enthalten, sodass das Risiko der Störung vertraglich keiner Partei zugewiesen ist. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass K und B das Risiko eines Irrtums über die Grundstücksgröße einseitig einer Partei aufbürden wollten. Da sie davon ausgingen, dass die Grundstücksflächen bei identischer Größe wertgleich sind, hätten sie bei Kenntnis des Größenunterschieds den Vertrag so nicht geschlossen.

6. Das Festhalten am Vertrag ist K zumutbar.

Nein, das trifft nicht zu!

Unzumutbar ist das Festhalten, wenn ansonsten untragbare, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarer Folgen drohen. Bei der Bewertung der Rechtsfolgen kommt der vertraglichen Risikoverteilung besondere Bedeutung zu. § 313 BGB ist nicht anwendbar, wenn sich durch die Störung vordringlich ein Risiko verwirklicht, das eine Partei zu tragen hat.K und B gingen von einer identischen Flächengröße aus. Das Grundstück ist mehr als 35% bzw. 10.000m² kleiner, als von den Parteien intendiert. Angesichts dieses großen Unterschieds ist es K unzumutbar an dem Vertrag festzuhalten. Als Rechtsfolge kommt zunächst die Vertragsanpassung in Betracht. Im konkreten Fall hat der BGH K aufgrund von Bs prozessualem Verhalten sogar den Rücktritt nach § 313 Abs. 3 BGB zugestanden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PH

Philippe

5.5.2022, 18:43:07

Hm, welche Art der Vertragsanpassung kommt denn hier überhaupt infrage? Eine bare Zuzahlung kann es m. E. schwerlich sein, weil die Parteien eben nur ein Tauschgeschäft angestrebt haben und keine Geldleistung vereinbarten. Insoweit würde eine bare Zuzahlung zu einem krassen Kontrahierungszwang führen. Eine Teilung des größeren Grundstücks und Teilrückübertragung wäre wohl auch zu umständlich, soweit überhaupt möglich. Im Ergebnis macht hier doch also nur ein Rücktritt Sinn oder?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

6.5.2022, 10:47:03

Hallo Phillippe, auch wenn die ursprüngliche Intention natürlich nur ein Tauschgeschäft war, so wäre grundsätzlich eine Barzahlung durchaus denkbar gewesen, wenn sich herausstellt, dass das Tauschgeschäft für die eine Partei deutlich vorteilhafter war. Der BGH hat sich hiermit nicht im Einzelnen auseinandergesetzt, sondern sich einfach darauf gestützt, dass B im Prozess lediglich die Voraussetzungen des Vorliegens der Geschäftsgrundlage in Abrede gestellt hat, sich aber nicht gegen die Rechtsfolge des Rücktritts gewehrt hat. Denn K hatte bereits in den Vorinstanzen vorgeschlagen, den Vertrag einfach rückabzuwickeln. Aus dem Umstand, dass B sich hiergegen nicht gewendet hat, hat der BGH die Erklärung abgeleitet, dass B für den Fall des Vorliegens der Voraussetzungen der Geschäftsgrundlage mit einer Rückabwicklung einverstanden sei (vgl. RdNr. 27). Die Nachrangigkeit des Rücktritts komme aber dann nicht mehr zum Tragen, wenn beiden Parteien nicht mehr an einer Aufrechterhaltung des Vertrags gelegen ist, weswegen man hier nicht über eine Anpassung nachdenken musste (und die Frage, ob eine solche auch für B zumutbar ist). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SH

Shilaw

8.9.2023, 17:45:51

Reicht es wirklich aus, dass nur eine Vertragspartei sich wesentliche Vorstellungen bezogen auf die Vertragsgrundlage gemacht hatte, die sich nun als falsch herausstellen? Sinnvoller käme mir dies von beiden Seiten vor?

Paulah

Paulah

10.9.2023, 13:21:11

Der Gesetzestext lautet: Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit e i n e m Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

QUAR

Quarklo

8.8.2024, 17:29:52

Eine einseitig falsche Vorstellung reicht nur aus, sofern die Wichtigkeit dieses Umstandes für den anderen Teil erkennbar war und von diesem gebilligt wurde

QUIG

QuiGonTim

10.3.2024, 21:20:13

Würde mir dieser Fall in einer Klausur unterkommen, würde ich eher an § 275 Abs. 1 BGB denken. Denn es ist unmöglich das hinsichtlich seiner Lage klar bezeichnete Grundstück mit einer Fläche von ca. 28.000 qm zu übereignen, weil es ein solche sGrundstück gar nicht gibt. Wie entscheide ich in einem solchen Fall in der Klausur, ob ich über §§ 326 Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB oder über § 313 Abs. 3 BGB zum Rücktritt gelange?

0815jurafuchs

0815jurafuchs

27.4.2024, 16:02:20

Weiß nicht ob 275 hier funktionieren würde. Der BGH meinte ja, dass Vertragsbestandteil nicht die Größe des Grundstücks von 28T qm war, sondern das in den Plänen umzeichnete Grundstück. Und dieses Grundstück zu Überlingen war dem Vertragspartner möglich. Es war danach nur die Vorstellung einer Vertragspartei darüber, dass dieses Grundstück 28T qm groß war, was zum Rücktritt berechtigte weil diese Vorstellung Grundlage des Vertrages war. Daher der Rücktritt nach 313

Josef K.

Josef K.

2.5.2024, 13:40:27

Hallo, die Formulierung des Maßstabs für Abs. 2 hinsichtlich des 2. Pruefungspunktes, der Vorhersehung der Änderung eines Umstandes, scheint mir missverständlich, denn dieser hat sich, anders als in Abs. 1, nicht verändert, allein die Vorstellung bezüglich dieses Umstandes änderte sich, wurde enttäuscht. Viele Grüße J

MAS

Mar St

24.5.2024, 11:15:14

Hallo! Vielleicht bin ich ja jetzt gedanklich komplett falsch abgebogen, aber wäre in dem vorliegenden Fall nicht auch eine Anfechtung wegen eines

Eigenschaftsirrtum

s möglich?

LELEE

Leo Lee

27.5.2024, 11:49:43

Hallo Mar St, vielen Dank für den sehr wichtigen Hinweis! In der Tat könnte man in dieser Konstellation eine Anfechtung nach 119 II andenken. Achte jedoch darauf, dass vorliegend ein not. Vertrag (d.h. ein Kaufvertrag i.V.m. 311b) geschlossen wurde. Und 119 II wird im Anwendungsbereich eines Vertrages grds. ausgeschlossen, weil ansonsten hierdurch die kürzeren Gewährleistungsfristen (bei Mängeln 2 Jahre) umgangen werden könnten; ein Ausnahmetatbestand der Arglist liegt hier auch nicht vor, weshalb hier 119 II ausscheiden dürfte. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Armbrüster § 119 II Rn. 29 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

AN

Antonia

30.8.2024, 10:16:40

Wie wäre der Fall zu bewerten, dass es zu einem wirksamen Kaufvertrag über ein Grundstück inklusive Haus kommt, vor der

Übereignung

, also vor der Erfüllung, es aberzu einer starken Inflation kommt und somit Geld nicht mehr viel wert ist. Würde dieser Fall auch unter §313 fallen, also läge eine Äquivalenzstörung vor, oder wären Leistung (Eigentumsübertragung des Grundstücks und Haus) und Gegenleistung (

Übereignung

Geld) immer noch gleichwertig, weil durch die Inflation auch das Grundstück mit Haus weniger wert ist?

LELEE

Leo Lee

1.9.2024, 17:44:57

Hallo Antonia, vielen Dank für die sehr gute Frage! Vorab: Du liegst völlig richtig mit deinem Gefühl bzgl. der Inflation, denn für genau diese Fälle wurde die Norm quasi geschafft (siehe hierzu etwa den Rubel-Fall, in dem aufgrund einer Hyperinflation die Rückzahlung einer Schuld faktisch wertlos war). Bei einer Inflation, die das übliche Maß einhält, kann 313 natürlich nicht zur Anwendung gelangen (weil die Veränderung dann nicht schwerwiegend wäre). Für eine Vertragsanpassung gilt grds., dass bei einer Inflation von etwa 10% ausreicht. Da allerdings die Kasuistik hierzu sehr umfangreich ist, kann ich die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Finkenauer § 313 Rn. 187 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

AN

Antonia

1.9.2024, 17:53:26

@[Leo Lee](213375) Danke für die schnelle Antwort! Verstehe ich dich richtig, wenn die Inflation mehr als 10% beträgt, wäre in meinen geschilderten Fall §313 anwendbar? Ich habe von einem Anwalt gehört, dass §313 für meinen geschilderten Fall nicht anwendbar wäre, da ja nicht nur das Geld entwertet wäre (bei einer sehr starken Inflation), sondern das Haus in einem solchen Fall auch nichts mehr wert wäre und somit die für §313 erforderliche Äquivalenzstörung nicht vorliegen würde. Stimmt das?


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