Zivilrecht
Schuldrecht Allgemeiner Teil
Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB
Fehlen der Geschäftsgrundlage
Fehlen der Geschäftsgrundlage
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K und B wollen Grundstücke tauschen. In einem notariellen Vertrag verpflichten sie sich, ihre unvermessenen Grundstücke von jeweils „ca. 28.000m²“ zu übertragen. Diese sind in einem beigefügten Lageplan eingezeichnet. Bs Grundstück ist tatsächlich nur 18.000 m² groß, was beide erst später erfahren.
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Einordnung des Falls
Fehlen der Geschäftsgrundlage
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Identität der Grundstücksgrößen ist Vetragsbestandteil. Da die Grundstücke voneinander abweichen, liegt ein Mangel vor.
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Identität der Grundstücksgrößen ist Geschäftsgrundlage des Vertrags.
Genau, so ist das!
3. Fehlt die Geschäftsgrundlage, so kann unter den Voraussetzungen des § 313 Abs. 2 BGB ebenfalls eine Anpassung des Vertrages verlangt werden.
Ja, in der Tat!
4. K und Bs Vorstellungen über die Geschäftsgrundlage haben sich als falsch herausgestellt (reales Element).
Ja!
5. K und B hätten den Vertrag nicht oder anders geschlossen, hätten sie vorausgesehen, dass Bs Grundstück deutlich kleiner ist.
Genau, so ist das!
6. Das Festhalten am Vertrag ist K zumutbar.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Philippe
5.5.2022, 18:43:07
Hm, welche Art der Vertragsanpassung kommt denn hier überhaupt infrage? Eine bare Zuzahlung kann es m. E. schwerlich sein, weil die Parteien eben nur ein Tauschgeschäft angestrebt haben und keine Geldleistung vereinbarten. Insoweit würde eine bare Zuzahlung zu einem krassen
Kontrahierungszwangführen. Eine Teilung des größeren Grundstücks und Teilrückübertragung wäre wohl auch zu umständlich, soweit überhaupt möglich. Im Ergebnis macht hier doch also nur ein Rücktritt Sinn oder?
Lukas_Mengestu
6.5.2022, 10:47:03
Hallo Phillippe, auch wenn die ursprüngliche Intention natürlich nur ein Tauschgeschäft war, so wäre grundsätzlich eine Barzahlung durchaus denkbar gewesen, wenn sich herausstellt, dass das Tauschgeschäft für die eine Partei deutlich vorteilhafter war. Der BGH hat sich hiermit nicht im Einzelnen auseinandergesetzt, sondern sich einfach darauf gestützt, dass B im Prozess lediglich die Voraussetzungen des Vorliegens der Geschäftsgrundlage in Abrede gestellt hat, sich aber nicht gegen die Rechtsfolge des Rücktritts gewehrt hat. Denn K hatte bereits in den Vorinstanzen vorgeschlagen, den Vertrag einfach rückabzuwickeln. Aus dem Umstand, dass B sich hiergegen nicht gewendet hat, hat der BGH die Erklärung abgeleitet, dass B für den Fall des Vorliegens der Voraussetzungen der Geschäftsgrundlage mit einer Rückabwicklung einverstanden sei (vgl. RdNr. 27). Die Nachrangigkeit des Rücktritts komme aber dann nicht mehr zum Tragen, wenn beiden Parteien nicht mehr an einer Aufrechterhaltung des Vertrags gelegen ist, weswegen man hier nicht über eine Anpassung nachdenken musste (und die Frage, ob eine solche auch für B zumutbar ist). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Shilaw
8.9.2023, 17:45:51
Reicht es wirklich aus, dass nur eine Vertragspartei sich wesentliche Vorstellungen bezogen auf die Vertragsgrundlage gemacht hatte, die sich nun als falsch herausstellen? Sinnvoller käme mir dies von beiden Seiten vor?
Paulah
10.9.2023, 13:21:11
Der Gesetzestext lautet: Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit e i n e m Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Quarklo
8.8.2024, 17:29:52
Eine einseitig falsche Vorstellung reicht nur aus, sofern die Wichtigkeit dieses Umstandes für den anderen Teil erkennbar war und von diesem gebilligt wurde
QuiGonTim
10.3.2024, 21:20:13
Würde mir dieser Fall in einer Klausur unterkommen, würde ich eher an § 275 Abs. 1 BGB denken. Denn es ist unmöglich das hinsichtlich seiner Lage klar bezeichnete Grundstück mit einer Fläche von ca. 28.000 qm zu übereignen, weil es ein solche sGrundstück gar nicht gibt. Wie entscheide ich in einem solchen Fall in der Klausur, ob ich über §§ 326 Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB oder über § 313 Abs. 3 BGB zum Rücktritt gelange?
0815jurafuchs
27.4.2024, 16:02:20
Weiß nicht ob 275 hier funktionieren würde. Der BGH meinte ja, dass Vertragsbestandteil nicht die Größe des Grundstücks von 28T qm war, sondern das in den Plänen umzeichnete Grundstück. Und dieses Grundstück zu Überlingen war dem Vertragspartner möglich. Es war danach nur die Vorstellung einer Vertragspartei darüber, dass dieses Grundstück 28T qm groß war, was zum Rücktritt berechtigte weil diese Vorstellung Grundlage des Vertrages war. Daher der Rücktritt nach 313
Josef K.
2.5.2024, 13:40:27
Hallo, die Formulierung des Maßstabs für Abs. 2 hinsichtlich des 2. Pruefungspunktes, der Vorhersehung der Änderung eines Umstandes, scheint mir missverständlich, denn dieser hat sich, anders als in Abs. 1, nicht verändert, allein die Vorstellung bezüglich dieses Umstandes änderte sich, wurde enttäuscht. Viele Grüße J
Mar St
24.5.2024, 11:15:14
Hallo! Vielleicht bin ich ja jetzt gedanklich komplett falsch abgebogen, aber wäre in dem vorliegenden Fall nicht auch eine Anfechtung wegen eines
Eigenschaftsirrtums möglich?
Leo Lee
27.5.2024, 11:49:43
Hallo Mar St, vielen Dank für den sehr wichtigen Hinweis! In der Tat könnte man in dieser Konstellation eine Anfechtung nach 119 II andenken. Achte jedoch darauf, dass vorliegend ein not. Vertrag (d.h. ein Kaufvertrag i.V.m. 311b) geschlossen wurde. Und 119 II wird im Anwendungsbereich eines Vertrages grds. ausgeschlossen, weil ansonsten hierdurch die kürzeren Gewährleistungsfristen (bei Mängeln 2 Jahre) umgangen werden könnten; ein Ausnahmetatbestand der Arglist liegt hier auch nicht vor, weshalb hier 119 II ausscheiden dürfte. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Armbrüster § 119 II Rn. 29 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Antonia
30.8.2024, 10:16:40
Wie wäre der Fall zu bewerten, dass es zu einem wirksamen Kaufvertrag über ein Grundstück inklusive Haus kommt, vor der
Übereignung, also vor der Erfüllung, es aberzu einer starken Inflation kommt und somit Geld nicht mehr viel wert ist. Würde dieser Fall auch unter §313 fallen, also läge eine Äquivalenzstörung vor, oder wären Leistung (Eigentumsübertragung des Grundstücks und Haus) und Gegenleistung (
ÜbereignungGeld) immer noch gleichwertig, weil durch die Inflation auch das Grundstück mit Haus weniger wert ist?
Leo Lee
1.9.2024, 17:44:57
Hallo Antonia, vielen Dank für die sehr gute Frage! Vorab: Du liegst völlig richtig mit deinem Gefühl bzgl. der Inflation, denn für genau diese Fälle wurde die Norm quasi geschafft (siehe hierzu etwa den Rubel-Fall, in dem aufgrund einer Hyperinflation die Rückzahlung einer Schuld faktisch wertlos war). Bei einer Inflation, die das übliche Maß einhält, kann 313 natürlich nicht zur Anwendung gelangen (weil die Veränderung dann nicht schwerwiegend wäre). Für eine Vertragsanpassung gilt grds., dass bei einer Inflation von etwa 10% ausreicht. Da allerdings die Kasuistik hierzu sehr umfangreich ist, kann ich die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Finkenauer § 313 Rn. 187 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Antonia
1.9.2024, 17:53:26
@[Leo Lee](213375) Danke für die schnelle Antwort! Verstehe ich dich richtig, wenn die Inflation mehr als 10% beträgt, wäre in meinen geschilderten Fall §313 anwendbar? Ich habe von einem Anwalt gehört, dass §313 für meinen geschilderten Fall nicht anwendbar wäre, da ja nicht nur das Geld entwertet wäre (bei einer sehr starken Inflation), sondern das Haus in einem solchen Fall auch nichts mehr wert wäre und somit die für §313 erforderliche Äquivalenzstörung nicht vorliegen würde. Stimmt das?
Matschegenga
3.10.2024, 10:27:56
Das müsste man mE wohl davon abhängig machen, wie stark die Grundstückspreise steigen. Wenn diese von den Preissteigerungen nicht betroffen sind, dürfte keine Äquivalenzstörung vorliegen.
Johannes Nebe
3.10.2024, 16:05:03
Deinem Anwalt, @[Antonia](79449), ist schwer zu folgen. Bei einer Inflation wird nur das Geld entwertet, nicht die Immobilie. Deren (realer) Wert ist grundsätzlich unabhängig vom Geldwert. Der reale Immobilienwert kann natürlich selbst auch durch Marktmechanismen schwanken. Bei einer Inflation wird der reale Immobilienwert eher steigen, da das Kapital der Anleger dann statt in währungsabhängige Investitionen in Sachwerte fließt.