Zivilrecht

Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA)

Die echte GoA

Berechtigte GoA schließt sonstige Ansprüche tatbestandlich aus

Berechtigte GoA schließt sonstige Ansprüche tatbestandlich aus

5. Dezember 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Spaziergänger S beobachtet, wie Rentnerin R von einem streunenden Hund angegriffen wird und eilt ihr zu Hilfe. Es gelingt ihm, den Hund mit dem Gehstock der R in die Flucht zu schlagen. Dabei wird dieser beschädigt.

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Einordnung des Falls

Berechtigte GoA schließt sonstige Ansprüche tatbestandlich aus

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Abwehr des Hundes erfüllt die Grundvoraussetzungen einer echten GoA nach § 677 BGB.

Genau, so ist das!

Nach § 677 BGB setzen Ansprüche aus echter GoA (egal, ob berechtigt oder unberechtigt) voraus, dass ein Geschäftsführer (1) ein fremdes Geschäft (2) mit Fremdgeschäftsführungswillen ausführt, (3) ohne vom Geschäftsherrn beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein. Der Hund griff R an. Die Abwehr des Hundes ist damit ein reines Geschäft der R und somit für S fremd. Der Fremdgeschäftsführungswille wird vermutet. R hat den S weder dazu beauftragt, noch war der S gegenüber R sonst dazu berechtigt.
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2. Die Abwehr des Hundes stellt eine berechtigte GoA im Sinne des § 683 S. 1 BGB dar.

Ja, in der Tat!

Eine GoA ist nach § 683 S. 1 BGB berechtigt, wenn sie dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht. Der wirkliche Wille des Geschäftsherrn ist dabei stets vorrangig zu prüfen. Sein mutmaßlicher Wille wird erst relevant, wenn sein wirklicher Wille nicht ermittelbar ist, weil er diesen nicht geäußert hat. Der mutmaßliche Wille des Geschäftsherrn ergibt sich in der Regel aus seinem objektiven Interesse. Der wirkliche Wille der R war nicht ermittelbar, da sie diesen nicht geäußert hat. Die Abwehr des Hundes durch S entspricht jedoch Rs objektivem Interesse und damit seinem mutmaßlichen Willen.

3. R hat einen Anspruch auf Herausgabe des Gehstocks gegen S aus §§ 681 S. 2, 667 BGB.

Ja!

Nach §§ 681 S. 2, 667 BGB ist der Geschäftsführer einer GoA verpflichtet, dem Auftraggeber alles, was er zur Ausführung des Auftrags erhält und was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben. S hat den Stock der R zur Ausführung der GoA, nämlich zur Abwehr des Hundes in Besitz genommen.

4. R hat einen Schadensersatzanspruch gegen S wegen Ausführungsverschuldens aus §§ 677, 280 BGB wegen des beschädigten Gehstocks.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Schadensersatzanspruch nach §§ 677, 280 BGB erfordert (1) das Vorliegen eines Schuldverhältnisses (2) eine Verletzung der Pflicht zur ordentlichen Ausführung nach § 677 BGB und (3) ein Ausführungsverschulden durch den Geschäftsführer, sowie (4) einen darauf zurückzuführenden Schaden. Ein Schuldverhältnis liegt in Form der berechtigten, echten GoA vor. Nach § 677 BGB hat der Geschäftsführer das Geschäft so zu führen, wie das Interesse des Geschäftsherrn mit Rücksicht auf dessen wirklichen oder mutmaßlichen Willen es erfordert. Der Gehstock der R wurde bei der Abwehr des Hundes beschädigt, welche jedoch dem mutmaßlichen Willen der R entsprach. Damit liegt keine Verletzung der Pflicht zur ordentlichen Ausführung nach § 677 BGB vor.

5. R hat einen Schadensersatzanpruch gegen S aus EBV wegen des beschädigten Gehstocks (§§ 989, 990 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Schadensersatzanspruch nach §§ 989, 990 BGB setzt ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis voraus. Zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung muss (1) der Anspruchssteller Eigentümer der beschädigten Sache, (2) der Anspruchsgegner Besitzer (3) ohne Besitzrecht gewesen sein. R ist Eigentümerin des Gehstocks. In dem Zeitpunkt, als dieser beschädigt wurde, war S Besitzer. Da die Inbesitznahme jedoch der Ausführung einer berechtigten GoA diente, hatte er ein Recht zum Besitz an dem Gehstock.

6. R hat einen Schadensersatzanspruch gegen S aus Delikt wegen des beschädigten Gehstocks.

Nein!

Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB setzt (1) eine Verletzungshandlung, (2) eine Rechtsgutsverletzung und (3) die kausale Verknüpfung der beiden voraus. Ferner muss der Anspruchsgegner (4) rechtswidrig und (5) schuldhaft gehandelt haben. S hat durch die Abwehr des Hundes den Gehstock der R und damit deren Eigentum beschädigt. Diese Abwehrhandlung stellt jedoch zugleich eine berechtigte GoA dar. Eine solche gilt im Rahmen eines deliktischen Anspruchs als Rechtfertigungsgrund, der die Rechtswidrigkeit entfallen lässt.

7. R hat einen Anspruch auf Herausgabe des Gehstocks aus Bereicherungsrecht.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach § 812 Abs. 1 BGB ist derjenige, der durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ihm zur Herausgabe verpflichtet. S hat sich den Gehstock der R genommen und damit unmittelbaren Besitz am Gehstock in sonstiger Weise erlangt. Die Inbesitznahme diente der Abwehr des Hundes und somit in Ausführung einer berechtigten GoA. Eine solche stellt jedoch einen Rechtsgrund dar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

12.12.2022, 17:41:42

Wie ist hier das Verhältnis zwischen

Aggressivnotstand

und berechtiger GoA? Wäre §

904 BGB

auch analog auf eine Nothilfe, also wenn dem Täter selbst keine Gefahr droht anwendbar?

MAT

Matschegenga

22.3.2023, 10:52:25

Würde mich auch interessieren: Könnte man nicht denken, dass der

Aggressivnotstand

eine „sonstige Berechtigung“ iSd § 677 BGB verleiht? Oder könnte man dem entgegenhalten, dass §

904 BGB

dem Wortlaut nach kein Recht des Notstandshelfers zur Einwirkung begründet, sondern lediglich dem Eigentümer das Recht nimmt, dem Notstandshelfer die Einwirkung zu verbieten?

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

9.6.2023, 15:09:48

Mega gute Idee @[Matschegenga](138216) !

INDUB

InDubioProsecco

9.6.2023, 15:07:09

Ist hier der Anspruch auf Herausgabe aus

Bereicherungsrecht

wirklich ausgeschlossen? Er hat den Besitz mit Rechtsgrund erlangt, ja. Aber dieser Rechtsgrund müsste doch mit Abschluss der Geschäftsführung wegfallen, sodass ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB begründet sein müsste.

LO

Lorenz

28.8.2023, 10:12:29

Hab ich mich auch gefragt. Selbst den beschädigten Gehstock möchte die Frau doch wieder haben.

QUAR

Quarklo

20.7.2024, 07:26:05

Sie bekommt den Stock ja auch wieder. Nur aus GoA und nicht aus

Bereicherungsrecht

, welches ggü. quasivertraglichen Ansprüchen nachrangig ist

L.G

L.Goldstyn

10.8.2024, 17:58:00

@[InDubioProsecco](1641): Vielen Dank für die Frage, der ich mich gerne anschließe. Ich hätte aus denselben Gründen ebenfalls einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB bejaht.

AS

as.mzkw

6.11.2024, 14:53:11

Kann jemand diese sehr gute Frage bitte beantworten?

Viola22

Viola22

31.7.2023, 20:58:13

Kann man hier nicht auch den §

680 BGB

ansprechen? S hat R ja vor dem Hund gerettet und damit lag die Geschäftsführung des S in der Gefahrenabwehr, oder nicht?

LELEE

Leo Lee

2.8.2023, 15:55:15

Hallo Viola22, der

680 BGB

kann in der Tat auch in diesem Kontext von Bedeutung sein. Beachte jedoch, dass 680 einen

Verschuldensmaßstab

darstellt, sprich bei dem Punkt "Vertretenmüssen" relevant wird und dort den Maßstab modifiziert. Vorliegend war bereits die Verletzung der Pflicht aus 677 (Geschäftsführung so, dass es dem mutmaßlichen Willen entspricht) abzulehnen, da die Abwehr des Hundes dem mutmaßlichen Willen des Rs entsprach. Hätte man die Pflichtverletzung bejaht, wäre man jedoch - wie du richtigerweise anmerkst - spätestens beim Vertretenmüssen "rausgeflogen" :). Liebe Grüße Leo

LELEE

Leo Lee

2.8.2023, 15:55:24

LELEE

Leo Lee

2.8.2023, 16:38:48

@[Lukas_Mengestu](136780)

EVA

evanici

7.9.2023, 10:17:45

Ich glaube, es wäre "einfacher" den Schadensersatz §§ 677, 280 I in der bekannten Struktur zu prüfen: 1. Schuldverhältnis (=GoA), 2. Pflichtverletzung entgegen des § 677, 3. (Ausführungs-)Verschulden 4. Schaden. Das ist vielleicht nicht allzu orthodox, aber hilft mir persönlich doch sehr, da ich nur so entsprechende Verknüpfungen beim Lernen hinbekomme... Vielleicht mag es ja selbsterklärend sein, dass ein Schuldverhältnis vorliegt, aber man kann es ja zumindest kurz feststellen...

Nora Mommsen

Nora Mommsen

7.9.2023, 11:34:39

Hallo evanici, danke dir für deine Anregung. Wir haben den Prüfungspunkt Schuldverhältnis in der Erläuterung ergänzt. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Rechthaber

Rechthaber

12.6.2024, 17:14:29

Was ist mit 904 S. 2 ? Hier greift S in fremdes Eigentum des R ein um eine gegenwärtige Gefahr des R abzuwenden und die drohenden Gesundheitseinbußen für R sind auch unverhältnismäßig groß im Hinblick auf den Schaden am Stock. Hier ist zwar R zugleich Begünstige, als auch derjenige, der einen Schaden durch die Einwirkung hat, allerdings kann man aus dem Wortlaut nicht schließen, dass 904 nur dann anwendbar ist, wenn der Begünstigte ein Unbeteiligter Dritter ist oder ?

Major Tom(as)

Major Tom(as)

27.11.2024, 11:02:34

Vielleicht könnte man sich bzgl. des "Schadens" überlegen, dass innerhalb der haftungsausfüllenden Kausalität beim

Schutzzweck der Norm

durch Vorteilsausgleichung (relevante

Reserveursachen

) dann ein Saldo von Null ergibt? (oder natürlich Ausschluss des Anspruchs über § 242 BGB) Bzgl. der grundsätzlichen Anwendbarkeit finde ich es aber auch spannend, mir fiele gerade kein Anhaltspunkt ein, um hier "rauszufliegen". Was meint ihr, @[Jurafuchs](137809)?

JI

Jimmy105

8.11.2024, 12:19:13

Die Frage ist hier vielleicht etwas deplatziert aber bzgl aller Herausgabeansprüche gedacht, nicht nur nach §§ 681 S. 2,

667 BGB

: Eine beschädigte Sache kann herausgegeben werden, eine zerstörte hingegen nicht? Die Zeichnung hatte mich zunächst annehmen lassen der Gehstock sei zerstört (beim genaueren lesen wurde es klarer)


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