Zivilrecht

Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA)

Die echte GoA

Unberechtigte GoA und EBV + Schadensersatz

Unberechtigte GoA und EBV + Schadensersatz

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

V putzt die Cowboystiefel seines Sohnes S und verwendet hierfür aus Unachtsamkeit ein ungeeignetes Schuhputzmittel. S ist entsetzt. Er habe ihm doch oft genug erzählt, dass solche Stiefel nur schmutzig „modisch überzeugen.“ Zudem bemerkt er, dass das Mittel das Leder angegriffen hat.

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Einordnung des Falls

Unberechtigte GoA und EBV + Schadensersatz

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Putzen der Stiefel erfüllt die Grundvoraussetzungen einer echten GoA nach § 677 BGB.

Ja, in der Tat!

Nach § 677 BGB setzen Ansprüche aus echter GoA (egal, ob berechtigt oder unberechtigt) voraus, dass ein Geschäftsführer (1) ein fremdes Geschäft (2) mit Fremdgeschäftsführungswillen ausführt, (3) ohne vom Geschäftsherrn beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein. Eigentümer der Stiefel ist S. Das Putzen derselben ist somit ein reines Geschäft des S und für V fremd. Der Fremdgeschäftsführungswille wird vermutet. S hat den V weder dazu beauftragt, noch war der V gegenüber S sonst dazu berechtigt.
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2. Das Putzen der Stiefel stellt eine berechtigte GoA im Sinne des § 683 S. 1 BGB dar.

Nein!

Eine GoA ist nach § 683 S. 1 BGB berechtigt, wenn sie dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht. Der wirkliche Wille des Geschäftsherrn ist dabei stets vorrangig zu prüfen. Sein mutmaßlicher Wille wird erst relevant, wenn sein wirklicher Wille nicht ermittelbar ist, weil er diesen nicht geäußert hat. Der mutmaßliche Wille des Geschäftsherrn ergibt sich in der Regel aus seinem objektiven Interesse. S hat gegenüber V des Öfteren geäußert, dass solche Stiefel nur mit Schmutz „modisch überzeugen.“ Sein wirklicher Wille stand somit dem Putzen entgegen.

3. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Übernahmeverschuldens nach § 678 BGB sind erfüllt.

Genau, so ist das!

Ein Schadensersatzanspruch wegen Übernahmeverschuldens nach § 678 BGB setzt voraus, dass (1) die Grundvoraussetzungen einer GoA nach § 677 BGB vorliegen und diese (2) entgegen § 683 S. 1 BGB unberechtigt ist. Ferner muss den Geschäftsführer (3) ein Übernahmeverschulden treffen, welches zu (4) einem Schaden beim Geschäftsherrn geführt hat. Das Putzen der Stiefel stellt eine unberechtigte GoA dar. V hätte erkennen können, dass das Putzen nicht dem Willen des S entspricht, da dieser seinen entgegenstehenden Willen schon des Öfteren geäußert hat. Das beschädigte Leder ist Folge der Geschäftsführung.

4. S hat einen Schadensersatzanspruch gegen V nach §§ 989, 990 BGB wegen des beschädigten Leders.

Ja, in der Tat!

Ein Schadensersatzanspruch nach §§ 989, 990 BGB setzt voraus, dass der Anspruchssteller Eigentümer der Sache und der Anspruchsgegner Besitzer ohne Besitzrecht ist. Der Besitzer muss ferner bösgläubig in Bezug auf sein fehlendes Besitzrecht sein. Zuletzt ist erforderlich, dass die Sache sich aufgrund des Verschuldens des Besitzers verschlechtert. S ist Eigentümer der Stiefel und V Besitzer. Da das Putzen der Stiefel eine unberechtigte GoA darstellt, hatte V kein Recht zum Besitz. V hat aus Unachtsamkeit das falsche Putzmittel verwendet und damit fahrlässig gearbeitet. Dadurch wurde das Leder beschädigt.

5. Der Schadensersatzanspruch nach §§ 989, 990 BGB verdrängt den Schadensersatzanspruch nach 678 BGB.

Ja!

Nach h.M. verdrängen die §§ 987ff. BGB in diesem Fall die §§ 677ff. BGB. Dies ergebe sich aus den allgemeinen Konkurrenzregeln des EBV beziehungsweise der Sperrwirkung des § 993 Abs. 1 HS 2 BGB, der besagt, dass der Eigentümer einer Sache bei Vorliegen eines EBV nur nach den §§ 987ff. BGB eine Herausgabe von Nutzungen oder Schadensersatz verlangen kann. Zu beachten ist, dass die Voraussetzungen der Ansprüche aus dem EBV nach den §§ 987ff. BGB nicht vorliegen müssen, damit die Sperrwirkung des § 993 Abs. 1 HS 2 BGB eingreift. Das bloße Vorliegen des EBV ist ausreichend.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

AN

Anne

25.8.2022, 17:15:26

Wo beginnt denn hier im Fall die Rechtshängigkeit?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.10.2022, 13:50:50

Hallo Anne, im Zivilrecht ist eine bei Gericht eingereichte Klage "rechtshängig", wenn diese dem Beklagten zugestellt wurde. Darauf kommt es in diesem Fall nicht an, da ja keine Klage gegen V eingereicht wurde. Der Anspruch aus §§ 989, 990 BGB besteht aufgrund von Vs Bösgläubigkeit (§ 990 BGB). § 989 BGB ist dabei mitzuzitieren, da § 990 BGB im Hinblick auf die Rechtsfolgen lediglich auf § 989 BGB verweist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Jakob G.

Jakob G.

2.9.2022, 06:58:48

Würde auf die Kenntnis des V abstellen und den SE wegen des Lederschadens aus §§ 990, 989 BGB herleiten.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

2.9.2022, 09:15:06

Hallo Jakob G., in der Aufgabe wird dargestellt, dass ebenfalls ein Anspruch aus §§ 990, 989 BGB besteht und dieser aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis den aus Geschäftsführung ohne Auftrag verdrängt. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

GNU

Gnu

2.1.2023, 19:39:09

Kommt hier beim

Übernahmeverschulden

nicht vielleicht die Haftungsprivilegierung des 1664 I in Betracht? Schließlich hat der V nur fahrlässig die Schuhe seines Sohnes beschädigt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.1.2023, 12:50:10

Hallo Gnu, sehr schöner Gedanke! Wenn S hier allerdings tatsächlich den V schon mehrfach darauf hingewiesen hat, dann liegt es nahe ein Fall der groben Fahrlässigkeit anzunehmen. Bei grober Fahrlässigkeit greift die Haftungsprivilegierung nicht (mehr), sodass V weiterhin hierfür einnzustehen hat. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

B🐝

Bienenschwarmvereinigung 🐝🐝🐝

12.8.2024, 11:11:32

aber könnte man sie beim

Übernahmeverschulden

anwenden und muss sie angesprochen werden? bzw generell Haftungsprivilegien oder Verschärfungen?

Dogu

Dogu

1.9.2023, 14:23:58

Wird der Anwendungsvorrang des EBV dann in der Klausur inzident geprüft? Wenn man sich an die vorgegebene Reihenfolge vertraglich, quasi-vertraglich und erst dann sachenrechtlich hält, wird GoA ja vorher geprüft.

LELEE

Leo Lee

2.9.2023, 20:12:07

Hallo Dogu, Im Falle des Vorliegens einer echten nichtberechtigten GoA empfiehlt es sich sicherheitshalber die Prüfung mit dem einschlägigen Anspruch aus dem EBV anzufangen, also hier „ausnahmsweise“ mit dem EBV beginnen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Sambajamba10

Sambajamba10

3.3.2024, 13:14:28

Als Klausurhinweis wäre das sehr schön

CR7

CR7

27.6.2024, 10:58:25

Fände ich auch!

EVA

evanici

16.9.2023, 17:47:46

Wieso problematisiert man die Bösgläubigkeit hier nicht durch den im Rahmen der GoA-Prüfung ja bejahten Fremdgeschäftsführungswillen? Ich hätte zumindest einen Schlenker über die Besitzdienerschaft § 855 gemacht und somit einen Fremdbesitzerwillen angeprüft, den ich im Ergebnis aber abgelehnt hätte, da sich V mit der Weisungswidersetzung die Schuhe nicht zu putzen spätestens zum Eigenbesitzer aufgeschwungen hätte. Vielleicht ist das aber auch sehr fernliegend :D

LAULAUA

LaulauAC

10.4.2024, 10:29:23

In der Lösung steht, dass V bösgläubig ist, weil er fahrlässig handelt. Reicht hierfür nicht lediglich grobe Fahrlässigkeit aus?

Peter im Pech

Peter im Pech

3.5.2024, 16:38:08

Ja genau, kann mir hier nicht annehmen, der unberechtigte Stiefelputzer handele nur aus einfacher Fahrlässigkeit? Dann wäre er ja nicht bösgläubig bzgl. seines Rechts auf den Besitz § 932 II BGB analog

Falsus Prokuristor

Falsus Prokuristor

5.6.2024, 14:10:10

Das Verschulden des Geschäftsführers hinsichtlich der Übernahme der GoA sowie hinsichtlich des Bestehens eines

Besitzrecht

s knüpfen an die gleiche Vorstellung an, so dass die Ansprüche dem Grunde nach parallel verlaufen könnten. Allerdings ist der Verschuldensmaßstab im EBV strenger, der Schuldner hat nur grobe Fahrlässigkeit neben dem Vorsatz zu vertreten. Bei einfacher Fahrlässigkeit hinsichtlich der Übernahme und auch des

Besitzrecht

es besteht allerdings kein Anspruch aus EBV mangels Bösgläubigkeit. Da dieses aber dem Grunde nach vorliegt und Vorrang vor der unberechtigten GoA hat, besteht im Ergebnis gar kein Anspruch. Im hier vorliegenden Fall ist allerdings grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der Übernahme anzunehmen. Trotz Verdrängen durch das EBV besteht eben auch dort der Anspruch. 


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