Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Täterschaft und Teilnahme
Deliktisches Minus auf Ebene der Rechtswidrigkeit
Deliktisches Minus auf Ebene der Rechtswidrigkeit
12. April 2025
9 Kommentare
4,7 ★ (50.510 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T bezichtigt seinen Feind F zu Unrecht einer Straftat. Auf Grund der vorsätzlichen Falschaussage des T ist der Richter R von der Schuld des F überzeugt und verurteilt diesen – wie von T gewollt – zu einer Freiheitsstrafe.
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Einordnung des Falls
Deliktisches Minus auf Ebene der Rechtswidrigkeit
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Indem R den F zu Unrecht verurteilte, hat er sich wegen Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. T selbst erfüllt den objektiven Tatbestand der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB).
Nein, das trifft nicht zu!
3. Der eigene Verursachungsbeitrag des Hintermannes T liegt vor.
Ja!
4. Vordermann R hat eine unterlegene Stellung gegenüber dem Hintermann T.
Genau, so ist das!
5. T hatte auch nach der Tatherrschaftslehre eine überlegene Stellung.
Ja, in der Tat!
6. Voraussetzungen für eine Zurechnung der Handlung (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) sind (1) ein eigener Verursachungsbeitrag des Hintermannes, (2) eine unterlegene Stellung des Vordermannes und (3) eine überlegene Stellung des Hintermannes.
Genau, so ist das!
7. T hatte nach der subjektiven Theorie eine überlegene Stellung (Täterwillen).
Ja, in der Tat!
8. T hat sich durch seine falsche Bezichtigung wegen Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft (§§ 239 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) strafbar gemacht.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

I-m-possible
29.6.2022, 15:44:53
Ich frage mich warum der R als Tatmittler auf der
Rechtswidrigkeitsebene einen Strafbarkeits-Mangel aufweist und nicht auf der Tatbestandsebene. Er kennt ja den vollständigen Sachverhalt demnach ja nicht.

Lukas_Mengestu
29.6.2022, 20:52:20
Hallo I-m-possible, der Tatbestand des § 239 Abs. 1 StGB setzt lediglich voraus, dass der Täter einen Menschen einsperrt/auf andere Weise der Freiheit beraubt und insoweit vorsätzlich handelt. Dies liegt im vorliegenden Fall vor. Der Grund dafür, warum der Täter den Tatbestand verwirklicht, ist zunächst einmal egal. Deswegen ergibt sich die Rechtfertigung hier lediglich daraus, dass R als Richter dazu befugt ist, eine Freiheitsstrafe zu verhängen, wenn sich die Beweislage entsprechend darstellt. Dies war hier der Fall, weswegen R als Tatmittler ein Defizit auf
Rechtswidrigkeitsebene aufweist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Allegra.B
18.11.2022, 16:11:26
Irgendwie habe Ich ein wenig Bauchschmerzen damit die RW des R wegen dem
Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigungentfallen zu lassen und gleichzeitig (wie die Lösung es macht) die Tatherrschaft des T zu bejahen, da der dieses planvoll lenkend in den Händen hält und den R „beherrscht“. Ich verstehe was dargestellt werden soll, aber Ich wäre anders abgebogen und hätte auch Angst, dass mir jemand das bei einer Klausur so „um die Ohren haut“. 😅 (Stichwort: widersprüchliche Auslegung oder Argumentation). Gibt es denn dazu Rechtssprechung oder Ähnliches? Oder vllt. ist auch ein Feature, welches alternatives „Abbiegen“ bei den Meinungsstreitigkeiten in solchen Fällen zulässt, eine Idee 😊

Lukas_Mengestu
22.11.2022, 15:36:34
Hallo Allegra, vielen Dank für die Nachfrage. Einen klassischen "Streit" mit widerstreitenden Ansichten gibt es hier eigentlich nicht so richtig. Wenn ich Dich richtig verstehe, bereitet es Dir Unbehagen, R einerseits die freie richterliche Überzeugung zuzusprechen und andererseits T als Herrscher darzustellen, ist das korrekt? Vielleicht wird der vermeintliche Widerspruch deutlicher, wenn Du Dir die Position vergegenwärtigst, die wir hier als "Klausurbearbeiter:in" einnehmen. Wir sind nicht aktiv in dem Prozess, sondern schauen quasi als allwissender Beobachter darauf. Aus Rs Sicht war es nur folgerichtig, F zu verurteilen, wenn er die (Falsch-)Aussage von T als glaubhaft einstuft. Ob R eher F oder T glaubt, unterliegt seiner freien richterlichen Beweiswürdigung, weswegen er später nicht strafrechtlich dafür zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn ihm insoweit ein Fehler unterlaufen ist. Für uns als allwissende Beobachter ist dagegen deutlich, dass R hier nur als Marionette benutzt wird. Seine vermeintlich freie Entscheidung wird durch Ts Falschaussage gesteuert, womit T unstreitig als mittelbarer Täter agiert. Sofern dies auffliegt, wird er hierfür strafrechtlich verfolgt. Und auch für F wirkt sich dies günstig aus. Denn er kann in diesem Fall die Wiederaufnahme seines Verfahrens beantragen (§ 359 Nr. 2 StPO). Ich hoffe, jetzt ist es etwas klarer geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
22.1.2025, 15:30:49
Nach diese und den zurückliegenden Fällen ist mir immer noch nicht ganz klar, wann der mittelbare Täter einen Täterwillen nach der subjektiven Theorie aufweist. Allein der Wunsch nach den Folgen der Tat ist wie beim Fall zur Vereitelung der gesehen ist offenbar nicht ausreichend. Was muss zusätzlich hinzutreten, um den Täterwillen annehmen zu können?
Paul Hendewerk
12.2.2025, 13:44:11
Zunächst einmal wird die reine subjektive Theorie, der zufolge sich der Täter durch einen Täterwillen auszeichnet, nicht mehr vertreten. Die Rspr. vertritt aber eine
gemäßigte subjektive Theorie, die auch als normative Kombinationslehre bezeichnet wird. Ausgangspunkt dieser Lehre ist zwar wiederum der Täterwille als täterschaftsbegründendes Kriterium. Ob ein solcher Täterwille vorliegt, beurteilt sich aber im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung der jeweiligen Einzelfallumstände. Maßgebliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen Täterwillens sind der Umfang der
Tatbeteiligung, der Grad des eigenen Interesses am
Taterfolgund Tatherrschaft bzw. ein etwaiger Wille zur Tatherrschaft. In der Klausur müsstest Du also zunächst herausarbeiten, was der Tatbeteiligte zur Tatbestandsverwirklichung beigetragen hat, wie groß sein Interesse am Eintritt des
Taterfolges gewesen ist und ob er (den Willen zur) Taherrschaft besaß. Anschließend ist wertend zu beurteilen, ob diese einzelnen G
esichtspunkte es rechtfertigen, den jeweiligen Tatbeteiligten als mittelbaren Täter zu behandeln.
Franziiiiiii
11.2.2025, 15:17:54
Hallo :) Ich habe zwei kleine Fragen. 1. Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn R seine Entscheidung auf mehrere Zeugenaussagen stützt? Ist für den Verursachungsbeitrag auch eine Mitverursachung ausreichend? 2. Stützt man die Rechtfertigung unmittelbar auf
§ 261 StPO? Wäre in der Klausur ggf. ein
ETBIanzusprechen? Vielen Dank :)
Timurso
12.2.2025, 00:27:34
1. Ist meines Erachtens eine Frage der (kumulativen/alternativen) Kausalität, wo wie sonst auch gilt, dass die Mitverursachung ausreicht. 2. Ich würde die Rechtfertigung auf
§ 261 StPOstützen. Ein
ETBIkommt meines Erachtens nicht in Betracht, da dafür 1. ein Irrtum über
Tatsachenvorliegen müsste, bei deren Vorliegen der R gerechtfertigt wäre. Hier ist der R aber gerechtfertigt,
§ 261 StPOsetzt gerade nicht voraus, dass der Verurteilte in Wahrheit schuldig sein muss. 2. Käme man dadurch auch gar nicht zum
ETBI, weil dieser sich ja erst auf Ebene der Schuld abspielt.
chiarafilipa184
28.3.2025, 11:25:02