Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Täterschaft und Teilnahme

Deliktisches Minus auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Deliktisches Minus auf Ebene der Rechtswidrigkeit

12. April 2025

9 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T bezichtigt seinen Feind F zu Unrecht einer Straftat. Auf Grund der vorsätzlichen Falschaussage des T ist der Richter R von der Schuld des F überzeugt und verurteilt diesen – wie von T gewollt – zu einer Freiheitsstrafe.

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Einordnung des Falls

Deliktisches Minus auf Ebene der Rechtswidrigkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem R den F zu Unrecht verurteilte, hat er sich wegen Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.

Nein, das ist nicht der Fall!

R hat den F vorsätzlich der Freiheit beraubt und damit den Tatbestand der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) erfüllt. Jedoch müsste R auch rechtswidrig gehandelt haben. Für ihn greift jedoch ein Rechtfertigungsgrund, weil er auf Grund der vorgefundenen Beweislage nach seiner Überzeugung ein entsprechendes Urteil fällen durfte, § 261 StPO. Mangels Rechtswidrigkeit entfällt folglich eine Strafbarkeit aus § 239 Abs. 1 StGB.
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2. T selbst erfüllt den objektiven Tatbestand der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Täter ist, „wer die Straftat selbst“ begeht (sog. Alleintäterschaft, § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB). Relevante Tathandlung ist hier das Verurteilen des F zu einer Freiheitsstrafe. Diese Handlung führte jedoch nicht T selbst, sondern R aus. Täter kann aber auch sein, wer die Straftat „durch einen anderen“ begeht (sog. mittelbare Täterschaft, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB). Der mittelbare Täter verwirklicht die Tatbestandsmerkmale nicht eigenhändig, sondern bedient sich als „Hintermann“ eines „Werkzeugs“, das auch als „Vordermann“ bzw. „Tatmittler“ bezeichnet wird. Voraussetzung ist, dass die Tathandlung des „Vordermannes“ dem Hintermann zugerechnet werden kann.

3. Der eigene Verursachungsbeitrag des Hintermannes T liegt vor.

Ja!

Indem T den F zu Unrecht einer Straftat bezichtigte, wirkte er unmittelbar auf den R ein. Der erforderliche Verursachungsbeitrag ist somit gegeben.

4. Vordermann R hat eine unterlegene Stellung gegenüber dem Hintermann T.

Genau, so ist das!

Die unterlegene Stellung des Vordermannes ergibt sich grundsätzlich daraus, dass bei diesem auf der Tatbestands-, Rechtswidrigkeits- oder Schuldebene ein Strafbarkeitsmangel vorliegt (Ausnahmekonstellationen: "Täter hinter dem Täter").R wusste nichts von der Unwahrheit der Aussage des T. Nach § 261 StPO ist er schon bei persönlicher Überzeugung von der Schuld zu einer Verurteilung des F und der dadurch bewirkten Freiheitsberaubung berechtigt. Sein Strafbarkeitsmangel liegt somit auf der Rechtfertigungsebene.

5. T hatte auch nach der Tatherrschaftslehre eine überlegene Stellung.

Ja, in der Tat!

Der Hintermann hat Tatherrschaft, wenn er den Vordermann durch Täuschung oder Zwang beherrscht, indem er den Strafbarkeitsmangel für seine Zwecke planvoll lenkend ausnutzt und auf diese Weise die Tatbestandsverwirklichung in den Händen hält.T nutzte das Wissensdefizit des R planmäßig aus; seine Überlegenheit beruht auf seiner besseren Sachverhaltskenntnis. Durch diese Irrtumsherrschaft löste er bewusst und gewollt als Zentralgestalt das Geschehen aus. Eine überlegene Stellung nach der Tatherrschaftslehre liegt somit vor.

6. Voraussetzungen für eine Zurechnung der Handlung (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) sind (1) ein eigener Verursachungsbeitrag des Hintermannes, (2) eine unterlegene Stellung des Vordermannes und (3) eine überlegene Stellung des Hintermannes.

Genau, so ist das!

Eine Tat „durch einen anderen“ begeht, wer die Tatbestandsverwirklichung durch tatbeherrschende Steuerung des Vordermannes zurechenbar verursacht. Der (1) Verursachungsbeitrag des Hintermannes ist die Einwirkungshandlung auf den Vordermann. Die (2) unterlegene Stellung des Vordermanns ergibt sich grundsätzlich aus dem Strafbarkeitsmangel (Ausnahme: Sonderfälle des „Täters hinter dem Täter“). Der Vordermann weist auf einer der drei Ebenen ein sog. deliktisches Minus auf, er ist nicht strafbar. Die (3) überlegene Stellung des Hintermannes setzt nach der subjektiven Lehre Täterwillen, nach der Tatherrschaftslehre die Tatherrschaft über das Gesamtgeschehen voraus.

7. T hatte nach der subjektiven Theorie eine überlegene Stellung (Täterwillen).

Ja, in der Tat!

Nach der subjektiven Lehre (animus-Theorie) wird bei der Abgrenzung an die Willensrichtung und an die innere Einstellung der Beteiligten zur Tat angeknüpft. Täter ist danach, wer mit Täterwillen (animus auctoris) handelt und die Tat als eigene will. Teilnehmer ist, wer mit Teilnehmerwillen (animus socii) handelt und die Tat als fremde veranlassen oder fördern will. Einzig T hatte ein Interesse daran hat, seinen Feind F der Freiheit zu berauben. Er besitzt somit den nötigen Täterwillen.

8. T hat sich durch seine falsche Bezichtigung wegen Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft (§§ 239 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) strafbar gemacht.

Ja!

T handelte diesbezüglich auch vorsätzlich sowie rechtswidrig und schuldhaft. Eine Strafbarkeit aus §§ 239 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB liegt folglich vor.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

I-m-possible

I-m-possible

29.6.2022, 15:44:53

Ich frage mich warum der R als Tatmittler auf der

Rechtswidrigkeit

sebene einen Strafbarkeits-Mangel aufweist und nicht auf der Tatbestandsebene. Er kennt ja den vollständigen Sachverhalt demnach ja nicht.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

29.6.2022, 20:52:20

Hallo I-m-possible, der Tatbestand des § 239 Abs. 1 StGB setzt lediglich voraus, dass der Täter einen Menschen einsperrt/auf andere Weise der Freiheit beraubt und insoweit vorsätzlich handelt. Dies liegt im vorliegenden Fall vor. Der Grund dafür, warum der Täter den Tatbestand verwirklicht, ist zunächst einmal egal. Deswegen ergibt sich die Rechtfertigung hier lediglich daraus, dass R als Richter dazu befugt ist, eine Freiheitsstrafe zu verhängen, wenn sich die Beweislage entsprechend darstellt. Dies war hier der Fall, weswegen R als Tatmittler ein Defizit auf

Rechtswidrigkeit

sebene aufweist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Allegra.B

Allegra.B

18.11.2022, 16:11:26

Irgendwie habe Ich ein wenig Bauchschmerzen damit die RW des R wegen dem

Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung

entfallen zu lassen und gleichzeitig (wie die Lösung es macht) die Tatherrschaft des T zu bejahen, da der dieses planvoll lenkend in den Händen hält und den R „beherrscht“. Ich verstehe was dargestellt werden soll, aber Ich wäre anders abgebogen und hätte auch Angst, dass mir jemand das bei einer Klausur so „um die Ohren haut“. 😅 (Stichwort: widersprüchliche Auslegung oder Argumentation). Gibt es denn dazu Rechtssprechung oder Ähnliches? Oder vllt. ist auch ein Feature, welches alternatives „Abbiegen“ bei den Meinungsstreitigkeiten in solchen Fällen zulässt, eine Idee 😊

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.11.2022, 15:36:34

Hallo Allegra, vielen Dank für die Nachfrage. Einen klassischen "Streit" mit widerstreitenden Ansichten gibt es hier eigentlich nicht so richtig. Wenn ich Dich richtig verstehe, bereitet es Dir Unbehagen, R einerseits die freie richterliche Überzeugung zuzusprechen und andererseits T als Herrscher darzustellen, ist das korrekt? Vielleicht wird der vermeintliche Widerspruch deutlicher, wenn Du Dir die Position vergegenwärtigst, die wir hier als "Klausurbearbeiter:in" einnehmen. Wir sind nicht aktiv in dem Prozess, sondern schauen quasi als allwissender Beobachter darauf. Aus Rs Sicht war es nur folgerichtig, F zu verurteilen, wenn er die (Falsch-)Aussage von T als glaubhaft einstuft. Ob R eher F oder T glaubt, unterliegt seiner freien richterlichen Beweiswürdigung, weswegen er später nicht strafrechtlich dafür zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn ihm insoweit ein Fehler unterlaufen ist. Für uns als allwissende Beobachter ist dagegen deutlich, dass R hier nur als Marionette benutzt wird. Seine vermeintlich freie Entscheidung wird durch Ts Falschaussage gesteuert, womit T unstreitig als mittelbarer Täter agiert. Sofern dies auffliegt, wird er hierfür strafrechtlich verfolgt. Und auch für F wirkt sich dies günstig aus. Denn er kann in diesem Fall die Wiederaufnahme seines Verfahrens beantragen (§ 359 Nr. 2 StPO). Ich hoffe, jetzt ist es etwas klarer geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

22.1.2025, 15:30:49

Nach diese und den zurückliegenden Fällen ist mir immer noch nicht ganz klar, wann der mittelbare Täter einen Täterwillen nach der subjektiven Theorie aufweist. Allein der Wunsch nach den Folgen der Tat ist wie beim Fall zur Vereitelung der gesehen ist offenbar nicht ausreichend. Was muss zusätzlich hinzutreten, um den Täterwillen annehmen zu können?

PAUHE

Paul Hendewerk

12.2.2025, 13:44:11

Zunächst einmal wird die reine subjektive Theorie, der zufolge sich der Täter durch einen Täterwillen auszeichnet, nicht mehr vertreten. Die Rspr. vertritt aber eine

gemäßigte subjektive Theorie

, die auch als normative Kombinationslehre bezeichnet wird. Ausgangspunkt dieser Lehre ist zwar wiederum der Täterwille als täterschaftsbegründendes Kriterium. Ob ein solcher Täterwille vorliegt, beurteilt sich aber im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung der jeweiligen Einzelfallumstände. Maßgebliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen Täterwillens sind der Umfang der

Tatbeteiligung

, der Grad des eigenen Interesses am

Taterfolg

und Tatherrschaft bzw. ein etwaiger Wille zur Tatherrschaft. In der Klausur müsstest Du also zunächst herausarbeiten, was der Tatbeteiligte zur Tatbestandsverwirklichung beigetragen hat, wie groß sein Interesse am Eintritt des

Taterfolg

es gewesen ist und ob er (den Willen zur) Taherrschaft besaß. Anschließend ist wertend zu beurteilen, ob diese einzelnen G

esi

chtspunkte es rechtfertigen, den jeweiligen Tatbeteiligten als mittelbaren Täter zu behandeln.

FRA

Franziiiiiii

11.2.2025, 15:17:54

Hallo :) Ich habe zwei kleine Fragen. 1. Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn R seine Entscheidung auf mehrere Zeugenaussagen stützt? Ist für den Verursachungsbeitrag auch eine Mitverursachung ausreichend? 2. Stützt man die Rechtfertigung unmittelbar auf

§ 261 StPO

? Wäre in der Klausur ggf. ein

ETBI

anzusprechen? Vielen Dank :)

TI

Timurso

12.2.2025, 00:27:34

1. Ist meines Erachtens eine Frage der (kumulativen/alternativen) Kausalität, wo wie sonst auch gilt, dass die Mitverursachung ausreicht. 2. Ich würde die Rechtfertigung auf

§ 261 StPO

stützen. Ein

ETBI

kommt meines Erachtens nicht in Betracht, da dafür 1. ein Irrtum über

Tatsachen

vorliegen müsste, bei deren Vorliegen der R gerechtfertigt wäre. Hier ist der R aber gerechtfertigt,

§ 261 StPO

setzt gerade nicht voraus, dass der Verurteilte in Wahrheit schuldig sein muss. 2. Käme man dadurch auch gar nicht zum

ETBI

, weil dieser sich ja erst auf Ebene der Schuld abspielt.

CH

chiarafilipa184

28.3.2025, 11:25:02

ist es von der Rechtsprechung anerkannt, dass

§ 261 StPO

ein Rechtfertigungsgrund ist?


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