Gefahrtragung für das Werk: Leistungsgefahr bei Unmöglichkeit der Werkleistung


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Der Tourist B bestellt bei der Schnellzeichnerin U für €50 eine Karikatur. Durch einen Zufall verknackst sich U während des Zeichnens die Hand. Sie kann nie wieder ein Bild anfertigen.

Einordnung des Falls

Gefahrtragung für das Werk: Leistungsgefahr bei Unmöglichkeit der Werkleistung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Weil es sich um künstlerische Betätigung handelt, haben B und U einen Dienstvertrag geschlossen (§ 611 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Bei einem Dienstvertrag verpflichtet sich der Dienstverpflichtete zu einem Tätigwerden, nicht zu einem Erfolg (§ 611 BGB).U schuldet B eine fertige Karikatur und damit einen Erfolg. Es handelt sich daher um einen Werkvertrag (§ 631 BGB). Der geschuldete Erfolg kann auch in der Herstellung eines Kunstwerks liegen.

2. Der Besteller einer Werkleistung trägt die Leistungsgefahr immer für den Fall, dass die Herstellung des Werkes unmöglich wird.

Ja!

Leistungsgefahr betrifft die Frage, ob bei einer zufälligen Erschwerung der Leistung der Schuldner den Mehraufwand zu erbringen hat oder der Gläubiger sein Forderungsrecht ganz oder teilweise verliert. Für den Werkunternehmer ist Leistungsgefahr also das Risiko, das Werk weiterhin herzustellen oder Ersatz leisten zu müssen. Für den Besteller ist es das Risiko, den Anspruch auf das Werk zu verlieren. Wird die Herstellung des Werkes subjektiv oder objektiv unmöglich, verliert der Besteller immer seinen Anspruch auf die Werkleistung (§ 275 BGB).Von der Leistungsgefahr zu unterscheiden ist die Preisgefahr (=Gegenleistungsgefahr), also die Frage, ob bei einem Wegfall der Primärleistungspflicht nach § 275 BGB, dennoch die Gegenleistung erbracht werden muss. Dazu später mehr!

3. U trägt die Leistungsgefahr für den Fall, dass die Herstellung des Werkes unmöglich wird.

Nein, das ist nicht der Fall!

Leistungsgefahr betrifft die Frage, ob bei einer zufälligen Erschwerung der Leistung der Schuldner den Mehraufwand zu erbringen hat oder der Gläubiger sein Forderungsrecht ganz oder teilweise verliert. Wenn die Herstellung des Werkes subjektiv oder objektiv unmöglich wird, entfällt der Anspruch darauf (§ 275 BGB).U ist Unternehmer des Werkvertrages. Ist die Herstellung des Werkes unmöglich, wird er von seiner Leistungspflicht befreit. Er muss (und kann) keinen Mehraufwand erbringen.

4. B trägt die Leistungsgefahr für Unmöglichkeit.

Ja, in der Tat!

Leistungsgefahr betrifft die Frage, ob bei einer zufälligen Erschwerung der Leistung der Schuldner den Mehraufwand zu erbringen hat oder der Gläubiger sein Forderungsrecht ganz oder teilweise verliert. Wenn die Herstellung des Werkes subjektiv oder objektiv unmöglich wird, entfällt der Anspruch darauf (§ 275 BGB).Der Gläubiger der Werkleistung (=Besteller) verliert demnach seinen Anspruch auf die Werkleistung. Das Risiko geht zu seinen Lasten, er trägt daher immer die Leistungsgefahr für Unmöglichkeit. B ist Besteller der Werkleistung.

5. Die Werkleistung ist unmöglich geworden. U ist von ihrer Leistungspflicht befreit (§ 275 BGB).

Ja!

U kann durch die Verletzung ihrer Hand die Karikatur nicht mehr herstellen. Die Werkleistung ist für sie unmöglich, es liegt subjektive Unmöglichkeit vor (§ 275 Abs. 1 Alt. 1 BGB). Als künstlerische Leistung besteht meist eine höchstpersönliche Leistungspflicht. Es kann daher auch sonst niemanden das Werk anfertigen. Die Werkleistung ist daher auch für jedermann unmöglich, es liegt objektive Unmöglichkeit vor (§ 275 Abs. 1 Alt. 2 BGB). Eine der beiden Unmöglichkeiten reicht aus. U ist daher von ihrer Leistungspflicht befreit (§ 275 Abs. 1 BGB).

6. U hätte aufpassen müssen, sich nicht die Hand zu verstauchen. B hat daher dennoch einen Anspruch auf Werkleistung.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Anspruch auf die Werkleistung ist durch Unmöglichkeit ausgeschlossen (§ 275 Abs. 1 BGB). Dieser Umstand ist unabhängig davon, wer die Unmöglichkeit zu vertreten hat. U könnte durch das Verstauchen der Hand eine Pflicht innerhalb des Werkvertrages verletzt haben. Dann kommt ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung in Betracht (§§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB). Weil sich U zufällig die Hand verstauchte, hat sie die Pflichtverletzung nicht zu vertreten (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Am Ausschluss des Anspruchs auf die Werkleistung ändert das aber nichts.

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CANDM

CanDMRCV

2.6.2022, 12:21:45

Regelt § 644 I S. 1 BGB nur die "Preis-" bzw. Werklohngefahr? Ich bin verwirrt. 🙍

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.6.2022, 14:27:45

Hallo CanDMRCV, der Wortlaut ist hier in der Tat etwas missverständlich. § 644 Abs. 1 S. 1 BGB befasst sich lediglich mit der Preisgefahr, also der Frage, inwieweit der Werklohnanspruch des Unternehmers bestehen bleibt oder entfällt, wenn das zwar begonnene oder auch schon hergestellte Werk untergeht oder verschlechtert wird. Die Leistungsgefahr richtet sich aber auch im Werkrecht nach § 275 BGB. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

EVA

evanici

1.9.2023, 17:12:32

Hier würde mich beispielsweise interessieren, ob die Vertragsbeendigung dann über einen allgemeinen Rücktritt oder über eine Kündigung §§ 648 f. funktionieren würde.

LELEE

Leo Lee

2.9.2023, 20:08:51

Hallo evanici, Das Kündigungsrecht würde hier insofern nicht einschlägig sein, als diese immer ex nunc – also für die Zukunft den Vertrag bzw. die Pflicht erlöschen lässt, obgleich die Leistung an sich noch möglich wäre. Wenn hingegen eine Leistung unmöglich geworden ist, würde eine solche Vertragspflicht überhaupt nicht mehr möglich sein. In diesem Fall würde dann der Rücktritt gem. §§ 634 Nr. 3, 326 V BGB oder Schadensersatz gem. §§ 634 Nr. 4, 280 I, III, III, 283 BGB passend :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

EVA

evanici

1.9.2023, 18:03:12

Das heißt aber grundsätzlich trägt die Leistungsgefahr vor der Abnahme oder der einen Annahmeverzug begründenden unterbliebenen Handlung des Bestellers aber schon der Unternehmer, es sei denn, ein Fall der Unmöglichkeit liegt vor?

LELEE

Leo Lee

2.9.2023, 20:07:59

Hallo evanici Genauso ist es! Die Leistungsgefahr trägt grds. immer der Unternehmer, solange das Werk nicht unmöglich geworden ist (denn der U ist ja vertraglich verpflichtet und muss auch leisten, soweit möglich). Beachte in diesem Kontext noch den § 644 BGB, der sich mit der

Gegenleistungsgefahr

/Vergütungsgefahr (also der Frage, ob noch gezahlt werden muss) beschäftigt! I.Ü. kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Busche § 644 Rn. 1 ff. sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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