Gefahrtragung für das Werk: Leistungsgefahr bei möglicher Werkleistung
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Jurastudium und Referendariat.
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Unternehmen U baut für die Stadt B Wartehäuschen für den öffentlichen Nahverkehr. Nach Fertigstellung werden die Häuschen in der Nacht von randalierenden Jugendlichen zerstört. B hat sich die Häuschen noch nicht angeschaut.
Einordnung des Falls
Gefahrtragung für das Werk: Leistungsgefahr bei möglicher Werkleistung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. B und U haben einen Bauvertrag geschlossen (§ 650a BGB). Auf diesen finden die allgemeinen Vorschriften des Werkvertragsrechts Anwendung (§§ 631ff. BGB).
Ja, in der Tat!
2. B trug die Leistungsgefahr als die Wartehäuschen zerstört wurden.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Kann B von U neue Wartehäuschen verlangen?
Ja, in der Tat!
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Molesley
8.11.2023, 11:12:51
Hallo, ich stehe hier leider auf dem Schlauch - wie verhält sich § 275 hier zu § 644? § 644 (1) Der Unternehmer trägt die Gefahr bis zur Abnahme des Werkes. Kommt der Besteller in Verzug der Annahme, so geht die Gefahr auf ihn über. Für den zufälligen Untergang und eine zufällige Verschlechterung des von dem Besteller gelieferten Stoffes ist der Unternehmer nicht verantwortlich. ... Ich hätte gedacht, dass U hier nicht für den zufälligen Untergang des Häuschens einstehen muss. Oder gilt § 644 I erst ab der Abnahme?
Leo Lee
11.11.2023, 20:51:32
Hallo Molesley, beachte, dass § 275 BGB erstmal nichts unmittelbar mit 644 zu tun hat. Denn 275 betrifft die Leistungsgefahr (also dass die vereinbarte Leistung – hier Bau – erbracht wird), während 644 die
GEGENleistungsgefahr(was passiert, wenn der Bau unmöglich wird und somit die vereinbarte Leistung nicht erbracht werden kann) betrifft. Somit wird 644 immer dann relevant, wenn wir uns fragen, ob der Käufer/Besteller noch zahlen muss, auch wenn der andere nicht mehr leisten kann (wegen Unmöglichkeit). Somit ist 644 nicht relevant für 275 (Unmgl. Der eigentlichen Leistung – hier Bau), sondern für 326 I(Gegenleistungspflicht geht gem. 326 I bei Unmöglichkeit grds. unter, jedoch ist 644 eine speziellere Norm für die Aufrechterhaltung der Gegenleistungspflicht für den Fall, in dem die
Gegenleistungsgefahr– Gefahr, dass man trotzdem zahlen muss – weiterhin aufrechterhalten wird. Merke dir also: 644 ist eine Ausnahme zum 326 I (der wiederum dann relevant wird, wenn es um die Zahlungspflicht geht). Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, § Ernst § 326 Rn. 35 ff. (davon insb. rn. 51) empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
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Molesley
11.11.2023, 21:21:00
Super, vielen Dank!
![HannaHaas](/_next/image?url=https%3A%2F%2Fwissen.jurafuchs.de%2Fimage%2F%25252Fassets%25252Fsecure%25252Fusers%25252Favatar__wiyskidcizjycxajtanbv.jpeg%3Ftype%3Draw&w=3840&q=75)
HannaHaas
13.12.2023, 15:04:34
Verstehe ich das richtig, der Primäranspruch des B besteht also nach wie vor und er kann die Wiederherstellung des Werkes nach § 650a BGB BGB verlangen, weil der Anspruch nicht nach § 275 BGB untergegangen ist?
Juratiopharm
22.12.2023, 11:52:20
So ist das - anders nur, wenn ein Fall von §§ 644, 645 BGB vorliegt.
Juratiopharm
22.12.2023, 11:56:12
Im Falle der §§ 644, 645 BGB könnte er Entlohnung für die geleistete Arbeit verlangen. Außerdem geht mit der Preisgefahr auch die Leistungsgefahr auf den Besteller über, sodass die Herstellungspflicht des Unternehmers erlischt.
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HannaHaas
22.12.2023, 12:00:37
Vielen Dank Juratiopharm! :)
aylin.
23.12.2023, 23:50:55
Hat der Unternehmer bei der doppelten Leistungserbringung auch einen weiteren Anspruch auf Zahlung vom Besteller? Sollte er eigentlich nicht haben, oder?
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Selma🌻
21.1.2024, 18:11:28
Ich habe nicht ganz den Unterschied zum vorherigen Fall verstanden. Im ersten Fall mit der verknacksten Hand hatten wir gesagt, der Besteller trägt grundsätzlich die Leistungsgefahr bzw. das Risiko, dass die Herstellung unmöglich wird. Was ist der Unterschied zu diesem Fall, wo der Unternehmer die Leistungsgefahr trägt?
Petrus
29.1.2024, 15:42:36
Das Problem m.E ist, dass man den Begriff der Leistungsgefahr in zweierlei Hinsicht verstehen kann. Er kann das Risiko beschreiben, dass man bei Unmöglichkeit der Leistung, diese nicht mehr erhält. Er kann aber auch darauf erstreckt werden, ob der Unternehmer bei einem vergeblichen Leistungsversuch nochmal leisten muss. Bei letzterem Verständnis kann man auch sagen, dass der Unternehmer die Leistungsgefahr bis zur Abnahme des Werkes trägt (Lorenz, Schuldrecht II BT, § 36 Rn. 2). Es wäre daher verständlicher, wenn man das in den Erklärungstexten hervorheben würde.
![DerChristoph](/_next/image?url=https%3A%2F%2Fwissen.jurafuchs.de%2Fimage%2F%25252Fassets%25252Fsecure%25252Fusers%25252Favatar_80668.jpeg%3Ftype%3Draw&w=3840&q=75)
DerChristoph
14.2.2024, 10:14:46
Ich war hier auch erst etwas ratlos. Ich verstehe den Unterschied so, dass der Besteller bei Unmöglichkeit die Leistungsgefahr trägt, der Unternehmer hingegen bei Erschwerung, wenn die Leistung aber weiterhin möglich ist. Ich finde aber auch, dass auf diesen Unterschied hier noch einmal im Fall eingegangen werden sollte.