Zivilrecht
Werkrecht
Gefahrtragungsregeln
Gefahrtragung für das Werk: Leistungsgefahr bei möglicher Werkleistung
Gefahrtragung für das Werk: Leistungsgefahr bei möglicher Werkleistung
29. Mai 2025
29 Kommentare
4,7 ★ (17.427 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Unternehmen U baut für die Stadt B Wartehäuschen für den öffentlichen Nahverkehr. Nach Fertigstellung werden die Häuschen in der Nacht von randalierenden Jugendlichen zerstört. B hat sich die Häuschen noch nicht angeschaut.
Diesen Fall lösen 70,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Gefahrtragung für das Werk: Leistungsgefahr bei möglicher Werkleistung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. B und U haben einen Bauvertrag geschlossen (§ 650a BGB). Auf diesen finden die allgemeinen Vorschriften des Werkvertragsrechts Anwendung (§§ 631ff. BGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. B trug die Leistungsgefahr als die Wartehäuschen zerstört wurden.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Kann B von U neue Wartehäuschen verlangen?
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Molesley
8.11.2023, 11:12:51
Hallo, ich stehe hier leider auf dem Schlauch - wie verhält sich § 275 hier zu § 644? § 644 (1) Der Unternehmer trägt die Gefahr bis zur Abnahme des Werkes. Kommt der Besteller in Verzug der Annahme, so geht die Gefahr auf ihn über. Für den zufälligen Untergang und eine zufällige Verschlechterung des von dem Besteller gelieferten Stoffes ist der Unternehmer nicht verantwortlich. ... Ich hätte gedacht, dass U hier nicht für den zufälligen Untergang des Häuschens einstehen muss. Oder gilt § 644 I erst ab der Abnahme?
Leo Lee
11.11.2023, 20:51:32
Hallo Molesley, beachte, dass
§ 275 BGBerstmal nichts unmittelbar mit 644 zu tun hat. Denn 275 betrifft die
Leistungsgefahr(also dass die vereinbarte Leistung – hier Bau – erbracht wird), während 644 die
GEGENleistungsgefahr(was passiert, wenn der Bau unmöglich wird und somit die vereinbarte Leistung nicht erbracht werden kann) betrifft. Somit wird 644 immer dann relevant, wenn wir uns fragen, ob der Käufer/Besteller noch zahlen muss, auch wenn der andere nicht mehr leisten kann (wegen
Unmöglichkeit). Somit ist 644 nicht relevant für 275 (Unmgl. Der eigentlichen Leistung – hier Bau), sondern für 326 I(Gegen
leistungspflichtgeht gem. 326 I bei
Unmöglichkeitgrds. unter, jedoch ist 644 eine speziellere Norm für die Aufrechterhaltung der Gegen
leistungspflichtfür den Fall, in dem die
Gegenleistungsgefahr– Gefahr, dass man trotzdem zahlen muss – weiterhin aufrechterhalten wird. Merke dir also: 644 ist eine Ausnahme zum 326 I (der wiederum dann relevant wird, wenn es um die Zahlungspflicht geht). Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, § Ernst § 326 Rn. 35 ff. (davon insb. rn. 51) empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Molesley
11.11.2023, 21:21:00
Super, vielen Dank!

HannaHaas
13.12.2023, 15:04:34
Verstehe ich das richtig, der Primäranspruch des B besteht also nach wie vor und er kann die Wiederherstellung des Werkes nach § 650a BGB BGB verlangen, weil der Anspruch nicht nach
§ 275 BGBuntergegangen ist?
Juratiopharm
22.12.2023, 11:52:20
Juratiopharm
22.12.2023, 11:56:12
Im Falle der §§ 644,
645 BGBkönnte er Entlohnung für die geleistete Arbeit verlangen. Außerdem geht mit der Preisgefahr auch die
Leistungsgefahrauf den Besteller über, sodass die Herstellungspflicht des Unternehmers erlischt.

HannaHaas
22.12.2023, 12:00:37
Vielen Dank Juratiopharm! :)
aylin.
23.12.2023, 23:50:55
Hat der Unternehmer bei der doppelten Leistungserbringung auch einen weiteren Anspruch auf Zahlung vom Besteller? Sollte er eigentlich nicht haben, oder?

Selma🌻
21.1.2024, 18:11:28
Ich habe nicht ganz den Unterschied zum vorherigen Fall verstanden. Im ersten Fall mit der verknacksten Hand hatten wir gesagt, der Besteller trägt grundsätzlich die
Leistungsgefahrbzw. das Risiko, dass die Herstellung unmöglich wird. Was ist der Unterschied zu diesem Fall, wo der Unternehmer die
Leistungsgefahrträgt?
Petrus
29.1.2024, 15:42:36
Das Problem m.E ist, dass man den Begriff der
Leistungsgefahrin zweierlei Hinsicht verstehen kann. Er kann das Risiko beschreiben, dass man bei
Unmöglichkeitder Leistung, diese nicht mehr erhält. Er kann aber auch darauf erstreckt werden, ob der Unternehmer bei einem vergeblichen Leistungsversuch nochmal leisten muss. Bei letzterem Verständnis kann man auch sagen, dass der Unternehmer die
Leistungsgefahrbis zur Abnahme des Werkes trägt (Lorenz,
Schuldrecht II BT, § 36 Rn. 2). Es wäre daher verständlicher, wenn man das in den Erklärungstexten hervorheben würde.

DerChristoph
14.2.2024, 10:14:46
Ich war hier auch erst etwas ratlos. Ich verstehe den Unterschied so, dass der Besteller bei
Unmöglichkeitdie
Leistungsgefahrträgt, der Unternehmer hingegen bei Erschwerung, wenn die Leistung aber weiterhin möglich ist. Ich finde aber auch, dass auf diesen Unterschied hier noch einmal im Fall eingegangen werden sollte.

jura🐈
12.10.2024, 22:44:07
@[Leo Lee](213375) @[Nora Mommsen](178057) @[Lukas_Mengestu](136780) könntet ihr die Frage bitte noch beantworten, danke 🙂
kuhle_acocado
16.10.2024, 13:51:15
Möglicherweise da hier der ge
schuldete Erfolg bereits erfüllt war, dieser aber jedoch noch nicht abgenommen worden ist 🤔
nondum conceptus
30.10.2024, 16:47:03
Die
Leistungsgefahrträgt immer der Besteller, denn wenn die Leistung nach § 275 I BGB untergeht, wird der Unternehmer von seiner
Leistungspflichtfrei. Warum wird immer eine andere Antwort angezeigt?

Juraganter
15.12.2024, 19:18:32
Ich muss auch sagen, dass ich die Formulierung sehr unglücklich finde, denn ich ging nämlich von der
Leistungsgefahrfür
Unmöglichkeitaus. Aber da diese Häuschen wieder aufgebaut werden können, war offensichtlich nicht die
Unmöglichkeitgemeint sondern schlicht das Risiko, erneut bauen zu müssen.
Frederieke
5.5.2025, 00:01:46
Vielleicht um die Frage nochmal zusammenfassend zu beantworten: Der Knackpunkt, wer die
Leistungsgefahr(bzw. genauer oft die Preisgefahr/
Gegenleistungsgefahr) trägt, hängt davon ab, welche Art von Störung vorliegt und in welchem Stadium des Vertrages sie eintritt: Ist die Leistungserbringung selbst unmöglich geworden? JA (wie bei der Karikatur): Dann ist die
Unmöglichkeitund damit die allgemeinen
Unmöglichkeitsregeln (§§ 275, 326 BGB) der entscheidende Punkt. Der Unternehmer wird von der
Leistungspflichtfrei, verliert aber den Anspruch auf Bezahlung (trägt die Preisgefahr). Der Zustand des Werkes (unfertig) ist hier eine Folge der
Unmöglichkeit. Ist die Leistungserbringung an sich (noch) möglich, aber das Werk wird beschädigt oder zerstört? JA (wie bei den Wartehäuschen): Dann ist der entscheidende Punkt der Zustand des Werkes in Relation zur Abnahme (§ 644 BGB). Werk noch nicht fertiggestellt: Wird das Werk während der Erstellung durch Zufall zerstört, trägt der Unternehmer in der Regel das Risiko und muss neu anfangen (es sei denn §
645 BGBgreift, z.B. wegen mangelhaften Stoffen des Bestellers). Werk fertiggestellt, aber noch nicht abgenommen: Das ist der Fall der Wartehäuschen. Hier ist der "Knackpunkt" die fehlende Abnahme. Gemäß § 644 BGB trägt der Unternehmer bis zur Abnahme die Gefahr des zufälligen Untergangs des fertigen Werkes. Werk fertiggestellt UND abgenommen: Nach der Abnahme geht die Gefahr auf den Besteller über (§ 644 Abs. 1 S. 1 BGB).
Frederieke
5.5.2025, 00:08:49
vielleicht nochmal zusammenfassend: Ist die Leistungserbringung selbst unmöglich geworden? JA (wie bei der Karikatur): Dann ist die
Unmöglichkeit(§§ 275, 326 BGB) der entscheidende Punkt. Der Unternehmer wird von der
Leistungspflichtfrei, verliert aber den Anspruch auf Bezahlung (trägt die Preisgefahr). Der Zustand des Werkes (unfertig) ist hier eine Folge der
Unmöglichkeit. Ist die Leistungserbringung an sich (noch) möglich, aber das Werk wird beschädigt oder zerstört? JA (wie bei den Wartehäuschen): Dann ist der entscheidende Punkt der Zustand des Werkes in Relation zur Abnahme (§ 644 BGB). Werk noch nicht fertiggestellt: Wird das Werk während der Erstellung durch Zufall zerstört, trägt der Unternehmer in der Regel das Risiko und muss neu anfangen (es sei denn §
645 BGBgreift, z.B. wegen mangelhaften Stoffen des Bestellers). Werk fertiggestellt, aber noch nicht abgenommen: Das ist der Fall der Wartehäuschen. Hier ist der "Knackpunkt" die fehlende Abnahme. Gemäß § 644 BGB trägt der Unternehmer bis zur Abnahme die Gefahr des zufälligen Untergangs des fertigen Werkes. Werk fertiggestellt UND abgenommen: Nach der Abnahme geht die Gefahr auf den Besteller über (§ 644 Abs. 1 S. 1 BGB).
nondum conceptus
4.11.2024, 16:04:04
Amelie7
5.3.2025, 12:37:23
Also hat U im Verhältnis zu B hier einfach Pech gehabt und sitzt auf allen Mehrkosten und dem Mehraufwand?