Grundfall: Zurückbehaltungsrecht (§ 273 Abs. 1 BGB)


leicht

Diesen Fall lösen 87,8 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V beliefert K regelmäßig mit Büchern. Für das Weihnachtsgeschäft bestellt K im Oktober Bücher, lieferbar zum 15.11. Am vereinbarten Liefertermin weigert sich V, die Bücher zu liefern. Sie verweist darauf, dass K ihr noch für die im Juli gelieferten Bücher den Kaufpreis schulde.

Einordnung des Falls

Grundfall: Zurückbehaltungsrecht (§ 273 Abs. 1 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat K einen Anspruch auf Lieferung der Bücher (§ 433 Abs. 1 BGB)?

Genau, so ist das!

Bei Abschluss eines Kaufvertrages ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer die mangelfreie Kaufsache zu übergeben und zu übereignen (§ 433 Abs. 1 BGB). V und K haben einen Kaufvertrag über die Bücher geschlossen. V war somit verpflichtet, diese an K zu liefern, also zu übergeben und zu übereignen.

2. Ist Ks Anspruch auf Lieferung durchsetzbar, wenn V ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 Abs. 1 BGB zusteht?

Nein, das trifft nicht zu!

Bei einem gegenseitigen Vertrag kann eine Partei die ihr obliegende Leistung so lange verweigern, bis die Gegenleistung bewirkt ist (§ 320 Abs. 1 BGB). Dies setzt voraus: (1) das Bestehen eines wirksamen gegenseitigen Vertrages, (2) Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen der verweigerten Leistungspflicht und der Gegenleistungspflicht, (3) eine fällige und (4) noch nicht erbrachte Gegenleistung, (5) Der Schuldner muss sich selbst vertragstreu verhalten und (6) das Zurückbehaltungsrecht darf nicht ausgeschlossen sein.§ 320 BGB ist als spezielles Leistungsverweigerungsrecht vor dem allgemeinen Zurückbehaltungsrecht zu prüfen (§ 273 BGB).

3. Ist V nach § 320 Abs. 1 S. 1 BGB berechtigt, die Lieferung zu verweigern, weil K ihr aus einem früheren Vertrrag noch Geld schuldet?

Nein!

Das Zurückbehaltungsrecht nach § 320 Abs. 1 S. 1 BGB setzt gegenseitige (synnallagmatische) Verpflichtungen voraus.Die frühere Zahlungspflicht des K (§ 433 Abs. 2 BGB) steht zur jetzigen Lieferpflicht nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Insofern kann sich V diesbezüglich nicht auf die Einrede des nichterfüllten Vertrages berufen (§ 320 Abs. 1 BGB).Dies ginge lediglich im Hinblick auf die Bezahlung der aktuellen Bücher. Hier ist K aber lediglich zur Leistung „Zug-um-Zug“ gegen Übergabe und Übereignung der Bücher verpflichtet.

4. Kommt neben § 320 Abs. 1 BGB noch ein anderes Zurückbehaltungsrecht in Betracht?

Genau, so ist das!

Sofern § 320 Abs. 1 BGB aufgrund der fehlenden Gegenseitigkeit ausscheidet, so ist immer auch an das allgemeine Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB zu denken.Das allgemeine Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass (1) wechselseitige Ansprüche bestehen, (2) diese auf dem selben rechtlichen Verhältnis beruhen (=Konnexität), (3) der Gegenanspruch fällig ist, (4) das Zurückbehaltungsrecht nicht ausgeschlossen ist und (5) das Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht wird.

5. Stehen V und K wechselseitige Ansprüche zu?

Ja, in der Tat!

Das Zurückbehaltungsrecht besteht nur, wenn die einbezogenen Ansprüche dieselben Beteiligten betreffen. Der Schuldner des Anspruchs muss zugleich Gläubiger des Gegenanspruchs sein und umgekehrt.V steht ein Anspruch gegen K auf Bezahlung der bereits gelieferten Bücher zu, wohingegen K gegen V ein Anspruch auf Übergabe und Übereignung der aktuellen Bücher zusteht. Die Ansprüche bestehen somit wechselseitig.

6. Beruhen die Ansprüche auf demselben rechtlichen Verhältnis (Konnexität)?

Ja!

Konnexität liegt vor, wenn Anspruch und Gegenanspruch einem einheitlichen Lebensverhältnis entstammen, so dass es gegen Treu und Glauben verstieße, wenn der eine Anspruch ohne Rücksicht auf den anderen durchgesetzt werden könnte. Dasselbe rechtliche Verhältnis liegt jedenfalls dann vor, wenn die Ansprüche aus demselben Schuldverhältnis im weiteren Sinne stammen. Darüber hinaus soll aber auch ein enger tatsächlicher und wirtschaftlichen Zusammenhang genügen.Die laufende Geschäftsverbindung zwischen V und K bildet ein einheitliches Lebensverhältnis dar, aus dem beide Ansprüche herrühren. Dies genügt für die nach § 273 BGB erforderliche Konnexität.

7. Ist Vs Gegenanspruch auf Bezahlung der bereits gelieferten Bücher fällig?

Genau, so ist das!

Fällig ist eine Forderung, wenn der Gläubiger die geschuldete Leistung verlangen kann. Die Fälligkeit ergibt sich aus der Parteivereinbarung oder den Umständen. Kann danach eine Leistungszeit nicht bestimmt werden und finden auch keine gesetzlichen Fälligkeitsregelungen (zB § 475 Abs. 1 BGB; 556b Abs. 1 BGB; § 614 BGB) Anwendung, so ist die Leistung sofort fällig (§ 271 Abs. 1 Alt. 1 BGB).Spätestens mit Lieferung der Bücher im Juli war Vs Anspruch auf Kaufpreiszahlung fällig (§ 433 Abs. 2 BGB).

8. Ist das Zurückbehaltungsrecht vorliegend ausgeschlossen?

Nein, das trifft nicht zu!

Das Zurückbehaltungsrecht kann (1) vertraglich (Grenze: § 309 Nr. 2b BGB), (2) gesetzlich (§§ 175, 570, 596 Abs. 2, 393 analog BGB) oder (3) nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein.V und K haben das Zurückbehaltungsrecht nicht vertraglich ausgeschlossen. Auch liegen keine Anhaltspunkte für einen gesetzlichen Ausschluss bzw. einen Ausschluss nach Treu und Glauben vor.

9. Wirkt das Zurückbehaltungsrecht automatisch, wenn V einen wechselseitigen, konnexen und fälligen Anspruch hat?

Nein!

Das allgemeine Zurückbehaltungsrecht ist eine Einrede, die vom Schuldner erhoben werden muss. Solange das Zurückbehaltungsrecht nicht geltend gemacht wird, kann der Gläubiger seine Forderung weiterhin durchsetzen.Hat der Schuldner sein Leistungsverweigerungsrecht noch nicht geltend gemacht, so muss man in der Klausur deshalb zu dem Ergebnis, dass die Forderung des Gläubigers (noch) durchsetzbar ist. Allerdings sollte man darauf hinweisen, dass die Durchsetzbarkeit entfällt, wenn der Schuldner die Einrede erhebt.

Jurafuchs kostenlos testen


VAP

Vanessa Pio

19.6.2023, 13:16:26

Euch ist beim "und" ein kleiner Rechtschreibfehler unterlaufen:)

Lena J

Lena J

26.7.2023, 16:49:57

Merksatz: „Über Einreden muss man reden.“

Paulah

Paulah

10.7.2024, 15:22:14

Bei Frage 3 steht ein Vertrrag In der Antwort ist von einer synnallagmatische [n] Verpflichtung die Rede In der Antwort zu Frage 6 steht: Darüber hinaus soll aber auch ein enger tatsächlicher und w i r t s c h a f t l i c h e n Zusammenhang genügen. Im Hinweis am Ende fehlt das "kommen": Hat der Schuldner sein Leistungsverweigerungsrecht noch nicht geltend gemacht, so muss man in der Klausur deshalb zu dem Ergebnis, dass die Forderung des Gläubigers (noch) durchsetzbar ist. Da mich hier vermutlich schon jeder für einen Korinthenkacker hält, weil ich immer die Rechtschreibfehler korrigiere, wollte ich auch gerne mal kundtun, warum mir das häufig auffällt, obwohl man Sätze wie den folgenden eigentlich problemlos lesen kann, weil das Gehirn automatisch korrigiert: Afugrnud enier Stidue an der elingshcen Cmabrdige Unvirestiät ist es eagl, in wlehcer Rienhnelfoge die Bcuhtsbaen in eniem Wrot sethen, das enizg wcihitge dbaei ist, dsas der estre und Izete Bcuhtsbae am rcihgiten Paltz snid. Der Rset knan ttolaer Bölsdinn sien, und man knan es torztedm onhe Porbelme Iseen. Ich lasse mir Texte häufig vorlesen, weil ich generell viel korrigiere (Hausarbeiten, Masterarbeiten, Doktorarbeiten). Es ist also quasi eine Berufskrankheit. Aber ich finde, Jurafuchs ist so gut, dass man auch solche Sachen ruhig verbessern kann, um es noch perfekter zu machen. Beim Vorlesen lassen durch ein Programm wird man dann stutzig, weil das Programm genau das vorliest, was da steht und nicht, wie das Gehirn, automatisch korrigiert. Ich kann die Vorlesefunktion auch so empfehlen: Man muss den Text viel konzentrierter lesen, weil das Vorleseprogramm, wenn man es nicht zu schnell einstellt, dazu zwingt, langsamer zu lesen, als man es normalerweise macht - und dabei das eine oder andere schlichtweg überliest. Das ist auch eine meiner Lernmethoden.

Foxxy

Foxxy

20.7.2024, 13:04:55

Hallo, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Foxxy, für das Jurafuchs-Team


© Jurafuchs 2024