Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Zurückbehaltungsrechte

Grundfall: Zurückbehaltungsrecht (§ 273 Abs. 1 BGB)

Grundfall: Zurückbehaltungsrecht (§ 273 Abs. 1 BGB)

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V beliefert K regelmäßig mit Büchern. Für das Weihnachtsgeschäft bestellt K im Oktober Bücher, lieferbar zum 15.11. Am vereinbarten Liefertermin weigert sich V, die Bücher zu liefern. Sie verweist darauf, dass K ihr noch für die im Juli gelieferten Bücher den Kaufpreis schulde.

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Einordnung des Falls

Grundfall: Zurückbehaltungsrecht (§ 273 Abs. 1 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat K einen Anspruch auf Lieferung der Bücher (§ 433 Abs. 1 BGB)?

Genau, so ist das!

Bei Abschluss eines Kaufvertrages ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer die mangelfreie Kaufsache zu übergeben und zu übereignen (§ 433 Abs. 1 BGB). V und K haben einen Kaufvertrag über die Bücher geschlossen. V war somit verpflichtet, diese an K zu liefern, also zu übergeben und zu übereignen.
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2. Ist Ks Anspruch auf Lieferung durchsetzbar, wenn V ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 Abs. 1 BGB zusteht?

Nein, das trifft nicht zu!

Bei einem gegenseitigen Vertrag kann eine Partei die ihr obliegende Leistung so lange verweigern, bis die Gegenleistung bewirkt ist (§ 320 Abs. 1 BGB). Dies setzt voraus: (1) das Bestehen eines wirksamen gegenseitigen Vertrages, (2) Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen der verweigerten Leistungspflicht und der Gegenleistungspflicht, (3) eine fällige und (4) noch nicht erbrachte Gegenleistung, (5) Der Schuldner muss sich selbst vertragstreu verhalten und (6) das Zurückbehaltungsrecht darf nicht ausgeschlossen sein.§ 320 BGB ist als spezielles Leistungsverweigerungsrecht vor dem allgemeinen Zurückbehaltungsrecht zu prüfen (§ 273 BGB).

3. Ist V nach § 320 Abs. 1 S. 1 BGB berechtigt, die Lieferung zu verweigern, weil K ihr aus einem früheren Vertrag noch Geld schuldet?

Nein!

Das Zurückbehaltungsrecht nach § 320 Abs. 1 S. 1 BGB setzt gegenseitige (synnallagmatische) Verpflichtungen voraus.Die frühere Zahlungspflicht des K (§ 433 Abs. 2 BGB) steht zur jetzigen Lieferpflicht nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Insofern kann sich V diesbezüglich nicht auf die Einrede des nichterfüllten Vertrages berufen (§ 320 Abs. 1 BGB).Dies ginge lediglich im Hinblick auf die Bezahlung der aktuellen Bücher. Hier ist K aber lediglich zur Leistung „Zug-um-Zug“ gegen Übergabe und Übereignung der Bücher verpflichtet.

4. Kommt neben § 320 Abs. 1 BGB noch ein anderes Zurückbehaltungsrecht in Betracht?

Genau, so ist das!

Sofern § 320 Abs. 1 BGB aufgrund der fehlenden Gegenseitigkeit ausscheidet, so ist immer auch an das allgemeine Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB zu denken.Das allgemeine Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass (1) wechselseitige Ansprüche bestehen, (2) diese auf dem selben rechtlichen Verhältnis beruhen (=Konnexität), (3) der Gegenanspruch fällig ist, (4) das Zurückbehaltungsrecht nicht ausgeschlossen ist und (5) das Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht wird.

5. Stehen V und K wechselseitige Ansprüche zu?

Ja, in der Tat!

Das Zurückbehaltungsrecht besteht nur, wenn die einbezogenen Ansprüche dieselben Beteiligten betreffen. Der Schuldner des Anspruchs muss zugleich Gläubiger des Gegenanspruchs sein und umgekehrt.V steht ein Anspruch gegen K auf Bezahlung der bereits gelieferten Bücher zu, wohingegen K gegen V ein Anspruch auf Übergabe und Übereignung der aktuellen Bücher zusteht. Die Ansprüche bestehen somit wechselseitig.

6. Beruhen die Ansprüche auf demselben rechtlichen Verhältnis (Konnexität)?

Ja!

Konnexität liegt vor, wenn Anspruch und Gegenanspruch einem einheitlichen Lebensverhältnis entstammen, so dass es gegen Treu und Glauben verstieße, wenn der eine Anspruch ohne Rücksicht auf den anderen durchgesetzt werden könnte. Dasselbe rechtliche Verhältnis liegt jedenfalls dann vor, wenn die Ansprüche aus demselben Schuldverhältnis im weiteren Sinne stammen. Darüber hinaus soll aber auch ein enger tatsächlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang genügen.Die laufende Geschäftsverbindung zwischen V und K bildet ein einheitliches Lebensverhältnis dar, aus dem beide Ansprüche herrühren. Dies genügt für die nach § 273 BGB erforderliche Konnexität.

7. Ist Vs Gegenanspruch auf Bezahlung der bereits gelieferten Bücher fällig?

Genau, so ist das!

Fällig ist eine Forderung, wenn der Gläubiger die geschuldete Leistung verlangen kann. Die Fälligkeit ergibt sich aus der Parteivereinbarung oder den Umständen. Kann danach eine Leistungszeit nicht bestimmt werden und finden auch keine gesetzlichen Fälligkeitsregelungen (zB § 475 Abs. 1 BGB; 556b Abs. 1 BGB; § 614 BGB) Anwendung, so ist die Leistung sofort fällig (§ 271 Abs. 1 Alt. 1 BGB).Spätestens mit Lieferung der Bücher im Juli war Vs Anspruch auf Kaufpreiszahlung fällig (§ 433 Abs. 2 BGB).

8. Ist das Zurückbehaltungsrecht vorliegend ausgeschlossen?

Nein, das trifft nicht zu!

Das Zurückbehaltungsrecht kann (1) vertraglich (Grenze: § 309 Nr. 2b BGB), (2) gesetzlich (§§ 175, 570, 596 Abs. 2, 393 analog BGB) oder (3) nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein.V und K haben das Zurückbehaltungsrecht nicht vertraglich ausgeschlossen. Auch liegen keine Anhaltspunkte für einen gesetzlichen Ausschluss bzw. einen Ausschluss nach Treu und Glauben vor.

9. Wirkt das Zurückbehaltungsrecht automatisch, wenn V einen wechselseitigen, konnexen und fälligen Anspruch hat?

Nein!

Das allgemeine Zurückbehaltungsrecht ist eine Einrede, die vom Schuldner erhoben werden muss. Solange das Zurückbehaltungsrecht nicht geltend gemacht wird, kann der Gläubiger seine Forderung weiterhin durchsetzen.Hat der Schuldner sein Leistungsverweigerungsrecht noch nicht geltend gemacht, so muss man in der Klausur deshalb zu dem Ergebnis kommen, dass die Forderung des Gläubigers (noch) durchsetzbar ist. Allerdings sollte man darauf hinweisen, dass die Durchsetzbarkeit entfällt, wenn der Schuldner die Einrede erhebt.
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