Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht, § 369 HGB

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Kaufmann A ist Inhaber einer Kfz-Werkstatt und hat gegen Kaufmann B eine Forderung aus einem Reparaturauftrag in Höhe von €10.000. B überlässt A ihren Transporter, welcher ihn verkaufen soll. B überlegt es sich jedoch anders und verlangt den Transporter am nächsten Tag wieder heraus. A verweigert die Herausgabe.

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Einordnung des Falls

Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht, § 369 HGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A könnte gegenüber dem Herausgabeverlangen der B ein Zurückbehaltungsrecht bezüglich des Transporters aus § 369 Abs. 1 S. 1 HGB haben.

Genau, so ist das!

Das Handelsrecht stellt Kaufleuten ein besonderes Zurückbehaltungsrecht zur Verfügung (§ 369 Abs. 1 S. 1 HGB). Voraussetzung für dieses ist (1) Kaufmannseigenschaft beider Beteiligter, (2) eine fällige Geldforderung aus beiderseitigem Handelsgeschäft und (3) Besitz des Gläubigers an einer beweglichen Sache oder einem Wertpapier des Schuldners, den der Gläubiger (4) mit dem Willen des Schuldners aufgrund von Handelsgeschäften erlangt hat. Das Zurückbehaltungsrecht darf (5) nicht ausgeschlossen sein (§ 369 Abs. 3 HGB).
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2. A und B sind Kaufleute (§ 369 Abs. 1 S. 1 HGB).

Ja, in der Tat!

Damit der persönliche Anwendungsbereich eröffnet ist, müssen Gläubiger und Schuldner im Zeitpunkt des Entstehens des Zurückbehaltungsrechts Kaufleute sein (§ 1-6 HGB). Die Kaufmannseigenschaft von A und B liegt vor (§ 1-6 HGB).

3. A hat gegen B eine fällige Geldforderung aus einem beiderseitigen Handelsgeschäft (§ 369 Abs. 1 S. 1 HGB).

Ja!

Um das Zurückbehaltungsrecht geltend machen zu können, muss dem Gläubiger eine fällige (§ 271 BGB) Geldforderung gegenüber dem Schuldner aus beiderseitigem Handelsgeschäft (§§ 343 Abs. 1, 344 HGB) zustehen. Die zu sichernde Forderung muss also aus einem Geschäft stammen, das für beide Kaufleute zum Betrieb des jeweiligen Handelsgewerbes gehört (§§ 343, 344 HGB). Das Geschäft muss zudem unmittelbar zwischen den beiden Kaufleuten geschlossen worden sein. Mit der Zurückbehaltung des Transporters möchte A die fällige (§ 271 BGB) Forderung aus dem Reparaturauftrag in Höhe von 10.000 € sichern. Dass dieses Geschäft für A und B ein Handelsgeschäft darstellt, wird vermutet (§ 344 Abs. 1 HGB). Der Reparaturauftrag wurde unmittelbar zwischen A und B abgeschlossen.

4. Die Forderung muss aus demselben rechtlichen Verhältnis wie der Besitz am Transporter stammen (Konnexität).

Nein, das ist nicht der Fall!

Im Gegensatz zu § 273 BGB ist es für die Begründung des kaufmännischen Zurückbehaltungsrechts nicht erforderlich, dass der Anspruch aus demselben rechtlichen Verhältnis stammt (Konnexität). Das ist der Fall, wenn zwischen der Herausgabepflicht und der gesicherten Forderung ein innerlich zusammengehöriges, einheitliches Lebensverhältnis besteht, gebildet durch natürlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang. Insofern ist der Anwendungsbereich des kaufmännischen Zurückbehaltungsrechts (§ 369 HGB) weiter. Die Ansprüche können aus verschiedenen Rechtsverhältnissen stammen.

5. A hat Besitz an einer beweglichen Sache oder einem Wertpapier der B (§ 369 Abs. 1 S. 1 HGB).

Ja, in der Tat!

Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht kann nur an beweglichen Sachen und Wertpapieren des Schuldners (§ 369 Abs. 1 S. 1 HGB) bestehen. Der Gläubiger muss Besitzer des Gegenstands sein und dieser muss im Eigentum des Schuldners stehen (§ 369 Abs. 1 S. 1 HGB). Es besteht auch, wenn das Eigentum auf den Gläubiger übergegangen ist, diesen aber eine Rückübereignungspflicht trifft (§ 369 Abs. 1 S. 2 HGB). Der Transporter ist eine bewegliche Sache (§ 90 BGB). Er steht im Eigentum der B und wurde A überlassen, damit dieser ihn für B verkauft. A hat zu diesem Zweck Besitz am Transporter erworben. Grund der Beschränkung auf bewegliche Sachen und Wertpapiere: Ein Zurückbehaltungsrecht kann nur an selbstständig nach § 371 HGB verwertbaren Gegenständen bestehen.

6. A hat den Besitz an dem Transporter mit Willen der B erlangt (§ 369 Abs. 1 S. 1 HGB).

Ja!

Der Gläubiger muss den Besitz mit Willen des Schuldners (oder seines Vertreters, § 166 BGB) erlangt haben. Eigenmächtig erlangter Besitz berechtigt nicht zur Zurückbehaltung, auch wenn die Besitzentziehung gestattet war. Der Gläubiger muss den Besitz zudem auf Grund eines Geschäfts erlangt haben, das sich auf seiner Seite als Handelsgeschäft darstellt (§§ 343, 344 HGB). B hat den Transporter zu dem Zweck A willentlich übergeben, dass A den Transporter für B verkauft. Solche Geschäfte gehören zum Handelsgewerbe des A (§ 343 Abs. 1 HGB). Die Eigenschaft als Handelsgeschäft wird mithin vermutet (§ 344 Abs. 1 HGB).

7. A kann dem Herausgabeverlangen der B bezüglich des Transporters das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht (§ 369 Abs. 1 S. 1 HGB) entgegenhalten.

Genau, so ist das!

Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht gewährt dem Gläubiger eine aufschiebende Einrede. Wird sie erhoben, führt das zu einer Verurteilung zur Erfüllung Zug um Zug (vgl. § 274 Abs. 1 BGB). Darüber hinaus resultieren aus dem kaufmännischen Zurückbehaltungsrecht ein pfandrechtsähnliches Befriedigungsrecht (§ 371 HGB) sowie ein Absonderungsrecht (§ 51 Nr. 3 InsO). Die Voraussetzungen des § 369 Abs. 1 S. 1 HGB liegen vor. Wenn A das Zurückbehaltungsrecht geltend macht, kann B die Herausgabe des Transporters nur Zug um Zug (vgl. § 274 Abs. 1 BGB) gegen Zahlung der €10.000 verlangen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

jomolino

9.3.2022, 16:17:05

Könntet ihr noch eine Frage dazu ergänzen inwiefern es sich bei dem ZBR um eine RzB iSd 986 handelt oder nur die Durchsetzbarkeit des Anspruchs aus 985 gehemmt wird?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.3.2022, 10:31:50

Hallo nomamo, hier ergeben sich insoweit keine Besonderheiten gegenüber dem allgemeinen

Zurückbehaltungsrecht

aus

§ 273

BGB. Auch hier unterscheiden sich insoweit die Auffassung des BGH, der ein Recht zum Besitz annimmt, und die h.L., die vertritt, dass das

Zurückbehaltungsrecht

lediglich die Durchsetzbarkeit des Anspruches hemmt (Überblick bei Welter, in: MüKo-HGB, 5.A. 2021, § 369 RdNr. 64). Wir werden den Streit bald auch nochmal beim

Vindikationsanspruch

im Sachenrecht vertiefen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

p6000

p6000

27.5.2024, 11:50:34

Auch wenn das sicherlich nicht den Schwerpunkt der Aufgabe darstellt, stellt sich mir die Frage, ob hier tatsächlich ein beidseitiges

Handelsgeschäft

angenommen werden kann. Dies wird hier aufgrund der Vermutung des § 344 I HGB bejaht. Müsste nicht theoretisch noch auf das Verhältnis von § 344 I HGB und § 13 BGB eingegangen werden? § 13 BGB stellt ja die genau gegensätzliche Vermutung auf, dass eine natürliche Person als Verbraucher tätig wird, wonach gerade kein

Handelsgeschäft

vorliegen würde. Vielen Dank schonmal :)

BigLebowski

BigLebowski

26.7.2024, 23:41:52

Hi! MMn stellt § 13 BGB keine

gesetzliche Vermutung

auf, die von der anderen Partei widerlegt werden müsste. Vielmehr muss derjenige, der sich zu seinem Vorteil darauf beruft, beweisen, als Verbraucher gehandelt zu haben. Nur im Zweifel (Auslegungsregel) gilt ein Geschäft als Verbrauchergeschäft für eine Person, wobei das vor allem im Kaufrecht große Bedeutung hat. Und unter Kaufleuten gilt vorrangig die widerlegbare Vermutung des § 344 I. Wenn dazu was im SV steht, würde man drüber diskutieren. Hier nicht, wir haben keine Infos. Also gilt mMn die Vermutung des § 344 I und die Auslegungsregel findet keine Anwendung.


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