Aufsichtspflicht außerhalb der Schule – Klassenausflug zu einem Baggersee


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die 6a (öffentliche Schule in Hannover) ist auf Wandertag am Baggersee (keine Bademeister, Wasser wird schnell tief). Die Hälfte der Schüler kann Schwimmen, S gehört nicht dazu. Lehrerin L hat Luftmatratzen grundsätzlich verboten. S paddelt dennoch unbemerkt raus, fällt ins Wasser und ertrinkt.

Einordnung des Falls

Aufsichtspflicht außerhalb der Schule – Klassenausflug zu einem Baggersee

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S hat einen Amtshaftungsanspruch (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) gegen das Land Niedersachsen, wenn L in Ausübung ihres öffentlichen Amtes schuldhaft eine drittgerichtete Amtspflicht verletzt hat und S daraus ein Schaden entstanden ist.

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Ja!

Ist der Unfall der S aufgrund einer Aufsichtspflichtverletzung der L entstanden, so hat S Anspruch auf Ersatz ihres Schadens gegen das Land Niedersachsen aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG.

2. L hat in Ausübung ihres öffentlichen Amtes eine drittgerichtete Amtspflicht verletzt, indem sie den Baggersee als Ausflugsziel ausgewählt hat.

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Genau, so ist das!

Alle Schulgesetze verpflichten die Lehrer zur Aufsicht (hier: § 61 Abs. 1 S. 1 niedersächsisches Schulgesetz). Das genaue Maß richtet sich nach Alter und Reife der Schüler und den Umständen. Die aufsichtspflichtige Person muss tun, was objektiv nötig und subjektiv möglich ist. Die Aufsicht muss nicht lückenlos sein. Es genügt eine Aufsicht, die so beschaffen ist, dass die Schüler das Gefühl haben, beaufsichtigt zu werden. Lehrer müssen auch Gefahrenquellen samt Schutzmöglichkeiten aufzeigen und sicherstellen, dass ihre Anweisungen befolgt werden.OLG Köln: Der Baggersee werde schnell tief und verfüge nicht über eine Badeaufsicht. Die Sicherheit der Kinder, die nicht oder nicht gut schwimmen konnten, sei dort nicht gewährleistet gewesen. L sei allein mit der Aufsicht inmitten eines regen Badebetriebs überfordert gewesen. Sie hätte von einem Ausflug zum Baggersee absehen müssen (OLG Köln, RdNr. 16f.).

3. Im Verhältnis zwischen S und L gilt allgemeines Zivilrecht (Deliktsrecht, §§ 823ff. BGB). S hat gegen L einen Schadensersatzanspruch, wenn L vorsätzlich oder fahrlässig das Rechtsgut Leben der S verletzt hat.

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Nein, das trifft nicht zu!

Verletzt ein Lehrer an einer öffentlichen Schule in Ausübung des ihm anvertrauten Amtes (hoheitliche Tätigkeit) eine Dienstpflicht und tritt dadurch ein Schaden ein, ist eine Haftung nach den §§ 823ff. BGB ausgeschlossen. Das gilt unabhängig davon, ob der Lehrer Beamter im staatsrechtlichen Sinne ist. Entscheidend ist, dass der Lehrer an einer öffentlichen Schule eine hoheitliche Aufgabe wahrnimmt. Es gibt für Schäden, die aus dieser Tätigkeit entstehen, ein spezielles öffentlich-rechtliches Haftungsregime, das Amtshaftungsrecht. Es entlastet zum einen den Lehrer. Und gibt zum anderen dem Geschädigten einen solventeren Schuldner: den Staat.

4. Etwaige Schadensersatzansprüche der S sind mit ihrem Tod auf ihre Eltern übergegangen.

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Ja!

Mit dem Tod einer Person geht deren Vermögen auf die Erben über (§ 1922 BGB). Davon sind auch Schadensersatzansprüche umfasst.Da die 14-jährige S keine Kinder hatte, erben ihre Eltern (§ 1925 Abs. 1, 2 BGB).

5. L hat sich strafbar gemacht wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB).

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Genau, so ist das!

Eine Strafbarkeit der L wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) setzt voraus, dass L den Tod der S kausal und objektiv zurechenbar durch eine fahrlässige Handlung (Sorgfaltspflichtverletzung) herbeigeführt hat.OLG Köln: L habe fahrlässig mehrere Amtspflichten verletzt, v.a. durch die Auswahl des ungeeigneten Baggersees als Ausflugsziel und durch ihre Pflichtwidrigkeit bei der Aufsicht am Badeplatz selbst. Diese Pflichtverstöße seien für den eingetretenen Unglücksfall kausal gewesen. Es hätten sich dabei auch gerade die dem Unglücksfall anhaftenden Risiken konkretisiert. (RdNr. 16-23).

6. L hat in Ausübung ihres öffentlichen Amtes eine drittgerichtete Amtspflicht verletzt, da sie die Wasserfläche nicht ständig aufmerksam im Auge hatte.

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Ja, in der Tat!

OLG Köln: L habe durch die Auswahl des gefährlichen Ausflugsziels eine Gefahrenlage geschaffen, die sie zu gesteigerter Aufsichtspflicht verpflichtet habe. Die Aufsichtspflicht eines Lehrers gehe nicht so weit, dass er jeden Schüler ständig im Auge behalten muss. Solange L nicht durch klare Anweisung sichergestellt habe, dass kein Kind ihrer Klasse sich im Wasser aufhält, habe sie ständig die Wasserfläche und ihre sich dort aufhaltenden Schüler im Auge behalten müssen. Diese Pflicht habe sie verletzt, da ihr andernfalls nicht entgangen wäre, dass zwei Mädchen auf eine Luftmatratze weit in den See hinaus paddelten (RdNr. 21ff.).

7. Wenn die Eltern der S das Bundesland Niedersachsen in Anspruch nehmen, ist L verpflichtet, dem Bundesland Niedersachsen den Schaden aus eigener Tasche zu erstatten.

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Ja!

Grundsätzlich muss der Lehrer an einer öffentlichen Schule keine persönliche Haftung fürchten. Eine Ausnahme gilt, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Dann kann der Dienstherr (hier: das Bundesland Niedersachsen) den Lehrer in Rückgriff nehmen (sog. Regress), d.h. der Lehrer muss den Schaden selbst ersetzen. Das ergibt sich aus § 48 BeamtStG (für Beamte) bzw. § 3 Abs. 7 TV-L (für angestellte Bedienstete). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die "im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt" wurde, also, wenn schon ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden und das nicht beachtet wurde, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste.Hier dürfte L grob fahrlässig gehandelt haben, indem sie einen Ausflug zu einem gefährlichen Ort ohne ausreichende Aufsicht vorgenommen hat. Das Bundesland Niedersachsen kann L in Regress nehmen.

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