Sache mit digitalen Produkten

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Nach einem Zahnarztbesuch ist Verbraucherin K motiviert, endlich ihre Zahnpflege in Angriff zu nehmen. Deswegen kauft sie im Laden der Unternehmerin V eine elektrische Zahnbürste inklusive App für ihr Handy. Die App zeigt an, wie sie ihre Zähne putzen soll und speichert die Daten anschließend.

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Einordnung des Falls

Sache mit digitalen Produkten

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Handelt es sich bei der App um einen digitalen Inhalt (§ 327 Abs. 2 S. 1 BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Digitale Inhalte sind Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt werden (§ 327 Abs. 2 S. 1 BGB). Was unter einer digitalen Dienstleistung verstanden wird, ist in § 327 Abs. 2 S. 2 BGB legaldefiniert. Während Nr.1 auf die alleinige Nutzung durch den Verbraucher abstellt, liegt der Schwerpunkt bei Nr. 2 auf der gemeinsamen Nutzung durch mehrere Personen. Mit der App können Daten erstellt, verarbeitet und gespeichert werden. Es handelt sich also vorliegend nicht um einen digitalen Inhalt, aber zumindest um eine digitale Dienstleistung i.S.d. § 327 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BGB und damit um ein digitales Produkt.
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2. Die App ist mit der Zahnbürste verbunden (§ 327a Abs. 2 S. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Ein digitales Produkt ist mit einer Sache verbunden, wenn es mit der Sache interagiert. Ein digitales Produkt ist dagegen in einer Sache enthalten, wenn diese Sache die dafür erforderlichen Daten trägt. Über die App kann K mit der Zahnbürste interagieren. Sie kann Daten erstellen, die App verarbeitet und speichert sie. Die App ist also mit der Zahnbürste verbunden.

3. Die Zahnbürste wird im Rahmen eines Kaufvertrags bereitgestellt (vertragliches Kriterium, § 327a Abs. 3 BGB).

Ja!

K und V haben einen Kaufvertrag über die Zahnbürste samt App geschlossen. Die Sache wird im Rahmen eines Kaufvertrags bereitgestellt (§ 327a Abs. 3 BGB). Die Einbindung in einem Kaufvertrag wird im Zweifel vermutet (§ 327a Abs. 3 S. 2 BGB)

4. Die Zahnbürste kann ohne die App ihre Funktion nicht erfüllen (funktionales Kriterium, § 327a Abs. 3 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Ob eine Sache auch ohne das digitale Produkt ihre Funktion erfüllen kann, ist durch lebensnahe Auslegung zu ermitteln. Eine Zahnbürste kann auch ohne eine App ihre Hauptfunktion - das Reinigen der Zähne - erfüllen. Hierfür muss das Zahnputzverhalten nicht zwingend aufgezeichnet werden. Ob K die Zahnbürste nur wegen der App gekauft hat, spielt dabei keine Rolle.

5. Auf die App und die mit ihr verbundene Zahnbüste sind jeweils die §§ 327 ff. BGB anwendbar (§ 327a Abs. 2 S. 2 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Da es sich nicht um eine Ware mit digitalen Elementen handelt, ergeben sich die anzuwendenden Vorschriften aus § 327a Abs. 2 S. 2 BGB. Dort ist bestimmt, dass bei einer Ware, die digitale Produkte enthält oder mit ihnen verbunden ist, die anwendbaren Normen aufgespalten werden. Für den digitalen Bestandteil sind die §§ 327 ff. BGB anwendbar. Für die Ware gelten die §§ 433 ff. BGB. Das bedeutet, dass sich die Behandlung der App nach §§ 327 ff. BGB richtet. Auf die Zahnbürste finden dagegen die Regelungen des Kaufrechts Anwendung.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

INDUB

InDubioProsecco

7.6.2023, 16:04:20

Wie steht es im Falle einer Aufspaltung der rechtlichen Behandlung um den Maßstab des kaufrechtlichen Mangelbegriffs? Kann man etwaige Mängel der App unter

§ 434 BGB

, insbesondere Abs. 3 subsumieren? Oder muss man diese kommplett unbeachtet lassen? Ich frage mich dies, weil im Falle der Beachtlichkeit dann ein Rücktritt vom Kaufvertrag (inklusive der App) möglich wäre, ohne dass die Sache selbst (also die Zahnbürste) mangelhaft ist. Alles sehr verwirrend und gesetzgeberisch keine gute Lösung, wie ich finde.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.6.2023, 09:09:51

Hallo InDubioProsecco, sehr berechtigte Frage. Im Grundsatz findet erst einmal eine völlige Trennung statt. Die App wird also nach den § 327ff. BGB bewertet, die Zahnbürste nach den §§ 434 ff. BGB. Inhaltlich ergeben sich wenig Unterschiede, da der Mangelbegriff des § 327e BGB weitgehend parallel zu

§ 434 BGB

gestaltet ist. Wie ist es aber nun bei einem Rücktritt wegen Mangelhaftigkeit der App? Muss ich die Zahnbürste behalten? Die notwendige Verbindung schafft § 327m Abs. 5 BGB. Sofern sich die Zahnbürste ebenfalls nicht zur gewöhnlichen Verwendung eignet, dann ist ein Rücktritt vom gesamten Vertrag möglich. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

16.4.2024, 12:09:51

Viel intressanter ist doch der umgekehrte Fall. Eine mangelfreie App, aber eine mangelhafte Zahnbürste. Die Zahnbürste mag sich noch ohne die App benutzen lassen. Die App hingegen ist ohne die Zahnbürste völlig nutzlos. Wir wird in einem solchen Fall die Verbindung zwischen Kaufrecht und dem Recht der digitalen Produkte hergestellt?

DAV

David.

24.9.2023, 13:32:30

Bei einer App werden die Inhalte ja auch in digitaler Form erstellt und auch in digitaler Form bereitgestellt. Also sollte die App doch zumindest auch ein digitaler Inhalt sein. Mir fällt es auf jeden Fall schwer, eine App nicht unter die Definition des digitalen Inhalts zu subsumieren. Letztendlich ist die Differenzierung ja auch nur für die Bereitstellung nach § 327b relevant. Würde es nicht ausreichen, die Einordnung vorerst offen zu lassen, erstmal nur festzustellen, dass auf jeden Fall ein digitales Produkt vorliegt und im Rahmen der Bereitstellung dann eine Zuordnung anhand des Schwerpunktes vorzunehmen?

MAG

MagicMarv

3.10.2023, 15:49:08

Ich hätte die App auch als digitalen Inhalt bewertet. Damit sind wir nicht alleine: Auch im Grüneberg, § 327 Rn. 4 werden Apps als Beispiele für digitale Inhalte genannt.

paulmachtexamen

paulmachtexamen

16.6.2024, 17:52:36

Liebe Jurafüchse, kurz zum Verständnis: Warum handelt es sich hierbei nicht um einen

Paketvertrag

iSd

327a

I? Bei welchem Tatbestandsmerkmal fliege ich da raus?

MARC

Marco

22.7.2024, 17:22:09

Es geht ja in diesem Übungsfall nur um den Anwendungsbereich der §§ 327 ff. BGB. Ob ein

Paketvertrag

vorliegt oder nicht, spielt hierfür keine Rolle. Relevant wird das erst im Rahmen der Vertragsbeendigung, vgl. § 327m Abs.4 und 5 BGB. Da §

327a

Abs. 2 das Spiegelbild zu § 475a Abs. 2 BGB bildet, spricht vieles dafür dass §

327a

Abs. 2 ggü Abs. 1 (

Paketvertrag

) spezieller ist, wenn es sich - wie hier - um einen Kaufvertrag über Sachen mit verbundenen digitalen Produkten handelt.


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