+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Gut, meint Tariq, jetzt weiß ich, was der Gutachtenstil ist, aber wofür ist er da? Lawra zuckt mit den Schultern. Da kommt Clara Winkelmann auf sie zu, Jurastudentin in der Examensvorbereitung und Tutorin aus der Fachschaft. Clara beantwortet Lawras und Tariqs Fragen hilfsbereit.
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Einordnung des Falls
Was ist der Grund für die Verwendung des Gutachtenstils?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der Gutachtenstil wirkt auf Erstis wie eine Juristen-Obsession. Gibt es auch einen sachlichen Grund für den Gutachtenstil?
Genau, so ist das!
Der Gutachtenstil ist eine Art, juristisch zu denken. Dabei wird ein Rechtsproblem geprüft, sodass der Gedankengang bei der Lösung nachvollzogen werden kann. Ziel des Gutachtenstils ist es, einen Lebenssachverhalt aus möglichst vielen juristischen Blickwinkeln ergebnisoffen zu betrachten und Schritt für Schritt einer rechtlichen Lösung herbeizuführen. Auf diese Weise gelingt es, dem Sachverhalt alle notwendigen Informationen zu entnehmen, ihn unter allen möglichen rechtlichen Blickwinkeln zu bewerten und tragfähige Lösungen herauszuarbeiten.
Zugleich hilft der Gutachtenstil dabei, vorschnelle Schlüsse zu vermeiden oder wesentliche Sachverhaltsinformationen und rechtliche Lösungsansätze zu übersehen. Das hilft Dir natürlich auch in Deiner juristischen Klausur.
Der Gutachtenstil hat ein bisschen was von einem Detektiv- oder Puzzlespiel, in dem Du die „richtige“ Lösung eines Falles in akribischer Kleinstarbeit herausarbeiten musst. Du kannst Dir den Gutachtenstil auch so vorstellen, als würdest Du Dir selbst beim Denken zusehen: So kannst Du „von außen“ jeden gedanklichen Schritt nachvollziehen. Und natürlich kann so auch Deine Korrektorin jeden Deiner Prüfungsschritte gedanklich nachvollziehen und Dir dafür Punkte geben.
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2. Ist der Gutachtenstil also eine gedankliche Argumentationshilfe ohne klare Struktur?
Nein, das trifft nicht zu!
Der Gutachtenstil hat eine klare Struktur mit vier Schritten:
(1) Obersatz,
(2) Definition,
(3) Subsumtion,
(4) Ergebnis.
Was sich hinter diesen einzelnen Schritten verbirgt und wie Du hier jeweils vorgehst, erfährst Du in den nächsten Lerneinheiten.
3. Tariq frag sich, ob er den Gutachtenstil nach der Ausbildung wieder vergessen kann. Hat der Gutachtenstil auch einen Nutzen in der juristischen Praxis, also etwa im Richteramt oder im Anwaltsberuf?
Ja!
Der Gutachtenstil findet auch in der Praxis Anwendung. Denn die Stärke des Gutachtenstils liegt darin, durch seine ergebnisoffene, neutrale Struktur alle denkbaren rechtlichen Ansätze, Argumente und Lösungen eines Falles auf ihre Tragfähigkeit hin zu überprüfen und dadurch den – in der Praxis echten – Fall einer praxistauglichen Lösung zuzuführen.
Das gilt in besonderer Weise für Richterinnen und Staatsanwälte: Aufgabe der Justiz ist es, unvoreingenommen nach Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) einen Fall juristisch zu bewerten. Der Gutachtenstil hilft dabei, den Fall sauber und nach allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten zu lösen. Auch staatsanwaltliche Gutachten zum Abschluss von Ermittlungsverfahren und zur Vorbereitung von Anklageschriften werden in einem (teilweise verkürzten) Gutachtenstil verfasst.
Im Anwaltsberuf kann die logische und schrittweise Struktur des Gutachtenstils dabei helfen, dass die Mandantin den Gedankengang des Vorgehens in ihrer Sache nachvollziehen kann.
In der Praxis wird der Gutachtenstil mit gewissen Einschränkungen angewandt:
Gerichtliche Entscheidungen – Urteile und Beschlüsse – werden im sog. Urteilsstil abgefasst.
Im Anwaltsberuf steht das Ergebnis Deiner Prüfung in aller Regel fest: Du willst Deinem Mandanten zum Recht verhelfen, also hat Dein Mandant erstmal recht. Gleichwohl musst Du auch als Anwalt den Fall ergebnisoffen prüfen: Wenn das Vorgehen, das Dein Mandant sich wünscht, keine Aussicht auf Erfolg hat, gebietet es die anwaltliche Sorgfaltspflicht, dies dem Mandanten auch mitzuteilen.
Auch in der Wissenschaft kann es sinnvoll sein, sich der rechtswissenschaftlichen Bearbeitung eines (praktischen) Rechtsproblems im Gutachtenstil zu nähern. Das Ergebnis der rechtswissenschaftlichen Untersuchung wird eine Professorin aller Regel aber nicht im Gutachtenstil verfassen.