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Verwaltungsrecht BT: Sonstiges
Beurteilung der Eignung als Bewerber für die Polizei bei verfassungsfeindlichen Chatnachrichten (VG Berlin, Urteil. v. 21.06.2023 – VG 36 K 384/22)
Beurteilung der Eignung als Bewerber für die Polizei bei verfassungsfeindlichen Chatnachrichten (VG Berlin, Urteil. v. 21.06.2023 – VG 36 K 384/22)
21. Mai 2025
13 Kommentare
4,7 ★ (13.156 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K bewirbt sich in Berlin um eine Ausbildung im mittleren Polizeidienst unter Begründung eines Beamtenverhältnisses ab dem 01.09.2022. Er wird wegen fehlender persönlicher Eignung abgelehnt mit der Begründung, dass er in Chats mehrfach Bilder verfassungsfeindlichen Inhalts geteilt hat.
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Einordnung des Falls
Beurteilung der Eignung als Bewerber für die Polizei bei verfassungsfeindlichen Chatnachrichten (VG Berlin, Urteil. v. 21.06.2023 – VG 36 K 384/22)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 13 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K möchte gegen die Ablehnung verwaltungsgerichtlich vorgehen. Richtet sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweg für seine Klage nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO?
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. K klagt am 20.10.2022 gegen die Ablehnung der Begründung des Beamtenverhältnisses zum 01.09.2022. Ist die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) statthaft?
Nein!
3. K möchte sich auch in Zukunft erneut bei der Berliner Polizei bewerben. Liegt ein berechtigtes Interesse i.S.d. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO (Fortsetzungsfeststellungsinteresse) vor?
Genau, so ist das!
4. Ks Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch im Übrigen zulässig. Setzt die Begründetheit allein voraus, dass die Ablehnung seiner Bewerbung rechtswidrig gewesen ist (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO i.V.m. § 113 Abs. 5 S. 1, 2 VwGO)?
Nein, das trifft nicht zu!
5. Art. 33 Abs. 2 GG normiert einen Anspruch auf gleichen Zugang zu einem öffentlichen Amt.
Ja!
6. Art. 33 Abs. 2 GG und § 9 BeamtStG setzen unter anderem die persönliche Eignung des Bewerbers voraus.
Genau, so ist das!
7. Kommt der Behörde hinsichtlich der Eignung eines Bewerbers i.S.d. Art. 33 Abs. 2 GG, § 9 BeamtStG ein Beurteilungsspielraum zu?
Ja, in der Tat!
8. K wurde vor der Ablehnung seiner Bewerbung nicht angehört. Ist die Beurteilung der Behörde deshalb verfahrensfehlerhaft?
Nein!
9. Die Eignung i.S.d. Art. 33 Abs. 2 GG, § 9 BeamtStG bezieht sich auf Persönlichkeit und charakterliche Eigenschaften von Bewerbern. Gehört dazu die Bereitschaft, Grundsätze der Verfassung zu wahren?
Genau, so ist das!
10. Dass K Bilder versendet hat, die Akteure des Nationalsozialismus verharmlosen und gutheißen, spricht für seine Verfassungstreue.
Nein, das trifft nicht zu!
11. Die Behörde trifft eine Prognoseentscheidung hinsichtlich Ks Eignung. Kann sie nur dann eine negative Entscheidung treffen, wenn Ks rechtsradikale Überzeugung gesichert nachgewiesen ist?
Nein!
12. (Erst) in der mündlichen Verhandlung vor dem VG konnte K sich glaubhaft von den Darstellungen distanzieren. Führt das dazu, dass die Annahme der Behörde, dass ihm die Eignung fehlt, beurteilungsfehlerhaft ist?
Nein, das ist nicht der Fall!
13. Die Behörde hat erst in der Klageerwiderung genauer ausgeführt, wieso das Versenden der Bilder zu der fehlenden Eignung des K führt. Hat sie damit einen komplett neuen Ablehnungsgrund eingebracht?
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Yannic Buque
5.4.2025, 08:51:49
K möchte doch letztendlich, dass er in das Beamtenverhältnis aufgenommen wird. Die reine
Fortsetzungsfeststellungsklageist für sein Begehren doch weniger hilfreich als eine
Verpflichtungsklage, bei der auch die aktuelle Situation entscheidungserheblich wäre?

BGB OK
5.4.2025, 09:32:00
K kann, aufgrund der Erledigung des Sachverhaltes durch Zeitablauf, eine Verpflichtung nicht mehr erwirken. Der Einstellungstermin ist schon überschritten. Er hat aber ein Interesse daran, dass die Entscheidung der
Behördein ihrer konkreten Form sich bei einer möglichen erneuten Bewerbung nicht wiederholt. Daher kann er nur noch mittels der
Fortsetzungsfeststellungsklagevorgehen. Allerdings, so verstehe ich es, wäre auch die
Verpflichtungsklage, wenn keine Erledigung eingetreten wäre, für ihn nicht wesentlich vorteilhafter gewesen, da es sich eben um eine Prognoseentscheidung handelt. Soweit Zweifel bestehen muss K diese also selber
rechtzeitigausräumen. Geprüft wird insoweit nur, ob die
Behördedie Entscheidung in dieser Form aufgrund der Umstände so treffen durfte.
Agnessa
15.4.2025, 10:49:42
Ist es nicht so, dass ein Ablehnungs-VA bestandskräftig wird und nach dem Ablauf der Widerspruchs-/bzw. Klagefrist nicht mehr angegriffen werden kann?

Lorena.Giacco
15.4.2025, 18:12:45
@[Agnessa](193007) Siehe dazu die Antwort unter deinem anderen Kommentar :) Ich hoffe diese beantwortet deine Frage! Beste Grüße, Lorena – für das Jurafuchs-Team
imio
5.4.2025, 13:31:28
In welchem Prüfungspunkt würde ich die Zulässigkeit des Nachschiebens von Gründen thematisieren? Ist das eine Frage die eher für das zweite als das erste Examen relevant ist?

ahimes
6.4.2025, 13:19:21
Würde mich auch interessieren :)
dustin.u
6.4.2025, 15:28:05
Ich sehe zwei Möglichkeiten, das Problem anzusprechen: Eine Möglichkeit wäre, dies in der formellen Rechtmäßigkeit der Ablehnung zu prüfen, da nach 39 I 1 VwVfG ein schriftlicher Verwaltungsakt mit einer Begründung versehen sein muss und man dann das Problem aufwerfen kann, ob die
Behördedie notwendige Begründung möglicherweise erst mit der Klageerwiderungsschrift geliefert hat. Dem kann man dann entgegenhalten, dass es sich nur um eine nachträgliche
Konkretisierungund nicht um vollständig neue Gründe handelt. Eine weitere Möglichkeit die ich sehe, wäre das Problem bei der materiellrechtlichen Frage der charakterlichen Eignung des Klägers zu verorten - also im Prüfungspunkt
Materielle Rechtmäßigkeit, Tatbestandsvoraussetzungen. Hier ließe sich dann auf die möglicherweise nicht ausreichende Begründung zum Zeitpunkt der potentiellen Einstellung eingehen.

Tim Gottschalk
7.4.2025, 12:45:21
Hallo @[imio ](245537)und @[ahimes](191697), in der Regel wird dieses Problem in der materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts relevant, nämlich wenn man die Ermessensentscheidung überprüft. Hier ist es häufig so, dass die Entscheidung mit den ursprünglich mitgeteilten Gründen möglicherweise
ermessensfehlerhaftwäre und man sich dann die Frage stellen muss, ob das
Nachschieben von Gründenzulässig war und dazu führt, dass die
Ermessensfehlerhaftigkeit hier nach den in der Verhandlung nachgeschobenen Gründen zu bewerten ist oder nicht. Das ist daher sowohl im ersten als auch im zweiten Examen relevant. Dass das Problem in der formellen Rechtmäßigkeit relevant wird, halte ich für eher unwahrscheinlich. Wenn die für die
formelle Rechtmäßigkeitnotwendige Begründung fehlen würde, würde sich die Heilung auch nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG richten. Das ist aber nicht das, was man typischerweise mit dem
Nachschieben von Gründenmeint. Die Begründungspflicht geht auch eher in eine andere Richtung. Ein Verstoß gegen diese würde nur vorliegen, wenn die
Behördenicht die Gründe angibt, die sie tatsächlich zu der Entscheidung bewogen haben. In der Regel wird die
Behördebeim
Nachschieben von Gründenbei Ermessensentscheidungen diese Gründe richtig angeben und erst später merken, dass die Gründe eventuell nicht
ermessensfehlerfrei
waren und nochmal nachschieben wollen. Das ist dann aber eine Frage alleine der materiellen Rechtmäßigkeit. Kurz ansprechen könnte man es jedoch wohl wie @[dustin.u](280538) sagt, auch in der formellen Rechtmäßigkeit. Dann aber unter Zugrundelegung von oben Gesagtem. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team
Agnessa
15.4.2025, 10:53:52
Liebe Alle, kann mir jemand erklären, warum hier die
FFKL statthaft ist? Ist es nicht so, dass der Ablehnungsbescheid nach Ablauf der
Widerspruchsfristbestandskräftig ist und entsprechend nicht mehr gerichtlich überprüft werden kann? Ich dachte, dass der Kläger dann „selber
schuld“ ist, wenn er die Frist verstreichen lässt und nichts sofort unternimmt und dann nicht einfach abwarten, bis es sich zeitlich erledigt, um dann eine
FFKL erheben. Könnte mich jemand hier aufklären? 🥺🙏

Lorena.Giacco
15.4.2025, 17:58:53
Hallo @[Agnessa](193007), danke für die berechtigte und gute Frage! Du hast völlig recht, dass die Bestandskraft des Verwaltungsakts eine Rolle spielen kann für die (Un)Zulässigkeit einer
Fortsetzungsfeststellungsklage. Entscheidend ist aber der Zeitpunkt des Eintritts der Bestandskraft im Verhältnis zum Erledigungszeitpunkt – hier muss man genau unterscheiden: • Fall 1: War der VA bereits VOR Erledigung (formell) bestandskräftig, weil der Kläger es versäumt hat,
rechtzeitigWiderspruch oder Klage einzulegen, scheidet die
FFKaus (vgl. Decker, in BeckOK VwGO, § 113 RdNr. 92). Ein bestandskräftiger VA kann nicht Gegenstand der
FFKsein. -> Argument: Die
FFKist gerichtet auf die
Feststellung, dass der VA vor seiner Erledigung rechtswidrig war. Aber ein bestandskräftiger VA ist nicht mehr angreifbar – er gilt als „rechtmäßig“, oder zumindest unanfechtbar. • Fall 2: Der VA wird erst NACH Erledigung (formell) bestandskräftig: Hier ist die
FFKstatthaft und zulässig. In diesem Fall gilt nach der ganz h.M. auch keine Klagefrist. Der Kläger kann sein Klagerecht ggf. aber verwirken (Bamberger, in Wysk VwGO, § 113 RdNr. 94). Im Originalfall des VG Berlin lag genau dieser zweite Fall vor. Die Erledigung trat am 01.09.2022 ein (gewünschter Einstellungstermin). K hatte aber fristgerecht Widerspruch eingelegt und damit die Bestandskraft gehemmt. Also: Die Erledigung des VA (beamtenrechtliche Ernennung, § 8 Abs. 1 Nr. 1 BeamtStG) erfolgte vor Eintritt der Bestandskraft; die
FFKist also statthaft (und zulässig). Klausurtipp: Bei der
FFKlohnt sich oft ein Zeitstrahl mit Erlass, Erledigung, Rechtsbehelfen und ggf. Bestandskraft – denn die Reihenfolge ist entscheidend, etwa für die Frage, ob eine Frist gewahrt werden muss. Ich hoffe das beantwortet die Frage und hilft! Beste Grüße, Lorena – für das Jurafuchs-Team

Lorena.Giacco
15.4.2025, 20:17:44
Ergänzung/ Korrektur: Der Verwaltungsakt war im Originalfall nicht bestandskräftig, weil dem Ablehnungsbescheid der Polizei keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war (RdNr. 18); es kommt also die Jahresfrist gemäß § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO zum Tragen. Zum Erledigungszeitpunkt ist diese noch nicht abgelaufen. Zudem war ein Widerspruch hier gemäß § 93 Abs. 1 Nr. 1 LBG gar nicht
erforderlich(aber unschädlich). Im Ergebnis gilt dennoch oben Gesagtes: Der VA war nicht bestandskräftig vor der Erledigung, daher ist die
Fortsetzungsfeststellungsklagehier statthaft (und zulässig).