Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Ladenschließung


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streitig (innerhalb der Rechtsprechung)
Corona & Recht

V vermietet an M ein Bekleidungsgeschäft mit Gewerbemietvertrag vom 01.01.2015 zu monatlicher Miete von €5.000. Wegen der Corona-Pandemie verordnet Land L die Schließung sämtlicher Einzelhandelsgeschäfte vom 18.03. bis 20.04.2020. Dies führt bei M zu erheblichen Liquiditätslücken. M zahlt die Miete für April nicht.

Einordnung des Falls

Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Ladenschließung

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer 2021
Examenstreffer BaWü 2021
Examenstreffer Hessen 2021

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Anspruchsgrundlage für die Zahlung der Miete ist § 535 Abs. 2 BGB.

Genau, so ist das!

Der Mieter ist verpflichtet, dem Vermieter die vereinbarte Miete zu entrichten (§ 535 Abs. 2 BGB). Diese Mietzahlungspflicht des Mieters steht im Gegenseitigkeitsverhältnis mit den Pflichten des Vermieters, nämlich insbesondere der Pflicht zur Gebrauchsgewährung (§ 535 Abs. 1 S. 1 BGB), zur Erhaltung der Mietsache im vertragsgemäßen Zustand (§ 535 Abs. 1 S. 2 BGB), und zur Gewähr für Sach- und Rechtsmängel (§§ 536ff. BGB).

2. Liegt ein Mangel der Mietsache vor, kann der Mieter durch Minderungserklärung die Miete mindern (§ 536 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Weist die Mietsache einen Mangel auf, so ist der Mieter ganz oder teilweise von der Pflicht zur Mietzahlung befreit (§ 536 Abs. 1 BGB). Anders als im Kaufrecht tritt die Minderung im Mietrecht kraft Gesetzes ein. Es handelt sich also nicht um ein Gestaltungsrecht, das ausgeübt werden müsste. Ein Verschulden des Vermieters ist nicht erforderlich. Die Höhe der Minderung hängt vom Mangel ab: Ist die Tauglichkeit der Mietsache aufgrund des Mangels vollständig aufgehoben, so ist der Mieter ganz von der Pflicht zur Mietzahlung befreit (§ 536 Abs. 1 S. 1 BGB). Im Übrigen ist die Miete angemessen herabzusetzen (§ 536 Abs. 1 S. 2 BGB).

3. Im Mietrecht gilt wie im Kaufrecht primär der subjektive Mangelbegriff.

Ja!

Ein Mangel liegt vor, wenn die tatsächliche Beschaffenheit der Mietsache (Ist-Beschaffenheit) von der vertraglich geschuldeten (Soll-)Beschaffenheit abweicht (subjektiver Mangelbegriff). Die Soll-Beschaffenheit bestimmt sich primär nach den Vereinbarungen der Parteien; hilfsweise wird sie unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks nach der Verkehrsanschauung bestimmt. Ebenso wie im Kaufrecht kann sich der Mangel auch aus der Beziehung der Mietsache zur Umwelt ergeben. Voraussetzung ist aber stets, dass der Mangel die Tauglichkeit der Sache zu dem vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder nicht unerheblich mindert (§ 536 Abs. 1 S. 1, S. 3 BGB).

4. Öffentlich-rechtliche Beschränkungen können einen Mietmangel begründen.

Genau, so ist das!

LG Frankfurt a.M.: Auch öffentlich-rechtliche Gebrauchsbeschränkungen könnten zu einem Mangel führen. Voraussetzung sei aber, dass die Beschränkung der konkret vermieteten Sache ihre Ursache gerade in deren Beschaffenheit und Beziehung zur Umwelt haben und nicht in den persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters. Das sei nur dann der Fall, wenn die Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der konkreten Mietsache in Zusammenhang stünden. Maßnahmen, die nur den geschäftlichen Erfolg des Mieters beeinträchtigten, fielen in dessen Risikobereich. Denn das Verwendungsrisiko trage allein der Mieter (RdNr. 24).

5. Die coronabedingte Ladenschließung stellt einen Mangel der Mietsache dar, der dessen Tauglichkeit aufhebt und die Mietzahlungspflicht erlöschen lässt (§ 536 Abs. 1 S. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Die coronabedingte Ladenschließung knüpft nicht unmittelbar an die konkrete Beschaffenheit der Mietsache, sondern an den Betrieb des Mieters an. Es geht dabei nicht etwa um bauliche Aspekte der Räumlichkeiten, sondern nur auf die Nutzungsart der Mietsache durch den Mieter, bei der Publikumsverkehr in der Mietsache stattfindet, was Infektionen begünstigt. Die Beschränkung der Mietsache hat ihre Ursache daher nicht in deren Beschaffenheit, sondern in betrieblichen Umständen des M. Dies ist dem Risikobereich der M zuzuordnen und begründet keinen Mietmangel, welcher zu einer Mietminderung führen könnte.

6. Die Mietzahlungspflicht der M ist entfallen, weil die Leistung des V (vertragsgemäße Gebrauchsgewährung) unmöglich geworden ist (§ 326 Abs. 1 S. 1 BGB).

Nein!

Braucht der Schuldner nach § 275 BGB nicht zu leisten, entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung (§ 326 Abs. 1 S. 1 BGB). Hierfür muss dem V seine Leistung unmöglich geworden sein (§ 275 BGB), d.h. die erfolgreiche Bereitstellung der Mietsache im vertragsgemäßen Zustand (§ 535 Abs. 1 BGB). LG Frankfurt a.M.: Zwar habe M die Mietsache während der Schließung nicht als Verkaufsraum nutzen können. Damit habe sich jedoch lediglich das Verwendungsrisiko verwirklicht, welches allein M zu tragen habe. V habe der Beklagten die Mietsache, wie es ihrer Hauptleistungspflicht entspricht, in gebrauchstauglichem Zustand bereitgestellt. Der Umstand, dass die Nutzung für M nicht wie von ihr beabsichtigt möglich gewesen sei, liege nicht an der Sache selbst (RdNr. 28).

7. Bei einer Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) kann als Rechtsfolge Vertragsanpassung verlangt werden.

Genau, so ist das!

Nach § 313 Abs. 1 BGB ist eine Vertragsanpassung möglich. Dies setzt voraus, dass sich (1) Umstände, die zur Vertragsgrundlage geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben (reales Element) und (2) die Parteien den Vertrag nicht oder nicht so geschlossen hätten, wenn sie diese Änderung vorausgesehen hätten (hypothetisches Element). Außerdem muss (3) einer Vertragspartei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, ein Festhalten am Vertrag unzumutbar sein (normatives Element).

8. Umstände, die zur Vertragsgrundlage geworden sind, haben sich nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert.

Ja, in der Tat!

Zwar stellt die coronabedingte Betriebsschließung wohl eine schwerwiegende Änderung der Umstände dar (reales Element). LG Frankfurt a.M.: Es stehe aber bereits nicht fest, dass die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie sich bewusst gemacht hätten, dass es für die Dauer eines Monats zu einer staatlich verordneten Schließung der Verkaufsstätten des Einzelhandels kommen würde (RdNr. 30).

9. Ein Festhalten am Vertrag ist für M unter Berücksichtigung aller Umstände laut LG Frankfurt a.M. unzumutbar (normatives Element).

Nein!

LG Frankfurt a.M.: Jedenfalls sei M das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht unzumutbar. Nach der vertraglichen Risikoverteilung trage M als Mieterin das Verwendungsrisiko der Mietsache, also das Risiko, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können. Eine solche Risikoverteilung schließe für den Betroffenen – abgesehen von extremen Ausnahmefällen, in denen eine unvorhergesehene Entwicklung mit existentiellen Folgen für eine Partei eintritt – regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf § 313 BGB zu berufen (RdNr. 34). Liquiditätsengpässe reichten dafür nicht aus, zudem dafür Corona-Sonderregelungen geschaffen worden seien. Ähnlich löst das OLG Hamm solche Fälle (Urt. v. 24.09.2021 - 30 U 114/21). A.A. OLG Dresden (Urt. v. 24.02.2021 - 5 U 1782/20) und KG Berlin (Urt. v. 01.04.2021 - 8 U 1099/20 - in der App hier ), die in ähnlichen Fällen die Unzumutbarkeit bejahen und im Ergebnis zur Teilung der Miete kommen.

10. M muss laut LG Frankfurt a.M. für April die volle Miete zahlen.

Genau, so ist das!

Die Miete ist weder gemindert (§ 536 Abs. 1 S. 1 BGB) noch ist die Zahlungspflicht wegen Unmöglichkeit der vertragsgemäßen Gewährung der Mietsache entfallen (§ 326 Abs. 1 S. 1 BGB). M hat auch keinen Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB), da die Betriebsschließung ihrem Risikobereich zuzuordnen ist.

11. Vom 01.1.2021-30.09.2022 galt aber die gesetzliche Vermutung, dass sich nach Vertragsabschluss ein Geschäftsgrundlagenumstand schwerwiegend verändert hat (§ 313 BGB), falls Nicht-Wohnräume infolge staatlicher Pandemiebekämpfung nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind.

Genau, so ist das!

Art. 240 § 7 EGBGB sollte klarstellen, dass die Corona-Pandemie grundsätzlich eine Störung der Geschäftsgrundlage für ein Mietverhältnis bedeutet. Daraus folgt aber nicht grundsätzlich ein Anspruch auf Reduzierung der Miete. Die „Verhandlungsposition der Gewerbemieter“ soll über die Klarstellung, dass der gegenüber den spezielleren mietrechtlichen Gewährleistungs- und Gestaltungsrechten nachrangige § 313 BGB grundsätzlich Anwendung findet, gestärkt und „damit an die Verhandlungsbereitschaft der Vertragsparteien appelliert“ werden (BT-Drs. 19/25322 (Bericht), 14f.). Mögliche Rechtsfolgen des § 313 BGB sind das schlichte Festhalten am Status Quo, die Stundung/Herabsetzung der Miete und das Recht auf Kündigung (§ 313 Abs. 3 BGB). Zum Zeitraum regelt Art. 240 § 7 EGBGB nichts. Der BGH (Urteil v. 12.01.2022 -XII ZR 8/21) hat -anders als das LG Frankfurt- unter Rückgriff auf die Vermutung mittlerweile eine Anpassung in solchen Fällen bejaht. Die Entscheidung findest Du: hier!

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