Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2019
Keine Verpflichtung zur Rettung entgegen des Patientenwillens - Jurafuchs
Keine Verpflichtung zur Rettung entgegen des Patientenwillens - Jurafuchs
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die kranke, aber voll urteilsfähige D bittet ihren Hausarzt H, sie bei ihrer Selbsttötung zu unterstützen. H gibt ihr eine tödliche Menge Tabletten, die D selbst einnimmt, woraufhin sie in einen komatösen Zustand verfällt. Anstatt eine Rettung zu veranlassen, die H irrig für noch möglich hält, lässt er sie sterben.
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Einordnung des Falls
Der BGH hat die Freisprüche von zwei Ärzten bestätigt, die Patienten bei der Beendigung ihres Lebens geholfen haben. Die Ärzte sein nicht verpflichtet, entgegen des Willens der Patienten ihnen das Leben zu retten, wenn diese eine bewusste und freiwillige Entscheidung zum Sterben getroffen haben. Der Wunsch der Patienten, ihr Leben zu beenden, solle respektiert werden. Obwohl die Beihilfe zum Suizid in Deutschland weiterhin illegal ist, stellt die Entscheidung des Gerichts eine Abkehr von seinem Urteil von 1984 dar, wonach Ärzte strafrechtlich haftbar gemacht werden konnten, wenn sie nicht versuchten, bewusstlose Patienten zu retten.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat H sich wegen „Tötung auf Verlangen" (§ 216 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht, indem er D die tödliche Menge Tabletten gab (1. Tatkomplex)?
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hat H sich jedoch wegen „Totschlags in mittelbarer Täterschaft" (§§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) mit D als Werkzeug gegen sich selbst strafbar gemacht (1. Tatkomplex)?
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Hat H sich jedoch wegen „Tötung auf Verlangen durch Unterlassen" (§§ 216 Abs. 1, 13 StGB) strafbar gemacht, indem er keine Rettung veranlasste (2. Tatkomplex)?
Nein, das trifft nicht zu!
4. Müsste H einen „Tatentschluss" zur „Tötung auf Verlangen durch Unterlassen" (§§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB) besessen haben?
Ja!
5. Endet auf Grundlage des sog. Wittig-Urteils des BGH aus dem Jahr 1984 die Garantenstellung des H, als D ihren Sterbewunsch äußerte?
Nein, das ist nicht der Fall!
6. Endete nach der neuen Rspr. des BGH die Garantenstellung des H, als D ihren Sterbewunsch äußerte?
Ja, in der Tat!
7. Hat H sich aber wegen „Aussetzung mit Todesfolge" (§ 221 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 StGB) und „unterlassener Hilfeleistung" (§ 323c Abs. 1 StGB) strafbar gemacht?
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
Fundstellen
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB)?
- Tatbestandsmäßigkeit
- Objektiver Tatbestand
- Merkmale des § 212 Abs.1 StGB: Tötung eines anderen Menschen
- Ausdrückliches und ernstliches Verlangen des Getöteten,
- durch das der Täter zur Tötung bestimmt wird.
- Subjektiver Tatbestand
- Vorsatz
- Ausnahmefall § 16 Abs. 2 StGB: § 216 StGB ist auch dann einschlägig, wenn der Täter die privilegierenden Merkmale irrig annimmt.
- Objektiver Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Alex
18.7.2020, 16:27:33
Also eine
Garantenstellungentfällt nicht durch bloße Äußerung des Sterbewillens, sondern durch das gesamte Geschehen vor der Tat (Beratung, Gespräche etc.). Ob § 216 StGB durch unterlassen überhaupt begehbar ist, ist auch umstritten.
GingerCharme
20.12.2020, 14:33:14
Hast du eine Quelle aus der, der Streit ob 216 überhaupt durch Unterlassen begehbar sei, hervorgeht? Kenne diesen nicht und habe deswegen kurz das Internet durchforstet aber nichts derartiges gefunden, was ist denn dort der strittige Punkt?
Lukas_Mengestu
28.7.2021, 13:42:07
@Alex: Hi Alex, Du hast natürlich recht, dass der Sterbewunsch daraufhin überprüft werden muss, ob er freiverantwortlich und ernsthaft gefasst wurde. Bei der Ermittlung dieser Umstände kann natürlich der gesamte Kontext herangezogen werden. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für das Entfallen der
Garantenpflichtbleibt indes der Sterbewunsch. @GingerCharme: Diskutiert wird das u.a. bei NK-StGB/Neumann/Saliger, 5. A. 2017, § 216 Rn. 9 bzw. Sch/Sch/Eser/Sternberg-Lieben, 30. A. 2019, § 216 Rn. 10). Argumentiert wird hier insbesondere mit der Autonomie des Sterbewilligen, die im Falle einer Unterlassensstrafbarkeit über Gebühr eingeschränkt würde. Im Ergebnis macht es letztlich keinen Unterschied, ob von vorneherein der Anwendungsbereich des § 216 StGB nicht eröffnet wird oder im Rahmen der Unterlassensprüfung die
Garantenstellungverneint wird. In beiden Fällen liegt kein strafbares Verhalten vor. Beste Grüße Lukas - für das Jurafuchs-Team
Unberechtigter Untervermieter
6.3.2021, 18:13:09
Lief in Hamburg im Dezember-Termin
Eigentum verpflichtet 🏔️
7.3.2021, 12:45:51
Vielen Dank für den Hinweis! Haben die Aufgabe entsprechend getagged. Schönen Sonntag dir!
Jan M.
20.9.2022, 15:27:15
Examenstreffer Bayern 2022/2
Lukas_Mengestu
21.9.2022, 20:00:12
Vielen Dank für den Hinweis, Jan! Haben wir mit aufgenommen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team