Standardfall: Tarifvorbehalt des Tarifvertrages

14. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der Waldkindergarten „Durchatmen“ fällt in den Geltungsbereich eines Gehaltstarifvertrag von ver.di. Da die letzte Lohnsteigerung mager ausfiel, will der Betriebsrat nun mit Arbeitgeberin Ann-Kathrin eine Betriebsvereinbarung über höhere Löhne abschließen.

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Einordnung des Falls

Standardfall: Tarifvorbehalt des Tarifvertrages

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Im Verhältnis zwischen Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag gilt das Günstigkeitsprinzip, sodass sich jeweils die für die Arbeitnehmerinnen günstigste Regelung durchsetzt.

Nein, das trifft nicht zu!

In weiten Teilen des Arbeitsrechts gilt das sogenannte Günstigkeitsprinzip, um Kollisionen von Normen unterschiedlichen Rangs aufzulösen. Danach setzt sich die jeweils günstigste Regelung durch, auch wenn sie formal einen niedrigeren Rang hat. Anders ist dies im Verhältnis Tarifvertrag-Betriebsvereinbarung. Hier gilt eine strikte Regelungssperre, die man als Tarifvorbehalt bezeichnet. Soweit Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag geregelt oder üblicherweise geregelt werden, können sie nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein.Soweit der Tarifvertrag einen Bereich regelt, können hier also keine für die Arbeitnehmer günstigeren Betriebsvereinbarungen ausgehandelt werden.
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2. Der Tarifvorbehalt dient der Stärkung der Gewerkschaften.

Ja!

Hintergrund des Tarifvorbehaltes ist die Intention des Gessetzgebers eine klare Trennung zwischen den Zuständigkeiten der Gewerkschaft und der Betriebsräte vorzunehmen. Es soll verhindert werden, dass eine Rivalität zwischen beiden entsteht und der Schutz der gewerkschaftlichen Tarifautonomie erreicht werden.Der Tarifvorbehalt verhindert allerdings lediglich Betriebsvereinbarungen über diesselben Regelungsgegenstände. Andere Vereinbarungen (Regelungsabreden) sind weiterhin zulässig, da sie nicht dieselbe unmittelbare Wirkung wie eine Betriebsvereinbarung oder ein Tarifvertrag haben.

3. Bei den Löhnen der Arbeitnehmer handelt es sich um Arbeitsbedingungen, die Gegenstand eines Tarifvorbehalts sein können (§ 77 Abs. 3 BetrVG).

Genau, so ist das!

Als Regelungsgegenstand des Tarifvorbehaltes nennt das Gesetz explizit Arbeitsentgelte sowie sonstige Arbeitsbedingungen (§ 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG). Mit sonstigen Arbeitsbedingungen sind sämtliche Arbeitsbedingungen gemeint, darunter auch Regelungen zur Beendigung des Arbeitsverhältnis. Nicht dem Tarifvorbehalt unterfallen dagegen Abschlussnormen, betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Normen.Die Löhne stellen als Arbeitsentgelt somit einen Regelungsgegenstand dar, der dem Tarifvorbehalt unterliegt.

4. Sind die Löhne des Waldkindergarten „durch einen Tarifvertrag“ geregelt (§ 77 Abs. 3 BetrVG)?

Ja, in der Tat!

Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind, unterliegen dem Tarifvorrang (§ 77 Abs. 3 BetrVG). Hierüber darf dann keine Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden. Arbeitsbedingungen sind dann durch Tarifvertrag geregelt, wenn über sie ein Tarifvertrag abgeschlossen worden ist und der Betrieb in den räumlichen, betrieblichen und fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags fällt.Ausweislich des Sachverhaltes fällt der Waldkindergarten in den Geltungsbereich des ausgehandelten Gehaltstarifvertrags.

5. Kann der Betriebsrat mit Arbeitgeberin Ann-Kathrin wirksam eine Betriebsvereinbarung über höhere Löhne abschließen (§ 77 Abs. 3 BetrVG)?

Nein!

Soweit ein Gegenstand des Tarifvorbehaltes durch Tarifvertrag geregelt ist, darf hierüber keine Betriebsvereinbarung mehr abgeschlossen werden (§ 77 Abs. 3 BetrVG).Da der Kindergarten in den Geltungsbereich des Gehaltstarifvertrags fällt und die Löhne auch einen tauglichen Regelungsgegenstand darstellen, darf der Betriebsrat hierüber keine Betriebsvereinbarung mehr abschließen.

6. Gilt die Tarifsperre auch dann, wenn Arbeitgeberin Ann-Kathrin nicht tarifgebunden wäre und der Gehaltstarifvertrag im Betrieb keine Anwendung fände?

Genau, so ist das!

Maßgeblich für die Anwendbarkeit der Tarifsperre ist allein die Frage, ob der Betrieb in den Geltungsbereich des Tarifvertrages fällt. Es kommt dagegen nicht darauf an, ob der Arbeitgeber tatsächlich tarifgebunden ist, also den Tarifvertrag selbst abgeschlossen hat bzw. als Mitglied eines Arbeitgeberverbandes an ihn gebunden ist.Selbst wenn Arbeitgeberin Ann-Kathrin also nicht an den Tarifvertrag gebunden wäre, könnte der Betriebsrat keine eigene Betriebsvereinbarung über die Löhne mit ihr abschließen.
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