Werklieferungs- und Werkverträge II

19. Mai 2025

6 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Verbraucherin V beauftragt Unternehmerin U, ihr ein eigenes Videospiel nach ihren Vorstellungen zu fertigen. U überreicht V das Spiel. Zunächst ist V glücklich und bezahlt U. Nachdem V das Spiel aber drei Monate gespielt hat, hängt sich das Spiel plötzlich ständig auf.

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Einordnung des Falls

Werklieferungs- und Werkverträge II

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es liegt eine mangelhafte Werkleistung vor (vgl. § 633 Abs. 2 S. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

V und U haben einen Werkvertrag geschlossen. Das Werk (Videospiel) eignet sich weder für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung (§ 633 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB) noch für die gewöhnlich Verwendung (§ 633 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB).
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2. V hat das Spiel abgenommen (§ 640 BGB).

Ja!

Wegen der Gefahrtragungsregelung des § 644 BGB muss der Mangel bei Gefahrübergang vorliegen. Der Gefahrübergang geschieht mit der Abnahme des Werks (§ 644 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Abnahme ist die körperliche Entgegennahme des Werks zusammen mit einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Erklärung des Bestellers, dass er das Werk in der Hauptsache vertragsgemäß anerkenne. Zum Zeitpunkt der Übergabe des Videospiels war V noch zufrieden mit dem Videospiel. Sie hat es als vertragsgemäß angenommen.

3. V kann nicht beweisen, dass der Mangel des Videospiels bei der Abnahme schon bestand. Hat sie deswegen keine Chance, Gewährleistungsrechte gegen U durchzusetzen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Mit dem Gefahrenübergang geht im Werkvertragsrecht die Beweislast auf den Besteller über. Dann wäre tatsächlich eine (gerichtliche) Durchsetzung schwierig. Vorliegend ist das werkvertragliche Gewährleistungsrecht aber gar nicht anwendbar. Vielmehr ist § 650 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB einschlägig. Gemäß § 650 Abs. 2 S. 2 BGB gelten die Gewährleistungsrechte der Regelungen über digitale Produkte.

4. V hat einen Anspruch auf Nacherfüllung (§§ 327i Nr. 1, 327l BGB).

Ja, in der Tat!

Die Voraussetzungen der Nacherfüllung sind (1) die Bereitstellung eines (2) digitalen Produkts, welches (3) einen Mangel aufweist und (4) ein Nacherfüllungsverlangen des Verbrauchers. Die Nacherfüllung ist bei objektiver oder subjektiver Unmöglichkeit ausgeschlossen (§ 327l Abs. 2 S. 1 BGB). Das Videospiel stellt einen digitalen Inhalt dar. Da sich das Spiel ständig aufhängt, entspricht es nicht den objektiven Anforderungen i.S.d. § 327e Abs. 1 S. 1 Var. 2, Abs. 3 Nr. 1 BGB und ist daher mangelhaft.

5. Maßgeblicher Zeitpunkt der Beurteilung der Mangelhaftigkeit ist der Zeitpunkt der Bereitstellung (§ 327e Abs. 1 S. 1, 327d BGB).

Ja!

Bei einer einmaligen Bereitstellung kommt es für die Beurteilung der Mangelhaftigkeit auf den Zeitpunkt der Bereitstellung an.

6. Allerdings kann V nicht beweisen, dass der Mangel bereits zum Zeitpunkt der Bereitstellung vorlag. Hat V also auch nach dem Recht der digitalen Produkte keine Chance ihre Gewährleistungsrechte durchzusetzen?

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 327k BGB sieht eine Beweislastumkehr vor. Demnach muss der Verbraucher nicht beweisen, dass der Mangel bereits bei der Bereitstellung vorlag, wenn sich der Mangel innerhalb eines Jahres nach Bereitstellung (Abs. 1) oder während des Bereitstellungszeitraums (Abs. 2) zeigt. Vorliegend liegt ein Werkvertrag zugrunde. Anders als bei Dauerschuldverhältnissen ist daher auf den Bereitstellungspunkt und nicht -zeitraum abzustellen. Der Bereitstellungzeitpunkt ist der, an dem das digitale Produkt bei V ankommt. Der Mangel hat sich bei V innerhalb eines Jahres nach Bereitstellung gezeigt. Es findet eine Beweislastumkehr statt. Somit hat U zu beweisen, dass kein Mangel bei der Bereitstellung vorlag.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

INDUB

InDubioProsecco

7.6.2023, 18:04:10

Es wäre sehr hilfreich, hier darauf hinzuweisen, dass trotz des Verweises auf die §§ 327 ff. BGB in § 650 Abs. 2 Satz 1 Nr. BGB die Regelungen über Herstellung und Abnahme von Werken wegen des fehlenden Verweises auf § 6

31 BGB

und § 640 BGB anwendbar bleiben. Das war beim ersten Mal machen sehr verwirrend!

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

31.8.2023, 17:45:16

In § 650 II 1 ist aber auch § 640 „über die Abnahme nicht anzuwenden“. Jedenfalls § 640 dürfte man doch dann in der vorliegenden Lösung nicht anwenden…?!

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

31.8.2023, 17:58:37

Auch §

633 BGB

ist ausgeschlossen und wurde dennoch geprüft. Dass eine mangelhafte Leistung vorliegt, darf man vorliegend nicht an §

633 BGB

festmachen, sondern muss nach

§ 327e BGB

subsumieren. Es erscheint mir so, als hätte Jurafuchs hier zunächst „normal“ nach Werkvertragsrecht prüfen wollen, um erst später darauf zusprechen zu kommen, dass gem. § 650 II 2 BGB die Regelungen über digitale Produkte anzuwenden sind. Dabei ist aber versäumt worden, darauf hinzuweisen, dass die ersten zwei Fragen falsch beantwortet wurden (Sachmangel gem. §

633 BGB

bei Abnahme gem. § 640 BGB anstatt Produktmangel gem. § 327e Abs. 1 S. 1 Var. 2, Abs. 3 Nr. 1 BGB) bzw. die Grundlage für die Beurteilung die falsche (Werkvertragsrecht) war. Das sollte man noch deutlich klarstellen, weil das sonst zur Verwirrung führt. Bevor man den Sachmangel bei Abnahme prüft, prüft man regelmäßig zunächst die Anwendbarkeit des jeweiligen Gewährleistungsrechts (

kaufrecht

liches, werkvertragliches etc.). Im Rahmen dieser Prüfung unter I. würde man bereits auf § 650 II BGB zu sprechen kommen und konsequenterweise gleich die §§ 327 ff. prüfen, ohne auf §§ 633, 640 BGB zu sprechen zu kommen. Letzteres wäre ja schlichtweg falsch und ein unnötiger Umweg.

Steinfan

Steinfan

2.5.2024, 13:58:31

Danke, das sehe ich genauso. Hier zuerst WerkR zu prüfen und dann erst die §§ 327 ff. wäre einfach falsch. Deswegen liegt auch kein Mangel nach Werkrecht vor. Bitte anpassen! LG

MAX

Max

20.3.2025, 09:27:38

Eine Anpassung wäre hier hervorragend. Beste Grüße

Peter im Pech

Peter im Pech

1.4.2025, 20:15:31

Hier wurde dem Verbraucher das fertige Videospiel überreicht. Es muss sich demnach um ein Computerspiel auf einem physischen Datenträger handeln. In der Falllösung wird dies als Verpflichtung einen digitalen Inhalt herzustellen eingeordnet. Könnte man nicht auch davon ausgehen, dass § 650 II Nr. 3 einschlägig ist (Herstellung eines körperlichen Datenträgers)?


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