Commodum ex negotiatione (§ 285 BGB)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft von Hobbyradlerin R für €1.200 ein gebrauchtes Rennrad (Wert: €1.200). Bevor sie es abholen kann, verkauft R das Rad an Fahrradnarr F für €2.000. Er liebt das Rad und will es unter keinen Umständen mehr hergeben.

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Einordnung des Falls

Commodum ex negotiatione285 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K kann von R Übergabe und Übereignung des Rennrades verlangen.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Leistungspflicht des Schuldners ist ausgeschlossen, wenn die Leistungserbringung unmöglich geworden ist (§ 275 Abs. 1 BGB). Unmöglichkeit liegt vor, wenn der Leistungspflicht ein dauerhaftes und unüberwindbares Hindernis entgegensteht. Es genügt, dass der Schuldner das Hindernis nicht überwinden kann (subjektive Unmöglichkeit).Aus den Umständen (privater Verkauf, gebrauchtes Rad) des geschlossenen Kaufvertrages ergibt sich, dass K und R eine Stückschuld vereinbart haben. Da R das Rennrad an F übereignet hat, hat sie ihre Verfügungsbefugnis verloren. Ein Rückkauf von F kommt nicht in Betracht, sodass ihre Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist.
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2. K hat einen ersatzfähigen Vermögensschaden erlitten, den sie nach §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB von R verlangen kann.

Nein!

Ein Vermögensschaden stellt jede unfreiwillig eintretende Beeinträchtigung des Vermögen dar. Der zu ersetzende Schaden bestimmt sich aus der Differenz zwischen der hypothetischen Vermögenslage, wie sie ohne das schädigende Ereignis bestehen würde, und der tatsächlichen VermögenslageZwar hat R die Unmöglichkeit vorsätzlich herbeigeführt, weshalb die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches nach §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB dem Grunde nach vorliegen. Da der Wert des Fahrrades aber identisch zu Ks entfallener Kaufpreispflicht (§ 326 Abs. 1 BGB) ist, steht K im Ergebnis nicht schlechter da, als ohne das schädigende Ereignis. Dass sie selbst das Rad hätte verkaufen können und ihr somit ein Gewinn entgangen ist (§ 252 BGB) lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen.

3. K könnte gegen R einen Anspruch auf Herausgabe der €2.000, wenn die Voraussetzungen des § 285 BGB vorliegen.

Genau, so ist das!

Der Anspruch auf Herausgabe des Ersatzes nach § 285 BGB setzt voraus, dass (1) ein Schuldverhältnis, (2) der Schuldners von seiner Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1-3 BGB frei wird und (3) infolgedessen einen Ersatz für den geschuldeten Gegenstand erlangt.Wie bereits festgestellt, liegt ein Schuldverhältnis in Form des Kaufvertrages zwischen K und R vor und die Leistungspflicht ist wegen subjektiver Unmöglichkeit ausgeschlossen (§ 275 Abs. 1 BGB). Achtung: § 285 BGB ist eine eigenständige Haftungsgrundlage, die nicht an § 280 Abs. 1 BGB anknüpft. Es bedarf weder der Pflichtverletzung noch eines Vertretenmüssens.

4. Eine Herausgabe der €2.000 ist ausgeschlossen, da R das Geld durch ihr eigenes Verhandlungsgeschick und nicht unmittelbar durch die Übereignung des Rades erlangt hat.

Nein, das trifft nicht zu!

Die für § 285 BGB notwendige Kausalität zwischen dem Zufluss des Surrogates und dem zur Leistungsbefreiung führenden Umstand besteht nicht nur, wenn der Zufluss unmittelbar aus der Leistungsbefreiung folgt (commodum ex re). Vielmehr genügt ein wirtschaftlicher Zusammenhang, wenn z.B. der Schuldner das Surrogat durch Rechtsgeschäft erlangt ("commodum ex negotiatione").Die Unmöglichkeit trat durch die Übereignung des Rennrades (Verfügungsgeschäft) ein. Hierdurch hat R noch nichts erlangt. Der Zufluss der €2.000 beruht vielmehr auf dem Abschluss des Kaufvertrages mit X (Verpflichtungsgeschäft). Da die Übereignung in Erfüllung des Kaufvertrages erfolgte, besteht ein ausreichender wirtschaftlicher Zusammenhang. Aus § 285 Abs. 2 BGB ergibt sich, dass der Anspruch auf das Surrogat entsprechend zu mindern ist, wenn der Gläubiger von dem Recht Schadensersatz zu verlangen Gebrauch macht. Dem Grunde nach besteht der Anspruch auf das Surrogat aber in voller Höhe.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

17.8.2023, 14:59:20

Die K hat doch sehr wohl einen Schaden erlitten. Sie hat 1.200€ bezahlt, ohne das Rad zu erhalten. Ohne das schädigende Ereignis wäre sie Besitzerin eines Rennrads geworden, also liegt doch eine Vermögenseinbuße vor? Oder missachte ich gerade das Abstraktionsprinzip?

LELEE

Leo Lee

19.8.2023, 11:54:20

Hallo aleyna611, in der Tat wäre K hier Besitzerin des Rennrads geworden. Beachte allerdings, dass wir beim Schaden umfassend alle Positionen, die durch den Schaden entstehen und entfallen reinrechnen. D.h., das zwar K das Rad nicht mehr kriegt im Wert von 1.200 Euro. Allerdings ist sie eben nicht mehr verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen (§ 326 I BGB), wodurch sie wieder um 1.200 Euro "reicher" ist. Folglich ergibt sich a.E. für K +-0, weshalb letztlich kein Schaden entstanden ist :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

REUS04

Reus04

30.8.2023, 16:19:18

Und was ist wenn K das Geld schon bezahlt hat? Liegt dann immer noch kein Schaden vor?

Felix Steinke

Felix Steinke

10.11.2023, 15:10:47

Mit dem Ergebnis K hat 2 TEUR, F das Fahrrad und V hat nichts mehr, tue ich mich schwer. Geht der Fall ggf. noch weiter? V hat zwar die Unmöglichkeit der

Übereignung

des Fahrrads an K zu vertreten, da V dem F das Fahrrad übereignet hat. Jedoch steht V nach Herausgabe des Ersatzes = 2 TEUR auch OHNE Fahrrad da. Kann V von K wiederum die ursprüngliche Gegenleistung des Kaufvertrages mit K iHv 1,2 TEUR verlangen? Dies setzt voraus, das der Anspruch auf die Gegenleistung noch besteht. Bin ich da mit 326 III Satz 1 richtig unterwegs?

LELEE

Leo Lee

11.11.2023, 18:04:01

Hallo Felix Steinke, dein Ansatz ist völlig richtig. V hat die Unmöglichkeit in der Tat zu vertreten, jedoch ist dieses Verschulden hier nur für 283 (der eben ein Vertretenmüssen vors.) relevant. Da jedoch K keinen ersichtlichen Schaden hat (sie ist ohne Fahrrad genauso „reich/arm“ wie mit), scheidet 283 aus. Nun zu 285 – die V steht in der Tat ohne Fahrrad da, jedoch hätte sie dieses Rad ja ohnehin eigentlich an die K übereigenen müssen (die dann auch 1.200 gezahlt hat). Somit muss sie das Geld, was sie von dem neuen Käufer (als Ersatz für das Rad, das eig. K kriegen sollte) erhalten hat, an die K rausgeben. Und genau wie du sagt muss die K dann weiterhin wegen § 326 III 1 die Gegenleistung erbringen (nur hat sie dann 800 Euro Profit gemacht). Kurzum: Du bist völlig richtig unterwegs! Hierzu kann ich vertiefend MüKo-BGB 9. Auflage, Ernst § 326 Rn. 94 f. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

FL

Flohm

5.3.2024, 09:48:36

wieso bekommt K nicht nur 800€? müsste man die 2000€ nicht mit den 1200€ aufrechnen?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

5.3.2024, 10:42:14

Hallo Flohm, danke für deine Frage! Aus § 285 Abs. 2 BGB ergibt sich unmittelbar, dass der Anspruch zu mindern ist, wenn der Gläubiger von seinem Recht Schadensersatz zu verlangen Gebrauch macht. Dem Grunde nach besteht aber erstmal ein Anspruch auf das Surrogat i.H.v. 2000 €. Wir haben die entsprechende Klarstellung in der Antwort ergänzt. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Johannes Nebe

Johannes Nebe

27.8.2024, 09:28:09

Ich denke eher, der Kaufpreis von 1200 EUR wird gem. § 326 III 1 BGB verrechnet (s. @[Leo Lee](213375) im Parallelthread). § 285 II BGB käme zur Anwendung, wenn es einen Schadensersatz gegeben hätte. Den gab es hier wegen des fehlenden Schadens aber nicht. Wenn ich damit richtigliege, wäre der Vertiefungshinweis auf § 285 II BGB im Kontext des Falles irreführend.


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