Commodum ex negotiatione (§ 285 BGB)

19. Mai 2025

15 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft von Hobbyradlerin R für €1.200 ein gebrauchtes Rennrad (Wert: €1.200). Bevor sie es abholen kann, verkauft R das Rad an Fahrradnarr F für €2.000. Er liebt das Rad und will es unter keinen Umständen mehr hergeben.

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Einordnung des Falls

Commodum ex negotiatione (§ 285 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K kann von R Übergabe und Übereignung des Rennrades verlangen.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Leistungspflicht des Schuldners ist ausgeschlossen, wenn die Leistungserbringung unmöglich geworden ist (§ 275 Abs. 1 BGB). Unmöglichkeit liegt vor, wenn der Leistungspflicht ein dauerhaftes und unüberwindbares Hindernis entgegensteht. Es genügt, dass der Schuldner das Hindernis nicht überwinden kann (subjektive Unmöglichkeit).Aus den Umständen (privater Verkauf, gebrauchtes Rad) des geschlossenen Kaufvertrages ergibt sich, dass K und R eine Stückschuld vereinbart haben. Da R das Rennrad an F übereignet hat, hat sie ihre Verfügungsbefugnis verloren. Ein Rückkauf von F kommt nicht in Betracht, sodass ihre Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist.
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2. K hat einen ersatzfähigen Vermögensschaden erlitten, den sie nach §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB von R verlangen kann.

Nein!

Ein Vermögensschaden stellt jede unfreiwillig eintretende Beeinträchtigung des Vermögen dar. Der zu ersetzende Schaden bestimmt sich aus der Differenz zwischen der hypothetischen Vermögenslage, wie sie ohne das schädigende Ereignis bestehen würde, und der tatsächlichen VermögenslageZwar hat R die Unmöglichkeit vorsätzlich herbeigeführt, weshalb die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches nach §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB dem Grunde nach vorliegen. Da der Wert des Fahrrades aber identisch zu Ks entfallener Kaufpreispflicht (§ 326 Abs. 1 BGB) ist, steht K im Ergebnis nicht schlechter da, als ohne das schädigende Ereignis. Dass sie selbst das Rad hätte verkaufen können und ihr somit ein Gewinn entgangen ist (§ 252 BGB) lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen.

3. K könnte gegen R einen Anspruch auf Herausgabe der €2.000 haben, wenn die Voraussetzungen des § 285 BGB vorliegen.

Genau, so ist das!

Der Anspruch auf Herausgabe des Ersatzes nach § 285 BGB setzt voraus, dass (1) ein Schuldverhältnis, (2) der Schuldners von seiner Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1-3 BGB frei wird und (3) infolgedessen einen Ersatz für den geschuldeten Gegenstand erlangt.Wie bereits festgestellt, liegt ein Schuldverhältnis in Form des Kaufvertrages zwischen K und R vor und die Leistungspflicht ist wegen subjektiver Unmöglichkeit ausgeschlossen (§ 275 Abs. 1 BGB). Achtung: § 285 BGB ist eine eigenständige Haftungsgrundlage, die nicht an § 280 Abs. 1 BGB anknüpft. Es bedarf weder der Pflichtverletzung noch eines Vertretenmüssens.

4. Eine Herausgabe der €2.000 ist ausgeschlossen, da R das Geld durch ihr eigenes Verhandlungsgeschick und nicht unmittelbar durch die Übereignung des Rades erlangt hat.

Nein, das trifft nicht zu!

Die für § 285 BGB notwendige Kausalität zwischen dem Zufluss des Surrogates und dem zur Leistungsbefreiung führenden Umstand besteht nicht nur, wenn der Zufluss unmittelbar aus der Leistungsbefreiung folgt (commodum ex re). Vielmehr genügt ein wirtschaftlicher Zusammenhang, wenn z.B. der Schuldner das Surrogat durch Rechtsgeschäft erlangt ("commodum ex negotiatione").Die Unmöglichkeit trat durch die Übereignung des Rennrades (Verfügungsgeschäft) ein. Hierdurch hat R noch nichts erlangt. Der Zufluss der €2.000 beruht vielmehr auf dem Abschluss des Kaufvertrages mit X (Verpflichtungsgeschäft). Da die Übereignung in Erfüllung des Kaufvertrages erfolgte, besteht ein ausreichender wirtschaftlicher Zusammenhang. Aus § 285 Abs. 2 BGB ergibt sich, dass der Anspruch auf das Surrogat entsprechend zu mindern ist, wenn der Gläubiger von dem Recht Schadensersatz zu verlangen Gebrauch macht. Dem Grunde nach besteht der Anspruch auf das Surrogat aber in voller Höhe.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

17.8.2023, 14:59:20

Die K hat doch sehr wohl einen

Schaden

erlitten. Sie hat 1.200€ bezahlt, ohne das Rad zu erhalten. Ohne das schädigende Ereignis wäre sie Besitzerin eines Rennrads geworden, also liegt doch eine Vermögenseinbuße vor? Oder missachte ich gerade das Abstraktionsprinzip?

LELEE

Leo Lee

19.8.2023, 11:54:20

Hallo aleyna611, in der Tat wäre K hier Besitzerin des Rennrads geworden. Beachte allerdings, dass wir beim

Schaden

umfassend alle Positionen, die durch den

Schaden

entstehen und entfallen reinrechnen. D.h., das zwar K das Rad nicht mehr kriegt im Wert von 1.200 Euro. Allerdings ist sie eben nicht mehr verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen (

§ 326 I BGB

), wodurch sie wieder um 1.200 Euro "reicher" ist. Folglich ergibt sich a.E. für K +-0, weshalb letztlich kein

Schaden

entstanden ist :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

REUS04

Reus04

30.8.2023, 16:19:18

Und was ist wenn K das

Geld

schon bezahlt hat? Liegt dann immer noch kein

Schaden

vor?

Kai

Kai

11.12.2024, 19:16:32

@[Reus04](127109) Soweit die Gegenleistung bewirkt ist, kann sie nach den §§ 346 bis 348 BGB zurückgefordert werden (§ 326 IV BGB)

Felix Steinke

Felix Steinke

10.11.2023, 15:10:47

Mit dem Ergebnis K hat 2 TEUR, F das Fahrrad und V hat nichts mehr, tue ich mich schwer. Geht der Fall ggf. noch weiter? V hat zwar die

Unmöglichkeit

der

Übereignung

des Fahrrads an K zu vertreten, da V dem F das Fahrrad übereignet hat. Jedoch steht V nach Herausgabe des Ersatzes = 2 TEUR auch OHNE Fahrrad da. Kann V von K wiederum die ursprüngliche Gegenleistung des Kaufvertrages mit K iHv 1,2 TEUR verlangen? Dies setzt voraus, das der Anspruch auf die Gegenleistung noch besteht. Bin ich da mit

326 II

I Satz 1 richtig unterwegs?

LELEE

Leo Lee

11.11.2023, 18:04:01

Hallo Felix Steinke, dein Ansatz ist völlig richtig. V hat die

Unmöglichkeit

in der Tat zu vertreten, jedoch ist dieses Ver

schuld

en hier nur für 283 (der eben ein Vertretenmüssen vors.) relevant. Da jedoch K keinen ersichtlichen

Schaden

hat (sie ist ohne Fahrrad genauso „reich/arm“ wie mit), scheidet 283 aus. Nun zu 285 – die V steht in der Tat ohne Fahrrad da, jedoch hätte sie dieses Rad ja ohnehin eigentlich an die K übereigenen müssen (die dann auch 1.200 gezahlt hat). Somit muss sie das

Geld

, was sie von dem neuen Käufer (als Ersatz für das Rad, das eig. K kriegen sollte) erhalten hat, an die K rausgeben. Und genau wie du sagt muss die K dann weiterhin wegen §

326 II

I 1 die Gegenleistung erbringen (nur hat sie dann 800 Euro Profit gemacht). Kurzum: Du bist völlig richtig unterwegs! Hierzu kann ich vertiefend MüKo-BGB 9. Auflage, Ernst § 326 Rn. 94 f. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

FL

Flohm

5.3.2024, 09:48:36

wieso bekommt K nicht nur 800€? müsste man die 2000€ nicht mit den 1200€ aufrechnen?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

5.3.2024, 10:42:14

Hallo Flohm, danke für deine Frage! Aus § 285 Abs. 2 BGB ergibt sich unmittelbar, dass der Anspruch zu mindern ist, wenn der Gläubiger von seinem Recht

Schaden

sersatz zu verlangen Gebrauch macht. Dem Grunde nach besteht aber erstmal ein Anspruch auf das Surrogat i.H.v. 2000 €. Wir haben die entsprechende Klarstellung in der Antwort ergänzt. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Johannes Nebe

Johannes Nebe

27.8.2024, 09:28:09

Ich denke eher, der Kaufpreis von 1200 EUR wird gem. §

326 II

I 1 BGB verrechnet (s. @[Leo Lee](213375) im Parallelthread). § 285 II BGB käme zur Anwendung, wenn es einen

Schaden

sersatz gegeben hätte. Den gab es hier wegen des fehlenden

Schaden

s aber nicht. Wenn ich damit richtigliege, wäre der Vertiefungshinweis auf § 285 II BGB im Kontext des Falles irreführend.

BEN

benjaminmeister

15.12.2024, 11:47:38

Ich würde hier beiden Vorpostern widersprechen. § 285 Abs. 2 BGB findet wie @[Johannes Nebe](174311) dargelegt hat, keine Anwendung. Aber auch eine Verrechnung der Ansprüche erfolgt nicht "gem. §

326 II

I 1". §

326 II

I 1 besagt nur, dass im Falle der Geltendmachung des Anspruchs von § 285 der Gegenleistungsanspruch bestehen bleibt. Eine Verrechnung bestimmt die Norm gerade nicht. Da das

stellvertretende commodum

auch vom Wert her nicht unter dem Gegenleistungsanspruch liegt, findet auch §

326 II

I 2 keine Anwendung. Grundsätzlich bleibt K also zur Zahlung von 1200 € verpflichtet, während er Herausgabe der 2000 € verlangen kann. Eine Verrechnung würde ganz normal nach den Regeln der

Aufrechnung

gem. §§ 387 ff. BGB erfolgen. Einen Gedanken den ich dazu hatte war, dass die Gleichartigkeit der Leistungen zum Problem werden könnte. Denn gem. § 285 I hat K Anspruch auf HERAUSGABE des Ersatzes (eigentlich kein Zahlungsanspruch; V ist zur Herausgabe der 2000 € verpflichtet, aber eigentlich ja NICHT zur ZAHLUNG von 2000 €) während V noch eine Kaufpreiszahlungsanspruch (also zu einer Zahlung verpflichtet ist) hat. Das "Problem" scheint aber (richtigerweise) einfach übergangen und die Gleichartigkeit zielführend bejaht zu werden. Dazu Looschelders,

Schuld

R AT, § 32 Rn. 8, der unproblematisch die

Aufrechnung

bejaht: "K hat von V am 12.3. einen gebrauchten Pkw (Wert: 8.000 EUR) zum Preis von 7.500 EUR gekauft. Am 15.3. verkauft und übereignet V das Fahrzeug gegen Zahlung von 9.000 EUR an D. K hat gegen V einen Anspruch auf Herausgabe der 9.000 EUR aus § 285. Bei Geltendmachung dieses Anspruchs muss er nach §

326 II

I zwar den Kaufpreis entrichten. Nach

Aufrechnung

bleibt aber eine Differenz von 1.500 EUR.".

OKA

okalinkk

17.3.2025, 15:28:24

„Die

Unmöglichkeit

trat durch die

Übereignung

des Rennrades (

Verfügungsgeschäft

) ein. Hierdurch hat R noch nichts erlangt.“ Das stimmt nicht, dass R hierdurch nichts erlangt hat. Nach einer Ansicht hat R durch die

Übereignung

nämlich die Befreiung von seiner Verbindlichkeit (=

Übereignung

des Rennrads) erlangt. Da das Rennrad 1200 Euro wert war, ist die Befreiung von der Verbindlichkeit daher hier 1200 Euro wert. Diese müsste R nach dieser Ansicht herausgeben, also Wertersatz leisten iHv 1200 Euro. Die hM geht (wie ihr auch zu Recht ausführt), davon aus, dass R hier die 2000 Euro erlangt hat und zwar aus dem Verpflichtungsgeschäft, da eine wirtschaftliche Betrachtungsweise anzulegen ist. Es handelt sich um einen Streit, der so nicht wirklich aus euren Ausführungen hervorgeht. Vllt könntet ihr das eränzen. liebe Grüße

Shark

Shark

1.5.2025, 23:15:24

Die Vertiefung erwähnt § 285 II BGB, dieser ist nach meinem Verständnis hier jedoch nicht relevant. Viel mehr ist der Anspruch auf Kaufpreiszahlung, welcher gem. §

326 II

I 1 BGB weiter besteht mit dem Anspruch aus

§ 285 BGB

aufzurechnen (Wirkung §

389 BGB

).


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