Identität des Surrogates (§ 285 BGB)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K möchte den Lockdown nutzen und mietet für €50 das einzige E-Bike von Fahrradhändlerin F. Als er in voller Montur bei F anlangt, teilt F bedauernd mit, dass das Fahrrad gestohlen worden sei. F erhält den Neupreis des Rades (€2.000) von ihrer Versicherung V ersetzt.

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Einordnung des Falls

Identität des Surrogates (§ 285 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K kann von F Überlassung des E-Bikes verlangen.

Nein!

Bei einem Mietvertrag schuldet der Vermieter die Überlassung der Mietsache. Die Leistungspflicht des Schuldners ist aber ausgeschlossen, wenn die Leistungserbringung unmöglich geworden ist (§ 275 Abs. 1 BGB).K und F haben einen Mietvertrag (§ 535 Abs. 1 BGB) geschlossen. Da das E-Bike gestohlen wurde und F auch kein anderes zur Verfügung hat, ist ihr die Erbringung der Leistung suvjektiv unmöglich.Vertretbar, wenn auch fernliegend, wäre die Annahme, dass die Leistungspflicht der F sich notfalls auch auf die Beschaffung eines Fahrrades erstreckt. Dann läge noch keine Unmöglichkeit vor.
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2. K könnte gegen F einen Anspruch auf Herausgabe der €2.000, wenn die Voraussetzungen des § 285 BGB vorliegen.

Genau, so ist das!

Der Anspruch auf Herausgabe des Ersatzes nach § 285 BGB setzt voraus, dass (1) ein Schuldverhältnis, (2) der Schuldners von seiner Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1-3 BGB frei wird und (3) infolgedessen einen Ersatz für den geschuldeten Gegenstand erlangt.Wie bereits festgestellt, liegt jedenfalls ein Schuldverhältnis in Form des Mietvertrages zwischen K und F vor und die Leistungspflicht ist wegen subjektiver Unmöglichkeit ausgeschlossen (§ 275 Abs. 1 BGB). Achtung: § 285 BGB ist eine eigenständige Haftungsgrundlage, die nicht an § 280 Abs. 1 BGB anknüpft. Es bedarf weder der Pflichtverletzung noch eines Vertretenmüssens.

3. F hat die Versicherungssumme infolge des Diebstahls erlangt.

Ja, in der Tat!

Ein Herausgabeanspruch besteht nur dann, wenn der der Ersatz oder Ersatzanspruch (Surrogat) in einem adäquaten Zusammenhang zum Leistungsgegenstand steht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Zufluss unmittelbar durch das Ereignis ausgelöst wurde (sog. commodum ex re).Aufgrund des Diebstahls ist nicht nur Fs Leistungspflicht ausgeschlossen. Vielmehr hat F hier gleichzeitig einen Anspruch gegenüber V auf Auszahlung der Versicherungssumme bzw. die ausbezahlte Versicherungssumme erlangt. Der notwendige Kausalzusammenhang liegt vor.

4. Die Versicherungssumme ist identisch mit Fs geschuldeter Leistung.

Nein!

Das erlangte Surrogat muss im Hinblick auf seine Funktion identisch mit dem geschuldeten Leistungsgegenstand sein.F schuldete K lediglich die Überlassung des Gebrauchs des Fahrrades. Die Versicherungssumme ist dagegen die Kompensation für den (faktischen) Verlust des Eigentums am Fahrrad und nicht für die fehlende Nutzungsmöglichkeit.

5. K kann von F Herausgabe der €2.000 verlangen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Anspruch auf Herausgabe des Ersatzes nach § 285 BGB setzt voraus, dass (1) ein Schuldverhältnis, (2) der Schuldners von seiner Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1-3 BGB frei wird und (3) infolgedessen einen Ersatz für den geschuldeten Gegenstand erlangt.Da die Versicherungssumme nicht identisch mit der geschuldeten Leistungspflicht ist, kann K von F diese nicht herausverlangen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Snow

Snow

7.2.2024, 19:27:25

Hier steht mehrfach in den Hinweisen, dass es sich bei §

285 BGB

um eine „eigene Haftungsgrundlage“ handelt, das klingt irgendwie komisch, um Haftung geht es doch auch eigentlich garnicht, in den Kommentaren wird hier von einem Herausgabeanspruch gesprochen, also einer Anspruchsgrundlage.

LEO

Leonie

6.4.2024, 13:34:28

wurde in dem Thread eine oder zwei Aufgaben vor der hier beantwortet :)

QUIG

QuiGonTim

25.2.2024, 14:15:30

Also liegt dem Herausgabeanspruch aus §

285 BGB

ein Alles-oder-nichts-Prinzip zugrunde? Ich hätte stattdessen dem Mieter den Anteil an dem Surrogat zugesprochen, der seinem untergegangenen Nutzungsrecht entspricht.

LELEE

Leo Lee

26.2.2024, 20:03:35

Hallo QuiGonTim, vielen Dank für dein Feedback! In der Tat könnte man meinen, dass man unserem K die 50 Euro zusprechen müsse, da er auch einen „Anteil“ hat. Beachte allerdings, dass hier der K nicht das Fahrrad kauft, sondern nur mietet. Sprich, er hat das Rad nicht gekauft, weshalb er auch nicht ein Surrogat aus einem Kaufvertrag verlangen kann (hätte er das Rad gekauft, hätte er sehr wohl einen Anspruch auf die 2.000 Euro). Seine Miete kriegt der K ohnehin zurück über das

Bereicherungsrecht

(da der Rechtsgrund weggefallen ist), weshalb es „in Ordnung“ geht, dass er auch keinen Anteil kriegt an den 2.000 Euro. Beachte stets, dass es sich bei 285 um einen sog. Rechtsforsetzungsanspruch handelt (es wird das ersetzt, worauf ich eigentlich einen Anspruch hatte). Vorliegend hatte K einen Anspruch auf Gebrauchs

überlassung

, jedoch nicht bezogen auf das Fahrrad selbst, weshalb 285 hier nicht fruchtet. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Emmerich § 285 Rn. 1 f. sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Johannes Nebe

Johannes Nebe

27.8.2024, 09:49:58

Und DASS der Rechtsgrund für den Mietpreis wegfällt, basiert auf § 326 I 1 BGB.

Johannes Nebe

Johannes Nebe

27.8.2024, 09:51:48

Bei der letzten Frage bezieht sich die Subsumtion auf eine Voraussetzung, die im genannten Maßstab gar nicht aufgeführt ist, sondern im Verlauf vorher: Das erlangte Surrogat muss im Hinblick auf seine Funktion identisch mit dem geschuldeten Leistungsgegenstand sein. Was spräche dagegen, den Maßstab am Ende um das Identitätskriterium zu erweitern?


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