Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 3 – Das absichtslos handelnde dolose Werkzeug


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Klassisches Klausurproblem

T hat es auf ein wertvolles Buch des B abgesehen. Er überredet den V, das Buch zu entwenden und an einer bestimmten Stelle zu verstecken. V führt die Tat aus, wobei er keinerlei Interesse an dem Buch hat und es ihm gleichgültig ist, was nach dem Verstecken mit diesem geschieht. Er will den B nur ärgern.

Einordnung des Falls

Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 3 – Das absichtslos handelnde dolose Werkzeug

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V hat sich wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht, indem er das Buch aus dem Zimmer des B entwendete und an der von T gewünschten Stelle versteckte.

Nein!

V hat eine fremde bewegliche Sache weggenommen und somit den objektiven Diebstahlstatbestand verwirklicht. Dies tat er auch vorsätzlich. Als Delikt mit überschießender Innentendenz erfordert § 242 Abs. 1 StGB jedoch Zueignungsabsicht. Diese liegt vor, wenn der Täter die Sache wegnimmt, um sie unter Anmaßung einer eigentümerähnlichen Stellung zumindest vorübergehend der eigenen oder einer dritten Vermögenssphäre einzuverleiben (Aneignungsabsicht) und sie der Verfügungsgewalt des Berechtigten dauerhaft zu entziehen (Enteignungsvorsatz). V wollte sich selbst aber nicht in die Position des Eigentümers setzen. Da ihm egal war, was nach dem Verstecken mit dem Buch passiert, kam es ihm auch nicht darauf an, dem T das Buch zuzueignen.

2. T erfüllt den objektiven Tatbestand des Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Täter ist, „wer die Straftat selbst“ begeht (sog. Alleintäterschaft, § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB). Relevante Handlung ist hier das Entwenden und Verstecken des Buches des B. Diese Handlung führte jedoch nicht T selbst, sondern V aus. Täter kann aber auch sein, wer die Straftat „durch einen anderen“ begeht (sog. mittelbare Täterschaft, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB). Der mittelbare Täter verwirklicht die Tatbestandsmerkmale nicht eigenhändig, sondern bedient sich als „Hintermann“ eines „Werkzeugs“, das auch als „Vordermann“ bzw. „Tatmittler“ bezeichnet wird. Voraussetzung ist, dass die Tathandlung des „Vordermannes“ dem Hintermann zugerechnet werden kann.

3. Voraussetzungen für eine Zurechnung der Handlung (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) sind (1) ein eigener Verursachungsbeitrag des Hintermannes, (2) eine unterlegene Stellung des Vordermannes und (3) eine überlegene Stellung des Hintermannes.

Ja, in der Tat!

Eine Tat „durch einen anderen“ begeht, wer die Tatbestandsverwirklichung durch tatbeherrschende Steuerung des Vordermannes zurechenbar verursacht. Der (1) Verursachungsbeitrag des Hintermannes ist die Einwirkungshandlung auf den Vordermann. Die (2) unterlegene Stellung des Vordermanns ergibt sich grundsätzlich aus dem Strafbarkeitsmangel (Ausnahme: Sonderfälle des „Täters hinter dem Täter“). Der Vordermann weist auf einer der drei Ebenen ein sog. deliktisches Minus auf, er ist nicht strafbar. Die (3) überlegene Stellung des Hintermannes setzt nach der Tatherrschaftslehre die Tatherrschaft über das Gesamtgeschehen, nach der subjektiven Lehre einen Täterwillen voraus.

4. Der erforderliche eigene Verursachungsbeitrag des T liegt vor.

Ja!

Indem T den V überredete, das Buch aus dessen Zimmer zu entfernen, wirkte er unmittelbar auf ihn ein.

5. V selbst erfüllt zwar alle objektiven Tatbestandsmerkmale und handelt vorsätzlich, jedoch absichtslos, sodass er das sog. deliktische Minus aufweist.

Genau, so ist das!

Mittelbare Täterschaft setzt weiter voraus, dass beim Vordermann auf der Tatbestands-, Rechtswidrigkeits- oder Schuldebene ein Strafbarkeitsmangel vorliegt, der seine Strafbarkeit ausschließt. Hier entfällt der subjektive Tatbestand, da der Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB) zusätzlich neben dem Vorsatz die spezifische Absicht der rechtswidrigen Zueignung voraussetzt.V ist somit ein sog. absichtslos-doloses Werkzeug und weist ein deliktisches Minus auf.

6. Da V die volle Tragweite des Geschehens bewusst war und er eigenverantwortlich dasselbe leitete, fehlt dem T nach der Tatherrschaftslehre die für eine Zurechnung überlegene Stellung.

Nein, das trifft nicht zu!

Angesichts der aus der vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung resultierenden Handlungsherrschaft des Vordermannes lässt eine Literaturauffassung die Tatherrschaft des Hintermannes in diesen Fällen entfallen. Die überwiegende Meinung dagegen empfindet im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung die rechtliche Überlegenheit des Hintermannes für dessen Verantwortlichkeit als ausreichend. Im Sinne normativer Tatherrschaft sieht sie in der einzig in der Person des Hintermannes liegenden deliktspezifischen und damit besonders rechtsgutfeindlichen Absicht dessen beherrschenden Einfluss. Dieser gibt dem Hintermann eine überlegene Stellung. So werden insbesondere Strafbarkeitslücken vermieden, da anderenfalls auch eine Strafbarkeit des Hintermannes wegen Beihilfe (§ 27 StGB) bzw. Anstiftung (§ 26 StGB) zum Diebstahl mangels vorsätzlicher rechtswidriger Haupttat nicht möglich wäre.

7. T handelt zudem mit Vorsatz bezüglich der Begehung des Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) sowie in Kenntnis der die mittelbare Täterschaft begründenden Umstände. Er hat sich gemäß §§ 242 Abs.1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB strafbar gemacht.

Ja!

T erfüllt somit auch den subjektiven Tatbestand. Weiterhin handelte er auch rechtswidrig und schuldhaft, sodass er sich wegen Diebstahls in mittelbarer Täterschaft (§§ 242 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2) strafbar gemacht hat.

8. T hatte nach der subjektiven Theorie eine überlegene Stellung (Täterwillen).

Ja!

Nach der subjektiven Lehre (animus-Theorie) wird bei der Abgrenzung an die Willensrichtung und an die innere Einstellung der Beteiligten zur Tat angeknüpft. Täter ist danach, wer mit Täterwillen (animus auctoris) handelt und die Tat als eigene will. Teilnehmer ist, wer mit Teilnehmerwillen (animus socii) handelt und die Tat als fremde veranlassen oder fördern will. Einzig T hatte ein Interesse an dem Buch. Er besitzt somit den nötigen Täterwillen.

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Simon

Simon

20.10.2020, 00:11:41

Ich kann mich mit der Figur der normativen Tatherrschaft nicht so recht anfreunden. Für meine Begriffe vernachlässigt sie das entscheidende Kriterium der Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme: nämlich die (faktische) Tatherrschaft. Handlungen einer anderen Person können mir doch nur zugerechnet werden, wenn ich deren Handlungen (bzw bei der Mittäterschaft das Tatgeschehen als solches) auch tatsächlich steuere.

Simon

Simon

20.10.2020, 00:12:57

Stifte ich zB jemanden zum Suizid an, da ich diese Person "aus dem Weg räumen" möchte, diese aber die Selbsttötung freiverantwortlich vollzieht, so liegen (wie bei der mittelbaren Täterschaft!) eine Einwirkungshandlungen von mir, sowie eine unterlegene Stellung des anderen vor. Allerdings steuere ich das Geschehen nicht, da der Suizident insofern die Tatherrschaft frei von Willensmängeln selbst ausübt. Mein Verhalten mag zwar ethisch zu missbilligen sein - strafbar ist es nicht. Akte, die in den Veranwortungsbereich eines anderen fallen, muss ich mir grds nicht zurechnen lassen.

Simon

Simon

20.10.2020, 00:13:31

Auch beim vorliegenden Fall (mit der Entwendung des Buches) sind Einwirkunshandlung und unterlegene Stellung gegeben, es fehlt aber wiederum an der Steuerung des Geschehens, denn V handelt voll verantwortlich. Die bei T vorliegende Zueignungsabsicht allein kann mE keine Tatherrschaft begründen, denn sie stellt lediglich die überlegene Stellung im Vergleich zum Vordermann dar. T kann das Geschehen gerade nicht nach seinem Willen hemmen oder ablaufen lassen und hält die Tat folglich auch nicht in seinen Händen. Die Konstruktion der normativen Tatherrschaft verdeckt dies mMn lediglich und verwischt so die Grenzen zur (straflosen) Teilnahme.

LH

L. H.

24.12.2020, 00:06:37

Ich denke, dass der Unterschied hier ist, dass V eben nicht in Kenntnis aller Tatbestandsmerkmale des Diebstahls des T ist. Bei deinem Fall hingegen liegt bei der sich selbst richtenden Person kein Tatbestandsirrtum oder Vergleichbares vor; kurz gesagt: sie weiß was sie tut. Wenn man nun also darauf abstellt, dass V eventuell gar nicht gehandelt hätte, hätte T ihr seine Zueignungsabsicht offenbart, dann lenkt T durch seine Täuschung das Verhalten von V gewissermaßen eben doch. Daher rührt vielleicht die (normative) Tatherrschaft.

Simon

Simon

24.12.2020, 00:29:36

Ja, so hört sich das durchaus sinnvoll an :) Finde aber, dass der SV hier zu dünn ist, da letztlich nicht ganz klar ist, was der V hier weiß und inwiefern er auch bei Kenntnis von der Zueignungsabsicht des T gehandelt hätte. Angenommen der V weiß von der Zueignunsabsicht des T, ohne diese selbst zu haben - was freilich schon sehr unwahrscheinlich ist - so könnte das bloße Vorliegen der Zueignungsabsicht bei T für mich noch keine Tatherrschaft rechtfertigen.

Vulpes

Vulpes

8.1.2021, 10:34:00

Ich hab mir genau das Gleiche gedacht. Für mich sieht es so aus, als würde man in den Fällen die eine normative Tatherrschaft voraussetzen rein dogmatisch eigentlich über Anstiftung reden müssen. Da diese nicht durchgeht, mangels vorsätzlicher rechtswidriger Haupttat will man diese normative Tatherrschaft annehmen um Strafbarkeitslücken zu vermeiden. Ich finde trotzdem, dass du Recht hast und das Merkmal an der dieser Stelle eine Unzulänglichkeit der Strafbarkeit wegen Anstiftung aufdeckt.

Rüsselrecht 🐘

Rüsselrecht 🐘

7.9.2021, 23:25:57

Warum greift Absicht des B das Buch für T als Dritten sich anzueignen nicht durch? B will zwar keine eigene eigentümerähnliche Position erreichen, aber er möchte dies doch für T erreichen. Oder fällt dies weg, weil „… es ihm gleichgültig ist, was nach dem Verstecken mit diesem geschieht“? Für einen Stupser wäre ich dankbar 🙂

Marilena

Marilena

16.11.2021, 17:59:22

Hallo Rüsselrecht, vielen Dank für Deine Frage – der Stupser musste leider lange warten, entschuldige bitte! Ganz genau, er fällt weg, weil es B komplett egal ist. Liebe Grüße Marilena für das Jurafuchs-Team

Rüsselrecht 🐘

Rüsselrecht 🐘

16.11.2021, 18:01:34

Besser spät als nie gestupst 🥳

ROB

Robinski

5.7.2024, 16:11:47

Hat sich V wegen einer Unterschlagung strafbar gemacht?

EI

einkatzenkoenig

17.7.2024, 14:40:12

Wenn wir die Zueignungsabsicht iRd. § 242 ablehnen, muss folgerichtig auch der Zueignungswille (der sich obj. manifestiert) iRd. § 246 abgelehnt werden.

FW

FW

13.7.2024, 17:28:13

Sehr fragwürdig diese normative Tatherrschaft. Nur weil es zur Schließung von Strafbarkeitslücken dient, führt das doch nicht zur dogmatischen Rechtfertigung. Mich erinnert das ein wenig an den normativen Schadensbegriff bei der Differenzhypothese. Hier wird auch nach der gesetzlichen Wertung, damit ein für die Versicherung des Geschädigten übergangsfähiger Anspruch vorliegt, der Schaden nach einer normativen Betrachtung angenommen und eine Lücke geschlossen. Blöd nur, dass wir uns hier im Strafrecht befinden, wo das strenge Analogieverbot gilt. Ich wüsste nicht, wie ich in der Klausur die normative Tatherrschaft bei voller Verantwortlichkeit des Vordermannes bejahen kann, da von einem Steuern in dem Fall und einer „Herrschaft“ über das Geschehen nicht ausgegangen werden kann. Das jemandem die Zueignungsabsicht fehlt ändert ja auch nichts an der Herrschaft über die Wegnahmehandlung, sondern nur sein Motiv. Ferner hat hier im Fall der T ja auch nicht wirklich die fehlende Zueignungsabsicht ausgenutzt, sondern diese fehlte nur nebenbei.


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