Hallo FW, danke für deine Nachfrage. Du hast vollkommen damit recht, dass § 231 II StGB an und für sich überflüssig wäre, wenn man ihn nur als Verweis auf die
Rechtswidrigkeit und Schuld verstünde. Daher will e.A. § 231 II StGB tatsächlich entnehmen, dass im Rahmen des § 231 I StGB Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe schon zu einem
Tatbestandsausschluss führen. Wenn man dem folgt, müsste die entsprechende Prüfung schon im objektiven
Tatbestand erfolgen. Die h.M. sieht § 231 II StGB aber nur als
deklaratorischen Verweis auf die Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe an. Begründung ist zum einen, dass die Integration der
Rechtswidrigkeit und Schuld auf
Tatbestandsebene systemwidrig wäre. Der dreistufige Deliktsaufbau (TB, RW, Schuld) ist im Strafrecht anerkannt und es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber an einem Rand
tatbestand wie dem §
231 StGB
an diesen Grundfesten rütteln wollte. Zum anderen wird die historische Auslegung herangezogen: Ursprünglich stand in der Vorgängerversion zu § 231 II StGB, dass strafbar bleibt, wer "ohne sein Verschulden in die Schlägerei hineingezogen wurde". Das könnte man so verstehen, dass es nur auf den Beginn der Schlägerei ankommt. Allerdings kann eine zunächst, in alter Gesetzessprache, "schuldlose" Beteiligung im weiteren Verlauf durchaus zu einer "schuldhaften" werden: Rechtfertigungsgründe (zB Notwehr) für eine Beteiligung an einer Schlägerei müssen während der gesamten Zeit der Beteiligung vorliegen, nicht nur zum Beginn der Schlägerei. Dementsprechend war dies früher eine Unklarheit im Gesetz und damit ein Streitpunkt. Dies hat der Gesetzgeber gesehen und wollte mit der heutigen Fassung ausweislich der Gesetzesbegründung "klarstellen (...), dass Straffreiheit nur für denjenigen besteht, der an der Schlägerei oder an dem Angriff zu keinem Zeitpunkt in vorwerfbarer Weise beteiligt war" (BT-Drucks. 13/9064, S. 16). Der Gesetzgeber wollte also nur die frühere Unklarheit korrigieren. Daraus lässt sich schließen, dass er nicht beabsichtigte, die
Rechtswidrigkeit und Schuld in den
Tatbestand zu integrieren. Daher ist nach hM § 231 II StGB nur ein
deklaratorischer Verweis auf die Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe und zugleich die (ebenso
deklaratorische) Betonung, dass der Täter während der gesamten Zeit seiner Beteiligung entweder gerechtfertigt oder entschuldigt handeln muss, um straffrei zu sein.
Der BGH hat in einer neueren Entscheidung dieses dogmatische Problem umschifft und spricht schlicht von § 231 II StGB als "Strafbarkeitsausschluss", ohne sich dogmatisch festzulegen (BGH Urt. v. 27.3.2024 – 2 StR 337/23).
Relevant wird der Streit nur, wenn es um die Strafbarkeit der Teilnahme geht, da diese eine vorsätzlich begangene
rechtswidrige Tat voraussetzt. Wenn also etwa ein Entschuldigungsgrund für den Täter greift, wäre unter der hM eine Strafbarkeit wegen Teilnahme möglich, unter der Gegenansicht nicht. Nur in diesem Fall würde ich raten, den Streit in der Klausur kurz zu thematisieren und der hM zu folgen. Ansonsten sollte hier in der Klausur nicht unnötig Zeit verschwendet werden. Es genügt, bei der Prüfung der
Rechtswidrigkeit und Schuld eingangs klarzustellen, dass, wie § 231 II StGB klarstellt, eine Beteiligung nicht strafbar ist, wenn sie nicht vorwerfbar ist, dafür aber etwaige Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe, auf die § 231 II StGB verweist, während der gesamten Zeit der Beteiligung vorliegen müssen. Dann kann ganz normal geprüft werden.
Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias