Überzeugungskraft bei Urkunden III: Fall

31. Mai 2025

4 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K verlangt klageweise die Lieferung von Fenstern, die er bei B bestellt hat. B behauptet, er habe bereits geliefert und legt die von K unterschriebene Lieferquittung vor. K bestreitet nicht, die Quittung unterschrieben zu haben. Zeuge Z könne aber bestätigen, dass keine Lieferung erfolgt sei. ‌

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Einordnung des Falls

Überzeugungskraft bei Urkunden III: Fall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B trägt die Beweislast dafür, dass er die Fenster geliefert hat.

Genau, so ist das!

Grundsätzlich trägt jede Partei die Beweislast für die für sie günstigen Tatsachen. Das Schuldverhältnis erlischt durch Erfüllung, d.h. wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird (§ 362 Abs. 1 BGB). Die Erfüllung wirkt somit genauso wie andere Einwendungen zugunsten des Schuldners. Dementsprechend ist der Schuldner diesbezüglich beweisbelastet. Vorliegend schuldet B die Übergabe und Übereignung der Fenster. Somit trägt er die Beweislast für die Erfüllung dieser Schuld.
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2. Ist die Lieferquittung vorliegend eein echtes Beweismittel?

Ja, in der Tat!

Wird im Prozess eine Urkunde vorgelegt, kann es sich dabei entweder um qualifizierten Parteivortrag oder um ein echtes Beweismittel handeln. Streiten die Parteien um die Auslegung/Wirksamkeit einer inhaltlich unstreitigen Urkunde, so stellt die Urkunde qualifizierten Parteivortrag dar. Soll die Urkunde dagegen eine streitige Beweistatsache bestätigen, so dient sie als echtes Beweismittel, welches einer Beweiswürdigung bedarf. Die Lieferquittung stellt eine Urkunde dar. K bestreitet deren Inhalt, nämlich die Lieferung der Fenster. Die Urkunde stellt somit vorliegend ein echtes Beweismittel dar.

3. Die Urkunde entfaltet gem. § 416 ZPO formelle Beweiskraft.

Ja!

Eine positiv ergiebige, unversehrte und unbestritten echte Privaturkunde begründet vollen Beweis dafür, dass die in ihr enthaltenen Erklärungen von den Ausstellern so abgegeben worden sind (§ 416 ZPO). Sie hat formelle Beweiskraft Die Quittung ist positiv ergiebig, da aus ihr hervorgeht, dass B die Fenster an K geliefert hat. Sie ist mangels anderer Angaben auch unversehrt. K hat nicht bestritten, die Quittung unterschrieben zu haben. Das bedeutet, er hat die Echtheit der Urkunde nicht bestritten. Die Urkunde hat gem. § 416 ZPO formelle Beweiskraft, weil sie äußerlich unversehrt und ihre Echtheit nicht bestritten ist. Ihr Inhalt ist ferner positiv ergiebig. In der Urkunde steht, dass …

4. Aufgrund der von B vorgelegten Lieferquittung wird vermutet, dass eine Lieferung erfolgt ist.

Genau, so ist das!

Ob der Inhalt einer Privaturkunde mit der Wirklichkeit übereinstimmt bzw., ob ihr materielle Beweiskraft zukommt, ist durch freie richterliche Beweiswürdigung nach § 286 ZPO zu entscheiden. Eine positiv ergiebige, unversehrte und unbestritten echte Urkunde begründet jedoch die Vermutung, dass ihr Inhalt vollständig und richtig ist. Als positiv ergiebige, unversehrte und unbestritten echte Urkunde begründet die Lieferquittung die Vermutung, dass ihr Inhalt vollständig und richtig ist, d.h. dass B geliefert hat. Die Urkunde hat auch materielle Beweiskraft. Das Gericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Inhalt der Urkunde der Wahrheit entspricht und eine Lieferung der Fenster erfolgt ist.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LO

Lorenz

26.3.2025, 14:58:26

Würde man sagen, dass die Urkunde ein

Anscheinsbeweis

ist? Oder ist das eine andere Vermutungsregel?

Nici Grabo

Nici Grabo

2.5.2025, 12:19:41

Ein

Anscheinsbeweis

dient m. E. n. dazu, den Beweis ohne das Vorbringen eines bestimmten Beweismittels zu führen. Fährt etwa der B dem vorausfahrenden K auf sein Auto auf, so gilt zu Ks Gunsten der

Anscheinsbeweis

, dass B ein Ver

schuld

en trifft. Einfaches Bestreiten seitens des B würde in dieser Konstellation nicht ausreichen, um den Gegenbeweis zu führen. Vielmehr müsste er - unter Benennung etwaiger anderer Beweise - substantiiert Bestreiten. (Vgl. etwa Grüneberg, BGB, Vor § 249, Rn. 133) Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass durch die Vorlage der Urkunde als Beweismittel kein

Anscheinsbeweis

vorliegt, da es im Falle eines solchen das Vorlegen dieser Urkunde nicht bedürfte. Es wurde lediglich die Urkunde als Beweis gem. § 416 ZPO in den Prozess eingeführt. Zur Definition des

Anscheinsbeweis

: Grüneberg, BGB, Vor § 249, Rn. 130

Nici Grabo

Nici Grabo

2.5.2025, 12:09:02

In der zweiten Aufgabe hat sich ein kleiner Schreibfehler „eeine“ eingeschlichen.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

19.5.2025, 12:42:32

Hallo Nici Grabo, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team


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