Examensrelevante Rechtsprechung
Rechtsprechung Strafrecht
BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub, u.a.
Entführt und ausgeraubt – räuberische Erpressung und erpresserischer Menschenraub? (BGH, Urt. v. 07.08.2024 – 6 StR 552/23)
Entführt und ausgeraubt – räuberische Erpressung und erpresserischer Menschenraub? (BGH, Urt. v. 07.08.2024 – 6 StR 552/23)
4. Juli 2025
17 Kommentare
4,8 ★ (24.769 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Unter dem Vorwand, gemeinsam zum See zu fahren, bringen A und B den O dazu, in ihr Auto zu steigen. Wie zuvor geplant, steigen sie an einer verlassenen Straße aus, schlagen O und fordern ihn auf, ihnen seine EC-Karte und PIN zu geben, was O tut. A will damit an einer Bank Geld abheben, das Konto ist jedoch nicht gedeckt.
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Einordnung des Falls
Entführt und ausgeraubt – räuberische Erpressung und erpresserischer Menschenraub? (BGH, Urt. v. 07.08.2024 – 6 StR 552/23)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 16 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A und B könnten sich wegen versuchter mittäterschaftlicher räuberischer Erpressung strafbar gemacht haben, indem sie O schlugen und ihn aufforderten, ihnen seine EC-Karte mit PIN zu geben (§§ 253, 255, 22, 25 Abs. 2 StGB).
Ja, in der Tat!
2. A und B handelten mit Tatentschluss bezüglich der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des §§ 253, 255 StGB.
Ja!
3. A und B müssten Tatentschluss zur mittäterschaftlichen Begehung gehabt haben. Reicht für Mittäterschaft i.S.d. § 25 Abs. 2 StGB ein gemeinsamer Tatplan aus?
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Weiter müssten A und B unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestandes angesetzt haben. Liegt unstreitig ein unmittelbares Ansetzen bei Mittätern schon dann vor, wenn ein Mittäter unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung ansetzt?
Nein, das trifft nicht zu!
5. A und B haben sich nach §§ 253, 255, 22, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht. Ist Deine Prüfung an dieser Stelle zu Ende?
Nein!
6. A und B hatten schon als O einstieg den Plan, O durch Gewalt dazu zu bringen, ihnen seine EC-Karte und PIN zu geben. Könnten sie sich nach §§ 239a Abs. 1 Hs. 1, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht haben?
Genau, so ist das!
7. O hat sich freiwillig in das Auto gesetzt, weil er dachte, mit A und B zum See zu fahren. Scheidet ein Entführen i.S.d. § 239a Abs. 1 Hs. 1 Alt. 1 StGB bereits deswegen aus?
Nein, das trifft nicht zu!
8. Handelten A und B in der Absicht, eine Erpressung zu begehen?
Ja!
9. Nach § 239a Abs. 1 Hs. 1 Alt. 1 StGB muss der Täter das Opfer entführen, um „die Sorge des Opfers, um sein Wohl“ zu einer Erpressung auszunutzen. Könnten sich Abgrenzungsschwierigkeiten zu §§ 253, 255 ergeben?
Genau, so ist das!
10. Scheidet eine Strafbarkeit des A und des B nach § 239a Abs. 1 Hs. 1 StGB hier wegen fehlender stabiler Bemächtigungslage aus?
Nein, das trifft nicht zu!
11. Abwandlung: A und B wollen den O so schlagen, dass er sich nicht mehr wehren kann, um ihm dann EC-Karte und PIN wegzunehmen. Hätten sie sich auch in diesem Fall unstreitig nach §§ 253, 255, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht?
Nein!
12. Abwandlung: A und B wollen den O so schlagen, dass er sich nicht mehr wehren kann, um ihm dann EC-Karte und PIN wegzunehmen. Könnten sich A und B hier nach der Rspr. nach § 239a StGB strafbar gemacht haben?
Genau, so ist das!
13. A und B könnten sich zudem wegen versuchten mittäterschaftlich begangenen Computerbetrugs zu Lasten der Bank strafbar gemacht haben, indem A versuchte, mit Os Karte und PIN Geld von Os Konto abzuheben (§§ 263a, 25 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
14. Die Bestimmung des Merkmals „unbefugtes Verwenden“ ist umstritten. Kommt es nach einer Ansicht darauf an, ob eine Täuschung i.S.v. § 263 StGB vorliegen würde, wenn anstelle des Automaten eine Person gewesen wäre?
Ja!
15. Die Bestimmung des Merkmals „unbefugtes Verwenden“ ist umstritten. Gibt es neben der betrugsäquivalenten und der subjektiven noch die computerspezifische Auslegung?
Genau, so ist das!
16. A und B hatten auch Tatentschluss hinsichtlich der weiteren Tatbestandsmerkmale und haben unmittelbar angesetzt.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
sparfüchsin
30.4.2025, 09:49:20
Klausurhinweis lautet: „In der Klausur musst du dich stringent für eine Lösung entscheiden. Wenn ein Raub vorliegt, und Du später mit der Rspr. § 239a StGB bejahen willst, darfst Du bei §§ 253, 2
55 StGBkeine
Vermögensverfügungprüfen. Wenn Du andersrum der Literatur folgst, musst Du eine Strafbarkeit nach § 239a StGB mit der h.L. ablehnen.“ Könnte mir das nochmal jemand erklären?
Lea Pilone
3.5.2025, 14:26:23
Liebe sparfüchsin, in der gutachterlichen Prüfung orientiert sich der Prüfungsaufbau immer daran, welcher Ansicht du bei einem Streit folgst. Wenn du also z.B. bei dem Streit bzgl. der Abgrenzung von Raub und räuberischer
Erpressungder Rspr. folgst (die keine
Vermögensverfügungfordert), wäre es falsch, i.R.v. §§ 253, 2
55 StGBeine „
Vermögensverfügung“ zu prüfen. Den Streit zur Abgrenzung von Raub und räuberischer
Erpressungsolltest du dann schon im Tatbestandsmerkmal „
Nötigungserfolg(Duldung, Handlung, Unterlassung)“ bringen. Wenn du der Ansicht der Rechtsprechung folgst, könnte in der späteren Prüfung § 239a StGB auch vorliegen, wenn ein Raub vorliegt (weil nach der Rechtsprechung jeder Raub auch zugleich den Tatbestand einer räuberischen
Erpressungerfüllt). Wenn du hier der Rspr. folgst und § 239a auch bei einem Raub annimmst, musst du oben auch der Rspr. folgen, da deine Lösung sonst widersprüchlich ist. Wenn du dagegen bei der Prüfung von §§ 255, 253 das Merkmal „
Vermögensverfügung“ prüfst, zeigst du durch deinen Aufbau, dass du der Literaturansicht folgst. Dann wäre es widersprüchlich, später eine Strafbarkeit nach § 239a StGB auch zu bejahen, wenn ein Raub vorliegt, weil sich nach der Literatur Raub und
räuberische Erpressungausschließen. Viele Grüße Lea - für das Jurafuchs-Team
ButchCassidy
13.6.2025, 20:45:48
@[Lea Pilone](300386) kannst du noch ausführen, was dann genau und wie zu prüfen ist? Prüft man dann unter Verweis auf den Streit einfach eine „Wegnahme“?
sparfüchsin
30.4.2025, 10:32:01
Ihr schreibt: „Bei § 239a Abs. 1 Hs. 1 reicht es aus, wenn die
Erpressungversucht ist, sie muss nicht vollendet sein („Absicht“). Bei der Ausnutzungsvariante (§ 239a Abs. 1 Hs. 2) ist dagegen umstritten, ob der Versuch ausreicht, da dort die Begehung der
Erpressungzum objektiven Tatbestand gehört („wer die von ihm (…) geschaffene Lage (…) zu einer solchen
Erpressungausnutzt“).“ Ergibt sich das irgendwo aus dem Fischer StGb Kommentar? Kann man sich jetzt nicht so einfach herkeiten, daher wäre es gut zu wissen, ob das irgendwo steht. habe es leider nicht gefunden.
Lea Pilone
3.5.2025, 13:48:39
Liebe sparfüchsin, im Fischer Kommentar ist das Problem kurz aufgeführt (72. Aufl. 2025, § 239a RdNr. 12). Es ergibt sich aber auch (zumindest ansatzweise) aus der Formulierung des § 239a Abs. 1 StGB: - Im Entführungs- und Bemächtigungstatbestand (Hs. 1) begeht der Täter die Tathandlungen, „um die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer
Erpressung(§ 253) auszunutzen“. Das heißt, der Täter führt die Tathandlungen mit der subjektiven Absicht aus, die so geschaffene Lage zu einer
Erpressungauszunutzen. Nach dem Wortlaut kommt es also nur darauf an, dass der Täter sich vorstellt, eine
Erpressungzu begehen. Bei der
Erpressungsabsicht handelt es sich also um eine subjektive Komponente, für die unwichtig ist, ob die
Erpressungvollendet ist oder nicht. - Dagegen heißt es in Hs. 2 „wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen
Erpressungausnutzt“. Hier geht es also nicht mehr um die bloße Absicht, die Lage zu einer
Erpressungauszunutzen, sondern der Wortlaut spricht davon, dass der Täter die geschaffene Lage „zu einer solchen
Erpressungausnutzt“. Einige Autoren (Renzikowski/MüKo, StGB, 4. Aufl. 2021, § 239a RdNr. 63) schließen daraus, dass im Ausnutzungstatbestand die
Erpressungvollendet sein muss und ein Versuch der
Erpressungnicht ausreicht. Sie argumentieren, dass das Gesetz immer wenn es von einer Tat spricht, die Vollendung des Tatbestandes meint, § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Der Versuch einer Tat und deren Vollendung würden dagegen als Unternehmen gelten, § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB. Daher sei der Ausnutzungstatbestand erst vollendet, wenn auch die
Erpressungvollendet sei. Eine andere Auslegung führe zu einem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG (Joecks/Jäger, SK-StGB, 13. Aufl. 2021, § 239a RdNr. 26, 27). Weil der Versuch des Ausnutzungstatbestandes auch unter Strafe steht, würden sich auch keine Strafbarkeitslücken ergeben. Nach einer anderen Ansicht reicht es für eine Vollendung des Ausnutzungstatbestandes aus, wenn die
Erpressungversucht ist. Argumentiert wird einerseits mit dem
Schutzzweckdes § 239a: die Geisel sei schon bei dem Versuch einer
Erpressunggefährdet. Weiter wird argumentiert, dass sonst ein Wertungswiderspruch zum Entführungs- und Bemächtigungstatbestand entstehe. Während bei dem ersten die Schaffung eines Gewaltverhältnisses zu
rechtswidrigen Zwecken bestraft werde, stelle der Ausnutzungstatbestand die Ausnutzung einer solchen Lage unter Strafe und es sei nicht erklärbar, warum es bei Hs. 2 auf die Vollendung ankommen soll, bei Hs. 1 dagegen nicht. Wir hoffen, wir konnten dir weiterhelfen. Viele Grüße Lea - für das Jurafuchs-Team
jc1909
4.5.2025, 16:52:37
Erik_1995
21.5.2025, 20:12:31
@[jc1909](167873) finde ich nachvollziehbar, aber unter dem Gesichtspunkt, dass für § 239a bereits die Absicht einer räuberischen
Erpressunggenügt, eher nicht einschlägig. Denn das zeigt m.E. dass der Strafgrund / Unrechtsgehalt beider Normen sich gerade nicht deckt. § 239a bestraft primär das Vorhaben des Entführers. Strafgrund: Entführen / Bemächtigen in einer
verwerflichen Gesinnung. § 263a Strafgrund:
Täuschungvon Computersystemen, primär Vermögensschutz
jc1909
29.5.2025, 17:33:30
Danke! Das klingt plausibel für mich. Würdest du denn sagen, dass der
Computerbetrugbei vollendeter räuberischer
Erpressungzurückträte?
Erik_1995
29.5.2025, 17:39:21
@[jc1909](167873) Man sollte sich bewusst sein, dass bereits die Absicht eine
Erpressungzu begehen ein vollendeter § 239a ist. Also ich habe § 239a vollendet sobald ich dich entführe obwohl ich noch gar kein Löse
geldgefordert habe. Und gerade diese Tatsache zeigt, dass § 239a nicht primär den Vermögensschutz wie § 263a bezweckt. Denn sonst müsste § 239a einen Vermögens
schadenerfordern - das ist aber gerade nicht der Fall.
LLM
18.6.2025, 16:57:31
Was ist mit § 224 Abs. 1 Nr. 4? Stehe auf dem Schlauch.