Bestimmtheit des Gehilfenvorsatzes
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
S betreibt einen Onlineshop im Darknet, in dem sie mit Drogen und Waffen handelt. A verkauft sie über die Plattform eine Pistole. Ein halbes Jahr später schießt A seinem Rivalen R mit der Pistole ins Bein.
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Einordnung des Falls
Bestimmtheit des Gehilfenvorsatzes
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. S könnte sich wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung strafbar gemacht haben, indem sie A die Pistole verkauft hat (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, 27 StGB).
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hat S dem A Hilfe geleistet, indem sie ihm die Waffe verkauft hat?
Ja, in der Tat!
3. S hat die gefährliche Körperverletzung des A billigend in Kauf genommen.
Nein!
4. S bleibt damit straflos.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
juliusEchter
2.1.2024, 19:32:13
Warum kann man nicht davon ausgehen, dass ein Händler im Darknet davon ausgehen muss, dass mit seiner Waffe Straftaten begangen werden, dass er diese ermöglicht und dass er dies auch billigend in Kauf nimmt. Meiner Meinung nach muss dieser "weite, allgemeine
Vorsatz" genügen.
marimo
30.7.2024, 11:25:36
Das war auch mein erster Gedanke. Bei der Beihilfe muss der
Hilfeleistende aber bezüglich der Haupttat in jedem Fall die Angriffs- und Unrechtsrichtung kennen, damit man von einem
Gehilfenvorsatzausgehen kann. (Rengier, BT I § 45 Rn. 115). Also in diesem Fall z.B. wissen/für möglich halten, dass der Käufer konkret eine Körperverletzung plant. Weil der Sachverhalt hier sehr dünn ist würde ich vorsichtshalber nichts reinlesen und entsprechend der Lösung davon ausgehen, dass die generelle Vorstellung über Straftaten zu ungenau ist.
Tinki
18.8.2024, 17:47:00
Mich würde auch interessieren, warum erforderlich ist, dass der
Hilfeleistende die Angriffs- und Unrechtsrichtung kennen muss, wenn wie beim Verkauf von WAffen übers Darknet klar ist, dass diese für Straftaten gebraucht werden... @[Nora Mommsen](178057)
agi
4.10.2024, 16:35:37
Bei der Beihilfe ist doppelter
Vorsatzerforderlich, einmal bzgl der Hilfeleistung selbst, als auch
Vorsatzbzgl der rw Haupttat, daher genügt es nicht abstrakt zu wissen, dass durch die Hilfeleistung irgendeine Tat verübt werden kann, zwar muss der
Hilfeleistende nicht jedes Detail der Haupttat kennen, aber wie schon oben geschrieben eine konkrete Angriffs- und Unrechtsrichtung erkennen, sodass sein Tatbeitrag als Hilfeleistung anerkannt werden kann.
Sege
19.11.2024, 14:09:44
Ich sag mir das immer so, dass der Verkäufer ja z.B. im Normalfall nicht möchte dass damit z.B. sein Kind erschossen wird. Dh er bräuchte
Vorsatzzur konkreten Tat.
Kai
22.11.2024, 10:12:55
@[Sege](241995) An sich spannende Merkhilfe. Aber müsste man nicht sagen, dass der Verkäufer - wenn man annimmt, dass es einen General
vorsatzhins. aller Straftaten gäbe - dann zumindest billigend in Kauf nimmt, dass der Täter damit auch Menschen tötet, die dem Verkäufer nahestehen? Ich denke, die Merkhilfe als solche hilft in den meisten Fällen weiter, ist aber am Ende nicht absolut richtig für den infragestehenden Streit, oder?
Sege
22.11.2024, 13:11:59
Ich hab das in der Uni so gelernt, dass bei neutralen Handlungen im Rahmen der Beihilfe differenziert werden kann. Einmal Handlungen die Äußerlich nicht auffällig sind. Hier braucht es Dolus Directus 1/2. Und bei Handlungen die „verdächtig“ sind reicht dolus eventualis. So eine verdächtige Handlung müsste nach meinem Verständnis offensichtlich sein. Also so maskierter Mann mit Brecheisen möchte vom Taxifahrer in eine Villengegend gefahren werden zB. Bei Bestellungen im Darknet sind finde ich im Regelfall nicht genug Anhaltspunkte ausser der Vermutung, dass er es wahrscheinlich für Straftaten verwendet. Zusätzlich wäre in so einem Fall die Frage ob nicht eher
bewusste Fahrlässigkeit(wird schon gut gehen) vorliegt, was man warscheinlich
in dubio pro reoannehmen müsste.
Sebastian Schmitt
3.12.2024, 11:47:40
Hallo @[juliusEchter](218283), Du hast hier von den anderen schon gute Hinweise bekommen, warum man das anders sehen könnte, insbesondere von @[marimo](243378) und @[agi](212798) - was nicht heißt, dass Deine Ansicht nicht grds vertretbar ist. Welche Anforderungen an den
Vorsatzdes Gehilfen genau zu stellen sind, lässt sich abstrakt kaum beantworten. Auch nach der aktuellen, ohnehin
ggüder Vergangenheit schon etwas schärferen Rspr dürfte ein bloßer Verkauf einer Waffe im Darknet aber als Beihilfe nicht zwingend ausreichen. Das gilt jedenfalls dann, wenn S, wie hier, überhaupt keine Anhaltspunkte hinsichtlich einer eventuell geplanten Tat hat, weil es dann an einer hinreichenden
Konkretisierungdes
Vorsatzes fehlt, am Erfassen des "wesentlichen Unrechtsgehalts der [Haupt-]Tat" (so BeckOK-StGB/Kudlich, 63. Ed, Stand 1.11.2024, § 27 Rn 21 mwN). Das pauschal anders zu sehen und hier eine Art General
vorsatzzu unterstellen, halte ich für zumindest nicht für unbedenklich. Es mag rein praktisch so sein, dass über das Darknet verkaufte Waffen häufig für Straftaten verwendet werden. Das schließt aber zB nicht aus, dass sich ein Waffensammler eine in Deutschland verbotene Waffe allein aus Sammlergründen oder ein 17-Jähriger ein scharfes Katana zur Dekoration seiner ersten Wohnung im Darknet beschafft - ganz ohne die Absicht, damit Straftaten zu begehen. Ob vor diesem Hintergrund allein das Anbieten im Darknet ausreichend sein soll, kann man zumindest diskutieren, insbesondere angesichts des strafrechtlichen Zweifelssatzes. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
itsjuju
12.1.2024, 21:35:48
Fehler im Sachverhalt “BGG”, “verkauft”
Leo Lee
14.1.2024, 11:24:07
Hallo itsjuju, vielen Dank für den Hinweis! Wir haben den Fehler nun korrigiert :). Magst du uns vielleicht noch kurz mitteilen, wo genau sich der Fehler mit „verkauft“ befindet? Ich finde auch nach mehrfacher Lektüre den Fehler nicht und würde mich auf einen Hinweis freuen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo