Zivilrecht

Schadensrecht

Feststellung eines ersatzfähigen Schadens

Grundsatz: Kein Ersatz immaterieller Schäden

Grundsatz: Kein Ersatz immaterieller Schäden

19. Februar 2025

6 Kommentare

4,7(6.542 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Segelliebhaberin S mietet bei V im Vorfeld ihres Jahresurlaubs an der Nordsee eine Segelyacht. Da V die Buchung vergisst, vermietet er alle Yachten anderweitig und kann auch keinen Ersatz beschaffen. S verbringt ihren Urlaub gezwungenermaßen an Land.

Diesen Fall lösen 71,2 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Grundsatz: Kein Ersatz immaterieller Schäden

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S' Schaden Form der vertanen Urlaubszeit ist nach § 249 BGB im Wege der Naturalrestitution ersetzbar.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Geschädigte kann vom Schädiger verlangen, dass dieser den Zustand herstellt, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 Abs. 1 BGB, Naturalrestitution). Voraussetzung für die Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 und 2 BGB ist jedoch, dass die Wiederherstellung noch möglich ist. Dies ergibt sich aus dem Umkehrschluss zu § 251 Abs. 1 BGB, der subsidiär erst bei Unmöglichkeit der Naturalrestitution einschlägig ist (Vorrang der Naturalrestitution).Die vertane Urlaubszeit kann nicht wiederhergestellt werden, sodass S diesbezüglich nicht Naturalrestitution nach § 249 BGB verlangen kann.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Unabhängig davon, ob ein Vermögens- oder Nichtvermögensschaden vorliegt, kann eine Geschädigte immer Entschädigung in Geld verlangen, wenn Naturalrestitution ausscheidet (§ 253 Abs. 1 BGB).

Nein!

Da es bei einem Nichtvermögensschaden an einer Vermögenseinbuße fehlt, ist eine Geldleistung nicht ohne Weiteres geeignet, einen Ausgleich herbeizuführen. Aus diesem Grund gilt im Grundsatz, dass solche Schäden nicht auszugleichen sind, sofern dies nicht explizit gesetzlich geregelt ist (§ 253 Abs. 1 BGB).Die Abgrenzung zwischen Vermögens-/Nichtvermögensschaden hat somit entscheidende praktische Bedeutung! Während bei unmöglicher Naturalrestitution Vermögensschäden immer nach § 251 BGB auszugleichen sind, kann dies bei Nichtvermögensschäden nur bei entsprechender gesetzlicher Regelung verlangt werden!

3. Handelt es sich bei der vertanen Urlaubszeit um einen Nichtvermögensschaden (§ 253 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Der Nichtvermögensschaden ist eine unfreiwillige Beeinträchtigung von Gütern und Interessen ohne Vermögenswert (=immaterieller Schaden).Die entgangenen Urlaubsfreuden stellen für sich genommen objektiv keine messbaren Vermögenswerte dar. Es handelt sich insoweit allein um einen Nichtvermögensschaden.Die frühere Rechtsprechung hatte zeitweise vertreten, dass vertaner Urlaub durchaus „kommerzialisierbar“ sei und deshalb einen Vermögensschaden darstelle. Nachdem der Gesetzgeber im Pauschalreiserecht für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit eine Sonderregelung geschaffen (heute § 651n Abs. 2 BGB) und dabei vor allem auf immaterielle Momente wie die entgangene Urlaubsfreude abgestellt hatte, ist der BGH davon später wieder abgerückt (BGH NJW 2005, 1047).

4. S hat bei V keine Pauschalreise gebucht, sodass § 651n Abs. 2 BGB nicht direkt anwendbar ist. Kann S dennoch Entschädigung für ihre entgangene Urlaubsfreude verlangen?

Nein, das trifft nicht zu!

§ 651n Abs. 2 BGB regelt den Ersatz für vertane Urlaubszeit bei Pauschalreisen abschließend und hebt nur diesbezüglich die Sperre des § 253 Abs. 1 BGB auf. Nach h.M. ist § 651n Abs. 2 BGB mangels planwidriger Lücke auch nicht analog auf andere Verträge anwendbar.Eine gesetzliche Entschädigungsregelung für vertane Urlaubszeit besteht lediglich für Pauschalreiseverträge, nicht dagegen für den zwischen S und V geschlossenen Mietvertrag (§ 535 BGB). Eine analoge Anwendung scheidet aus. Somit fehlt es an einer gesetzlichen Ausnahmeregelung für den Ersatz von S' Nichtvermögensschaden.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JJO

JJO

2.5.2024, 11:24:29

Das wird teilweise anders gesehen. So z.B. Grigoleit/Riehm,

Schuld

recht IV, 3. Aufl., Rn. 585; BGH NJW 1985, 906; BGHZ 119, 152 (159).

in persona

in persona

27.8.2024, 18:38:23

über eine Ausführung würde ich mich sehr freuen :)

Nils

Nils

24.12.2024, 03:23:18

Auszug aus AG Schleswig,

Urteil

vom 16.12.2022 – Az.: 2 C 62/22 ab Rn. 17: (...) "Auch eine analoge Anwendung des §

651n BGB

kommt nicht (mehr) in Betracht. Zwar verweist die Klägerin zurecht auf das

Urteil

des BGH vom 17.01.1985 (VII ZR 163/84), wonach eine Haftung für vertane Urlaubszeit auch bei der Vermietung von Ferienwohnungen über eine analoge Anwendung des damaligen § 651f Abs.2 BGB, welcher im Wesentlichen dem heutigen § 651n Abs.2 BGB entspricht, in Betracht kommt. Jedoch ist für eine analoge Anwendung des heutigen § 651n Abs.2 BGB seit der Reformierung des Pauschalreiserechts durch das Dritte Gesetz zur Änderung reiserechtlicher Vorschriften im Jahr 2018 kein Raum mehr. Voraussetzung für die analoge Anwendbarkeit einer Gesetzesvorschrift sind das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke sowie eine vergleichbare Interessenlage. An einer planwidrigen Regelungslücke fehlt es jedoch ausweislich der Unterlagen zum Gesetzgebungsverfahren. Der Referentenentwurf sah unter § 651u BGB eine ausdrückliche Regelung über die Anwendbarkeit einzelner Vorschriften des Pauschalreiserechts, unter anderem des §

651n BGB

, auf einzelne Reiseleistungen vor. In der Begründung nimmt der Referentenentwurf ausdrücklich Bezug auf das

Urteil

des BGH vom 17.01.1985 über die analoge Anwendbarkeit des Pauschalreiserechts auf die Vermietung von Ferienwohnungen und verlangt insofern eine klarstellende Aufnahme in das BGB. Zudem nimmt der Referentenentwurf Bezug auf die nach Erwägungsgrund (21) der Richtlinie (EU) 2015/2302 vom 25.11.2015, deren Umsetzung die Reform diente, den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, eine entsprechende Anwendbarkeit der Vorschriften auf ähnlich gelagerte Fälle zu regeln. (...) Im Gesetzesentwurf der Regierung findet sich der Vorschlag des Referentenentwurfs dann nicht wieder. Stattdessen wurde unter § 651u die bereits zuvor unter § 651l BGB vorhandene Regelung zur Anwendbarkeit auf Gastschulaufenthalte wieder aufgenommen. Diesbezüglich wird in der Entwurfsbegründung der Regierung auf Erwägungsgrund (21) der Richtlinie Bezug genommen. Im Rahmen der Darlegung der Gesetzesfolgen heißt es unter 4. (Seite 56 unten, 57 oben des Regierungsentwurfs): „Außerdem wird die derzeitige Rechtsprechung zur analogen Anwendbarkeit des Pauschalreiserechts auf einzelne Reiseleistungen nicht in den Gesetzestext überführt; auch dies entlastet die Unternehmen beträchtlich.“ Vor diesem Hintergrund kann von einer planwidrigen Regelungslücke nicht mehr ausgegangen werden. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber bewusst dafür entschieden, eine Anwendbarkeit auf einzelne Reiseleistungen, worunter auch die Vermietung von Ferienwohnungen fällt, nicht zu übernehmen (so auch BeckOK BGB, 63. Edition, Stand: 01.08.2022, § 651a Rn. 26)." (...) https://www.gesetze-rechtsprechung.sh.juris.de/bssh/document/NJRE001534754 https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/RefE/RefE_Drittes_Gesetz_Pauschalreiserichtlinie.pdf?__blob=publicationFile&v=3

Juraddicted

Juraddicted

4.9.2024, 12:15:42

Was bedeutet es, dass der BGH davon abgerückt ist? Findet im PauschalreiseR nicht auch eine „Kommerzialisierbarkeit“ nach Gesetz statt? Hat der BGH jetzt die Ansicht, dass man nach der neuen gesetzlichen Regelung keinen „analogen Bedarf“ mehr hat und gibt diesen Gedanken deswegen auf? Vielen lieben Dank :)

NAN

Nani123

21.10.2024, 17:57:27

Ich würde gerne sicher gehen, dass ich nichts falsch verstanden habe… Ich hab die letzte Aufgabe so verstanden, dass da § 651n II keine Anwendung findet, es dies bedeutet, dass es auch keinen anderen Schadensersatz (zB über §§ 280ff) für die Urlaubszeit/Urlaubsfreuden gibt. Ist das so richtig?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

27.10.2024, 21:20:48

Hallo @Jana, das hast Du genau richtig verstanden! §§ 651k ff BGB enthalten grds abschließende Spezialregelungen, die den allgemeinen Regeln und insbesondere § 280 I BGB vorgehen. Es bleiben für das allgemeine Schadensersatzrecht bei einer Reise nur kleine Restanwendungsbereiche, zB bei Verletzung bestimmter Informationspflichten (zum Ganzen BeckOK-BGB/Geib, 71. Ed, Stand 1.8.2024, § 651n Rn 4; BeckOGK/Kramer, BGB, Stand 1.8.2024, § 651n Rn 9 f). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen