Zivilrecht

Schadensrecht

Feststellung eines ersatzfähigen Schadens

Immaterieller Schaden bei Persönlichkeitsverletzung

Immaterieller Schaden bei Persönlichkeitsverletzung

19. Februar 2025

9 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K ist E-Sportler und spielt als Mitglied der PIPE_Crew den Fußballsimulator FAIF. Streamer B folgen auf dem Dienst T über 14.000 Leute. Während eines Streams kommentiert er bei einem Spiel des K unter anderem: „die Bastarde von der PIPE_CREW“, „zwei große Stücke Scheiße“, „lächerliche Witzfiguren“. K verlangt hierfür Entschädigung.

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Einordnung des Falls

Immaterieller Schaden bei Persönlichkeitsverletzung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bs Äußerungen verletzen Ks allgemeines Persönlichkeitsrecht und begründen dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB.

Genau, so ist das!

Als „sonstiges Recht“ ist in § 823 Abs. 1 BGB auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt. Bs beleidigende Äußerungen verletzen Ks Ehre und damit sein allgemeines Persönlichkeitsrecht. Zwar ist K nur im Hinblick auf seine Sozialsphäre betroffen. Im Hinblick auf die Zahl der Beleidigungen und der Reichweite von Bs Account überwiegt Ks Schutzinteresse aber gegenüber schutzwürdigen Belangen des B. Insbesondere ist reine Schmähkritik nicht durch Bs Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) gedeckt. Die Verletzung ist somit widerrechtlich. B handelte auch vorsätzlich.Bei Rahmenrechten wie dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht musst Du stets daran denken, dass zur Feststellung der Rechtswidrigkeit eine gesonderte Güter- und Interessenabwägung erfolgen muss. Dies ist somit auch ein Einfallstor für die Grundrechte in einen Streit zwischen Privaten!
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2. Hat K durch Bs Äußerungen einen Vermögensschaden erlitten?

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Vermögensschaden ist eine unfreiwillige Beeinträchtigung von Gütern und Interessen mit Vermögenswert.Bs Äußerungen haben in erster Linie Ks persönliche Ehre verletzt. Dass K über die persönliche Kränkung hinaus einen finanziellen Nachteil erlitten hat (z.B. weggefallene Werbekunden), ist nicht ersichtlich. Insofern ist K durch die Beleidigungen lediglich ein immaterieller Schaden entstanden.

3. Auch für immaterielle Schäden kann der Geschädigte stets Ersatz verlangen.

Nein!

Grundsätzlich sind immaterielle Schäden nach der gesetzlichen Konzeption des BGB nicht erstattungsfähig (§ 253 Abs. 1 BGB). Etwas anderes gilt grundsätzlich nur, wenn das Gesetz eine Entschädigung explizit vorsieht. Ein Anspruch auf Erstattung immaterieller Schäden besteht vor allem bei Verletzung der in § 253 Abs. 2 BGB aufgeführten Rechtsgüter (=Schmerzensgeld).

4. Handelt es sich bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht um ein in § 253 Abs. 2 BGB geschütztes Rechtsgut, sodass K hiernach Schmerzensgeld verlangen kann?

Nein, das ist nicht der Fall!

In § 253 Abs. 2 BGB ist ein Schmerzensgeld bei Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung vorgesehen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist dagegen nicht genannt. Früher stützte die Rechtsprechung einen Entschädigungsanspruch auf eine analoge Anwendung des § 847 BGB a.F., der § 253 Abs. 2 BGB entspricht. Da der Gesetzgeber bei der Neuregelung im Jahr 2002 das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht aufgenommen hat, fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke.

5. Bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen leitet die Rechtsprechung einen Entschädigungsanspruch aber unmittelbar aus den Grundrechten ab (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m Art. 1 GG).

Ja, in der Tat!

Aus den Grundrechten folgen nicht nur Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat, sondern auch Schutzpflichten des Staates. Entsprechend leitet der BGH in ständiger Rechtsprechung einen Geldentschädigungsanspruch unmittelbar aus dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag selbst her (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG).Methodisch stellt dies im Ergebnis eine verfassungsrechtliche Reduktion des § 253 Abs. 1 BGB dar. Immaterielle Schäden werden also nicht nur ersetzt, wenn a) es gesetzlich angeordnet ist (z.B. § 253 Abs. 2 BGB), sondern auch, wenn b) das allgemeine Persönlichkeitsrecht betroffen ist.

6. Begründet jede Persönlichkeitsrechtsverletzung einen Anspruch auf Geldentschädigung?

Nein!

Geldentschädigungsansprüche aufgrund von Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bestehen nur, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann (BGH, NJW 1995, 861). Maßgebend ist die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens.Im zugrundeliegenden Fall ist das LG Kiel unter Berücksichtigung der festgestellten Schwere („mittelschwerer Eingriff“), der Verbreitung und des vorsätzlichen Handelns von einer schwerwiegenden Verletzung ausgegangen und hielt eine Geldentschädigung von €800 für angemessen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JJO

JJO

2.5.2024, 11:32:16

Toll, dass ihr hier auch aktuelle Rechtsprechung einbaut! Das ist super für die Examensvorbereitung.

FTE

Findet Nemo Tenetur

10.12.2024, 23:19:13

Weswegen ist § 253 II verfassungsrechtlich zu reduzieren und nicht verfassungsrechtlich auszulegen? Denn wenn man sagt, dass neben den dort gelisteten Fällen außerdem auch bei APR Verletzung Entschädigung in Geld gefordert werden kann, ist das doch keine Reduktion des § 253 II oder stehe ich aufm Schlauch?

BE-

be-gay-do-criminal-law

30.12.2024, 18:50:36

Es handelt sich (wenn ich es richtig verstanden habe) um eine verfassungsrechtliche Reduktion des Abs. 1 („Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden.“), nicht von Abs. 2. Die Reduktion bezieht sich dann darauf, dass eine Entschädigung eben nicht nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen verlangt werden kann, sondern auch bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts.

FTE

Findet Nemo Tenetur

4.1.2025, 22:09:43

Danke für deine Antwort @[be-gay-do-criminal-law](220216). Aber selbst wenn es um Abs. 1 geht, verstehe ich nicht, weswegen die Ausweitung des Wortlauts auf einen vom Wortlaut nicht erfassten Fall eine Reduktion ist?

MO

Moritz

29.1.2025, 09:34:29

Ich frage mich, warum im vorliegenden Fall eine Entschädigung in Geld in Frage kommt. Der Schaden ist doch vorrangig im Wege der

Naturalrestitution

(§ 249 I BGB) auszugleichen (Hier: durch Widerruf der ehrverletzenden Äußerungen). Aus dem Sachverhalt ergibt sich mE nach nicht, dass hier eine

Naturalrestitution

unmöglich ist. Viele Grüße.

DO

Dominikpolitics

29.1.2025, 16:03:49

Und damit sind die ehrverletzenden Äußerungen während des Streams wieder vollständig beseitigt? Ich denke eher nicht.

MO

Moritz

29.1.2025, 17:07:03

@[Dominikpolitics](248886) d.h. du meinst die Persönlichkeitsverletzung ist hier so schwerwiegend, dass eine

Naturalrestitution

(§ 249 I BGB) zur Entschädigung des Geschädigten nicht genügend ist (vgl. § 251 I Alt. 2 BGB) oder wie soll ich deinen (wenig hilfreichen) Kommentar verstehen ? Es bedarf ja schon einer Begründung, warum eine

Naturalrestitution

(§ 249 I BGB), die laut Gesetz Vorrangig zu leisten ist hier nicht in Betracht kommt und man stattdessen auf eine Rechtsfigur der Rspr. zurückgreift, die im Ergebnis eine Entschädigung in Geld für einen immateriellen Schaden gewährt.

DO

Dominikpolitics

29.1.2025, 17:13:24

Ich meinte damit, dass solche Äußerungen per se bereits einen „Schaden angerichtet“ haben, zumal in diesem Fall die Äußerungen in einem Stream stattgefunden haben. Ein Widerruf würde höchstens nur dann Sinn machen, wenn die Äußerung sich irgendwo konstitutiv niedergeschlagen hat. Aber eine vollständige Schadenrückgängigmachung ist in jedem Fall nicht zu erwarten.

Basti :)

Basti :)

6.2.2025, 08:35:32

Ändert die jüngere Rechtsprechung des BGH zu DSGVO-Verstößen an der Antwort der letzten Frage, dass es eines schwerwiegenden Eingriffs bedarf, etwas? Denn der BGH hat für eine kleine DSGVO-Verletzung bereits 100€ immateriellen Schadensersatz zugesprochen.


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