Immaterieller Schaden bei Persönlichkeitsverletzung


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K ist E-Sportler und spielt als Mitglied der PIPE_Crew den Fußballsimulator FAIF. Streamer B folgen auf dem Dienst T über 14.000 Leute. Während eines Streams kommentiert er bei einem Spiel des K unter anderem: „die Bastarde von der PIPE_CREW“, „zwei große Stücke Scheiße“, „lächerliche Witzfiguren“. K verlangt hierfür Entschädigung.

Einordnung des Falls

Immaterieller Schaden bei Persönlichkeitsverletzung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bs Äußerungen verletzen Ks allgemeines Persönlichkeitsrecht und begründen dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB.

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Genau, so ist das!

Als „sonstiges Recht“ ist in § 823 Abs. 1 BGB auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt. Bs beleidigende Äußerungen verletzen Ks Ehre und damit sein allgemeines Persönlichkeitsrecht. Zwar ist K nur im Hinblick auf seine Sozialsphäre betroffen. Im Hinblick auf die Zahl der Beleidigungen und der Reichweite von Bs Account überwiegt Ks Schutzinteresse aber gegenüber schutzwürdigen Belangen des B. Insbesondere ist reine Schmähkritik nicht durch Bs Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) gedeckt. Die Verletzung ist somit widerrechtlich. B handelte auch vorsätzlich.Bei Rahmenrechten wie dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht musst Du stets daran denken, dass zur Feststellung der Rechtswidrigkeit eine gesonderte Güter- und Interessenabwägung erfolgen muss. Dies ist somit auch ein Einfallstor für die Grundrechte in einen Streit zwischen Privaten!

2. Hat K durch Bs Äußerungen einen Vermögensschaden erlitten?

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Nein, das trifft nicht zu!

Ein Vermögensschaden ist eine unfreiwillige Beeinträchtigung von Gütern und Interessen mit Vermögenswert.Bs Äußerungen haben in erster Linie Ks persönliche Ehre verletzt. Dass K über die persönliche Kränkung hinaus einen finanziellen Nachteil erlitten hat (z.B. weggefallene Werbekunden), ist nicht ersichtlich. Insofern ist K durch die Beleidigungen lediglich ein immaterieller Schaden entstanden.

3. Auch für immaterielle Schäden kann der Geschädigte stets Ersatz verlangen.

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Nein!

Grundsätzlich sind immaterielle Schäden nach der gesetzlichen Konzeption des BGB nicht erstattungsfähig (§ 253 Abs. 1 BGB). Etwas anderes gilt grundsätzlich nur, wenn das Gesetz eine Entschädigung explizit vorsieht. Ein Anspruch auf Erstattung immaterieller Schäden besteht vor allem bei Verletzung der in § 253 Abs. 2 BGB aufgeführten Rechtsgüter (=Schmerzensgeld).

4. Handelt es sich bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht um ein in § 253 Abs. 2 BGB geschütztes Rechtsgut, sodass K hiernach Schmerzensgeld verlangen kann?

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Nein, das ist nicht der Fall!

In § 253 Abs. 2 BGB ist ein Schmerzensgeld bei Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung vorgesehen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist dagegen nicht genannt. Früher stützte die Rechtsprechung einen Entschädigungsanspruch auf eine analoge Anwendung des § 847 BGB a.F., der § 253 Abs. 2 BGB entspricht. Da der Gesetzgeber bei der Neuregelung im Jahr 2002 das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht aufgenommen hat, fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke.

5. Bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen leitet die Rechtsprechung einen Entschädigungsanspruch aber unmittelbar aus den Grundrechten ab (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m Art. 1 GG).

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Ja, in der Tat!

Aus den Grundrechten folgen nicht nur Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat, sondern auch Schutzpflichten des Staates. Entsprechend leitet der BGH in ständiger Rechtsprechung einen Geldentschädigungsanspruch unmittelbar aus dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag selbst her (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG).Methodisch stellt dies im Ergebnis eine verfassungsrechtliche Reduktion des § 253 Abs. 1 BGB dar. Immaterielle Schäden werden also nicht nur ersetzt, wenn a) es gesetzlich angeordnet ist (z.B. § 253 Abs. 2 BGB), sondern auch, wenn b) das allgemeine Persönlichkeitsrecht betroffen ist.

6. Begründet jede Persönlichkeitsrechtsverletzung einen Anspruch auf Geldentschädigung?

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Nein!

Geldentschädigungsansprüche aufgrund von Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bestehen nur, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann (BGH, NJW 1995, 861). Maßgebend ist die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens.Im zugrundeliegenden Fall ist das LG Kiel unter Berücksichtigung der festgestellten Schwere („mittelschwerer Eingriff“), der Verbreitung und des vorsätzlichen Handelns von einer schwerwiegenden Verletzung ausgegangen und hielt eine Geldentschädigung von €800 für angemessen.

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