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Stellvertretung bei einem höchstpersönlichen Anspruch?

Stellvertretung bei einem höchstpersönlichen Anspruch?

12. Juni 2025

3 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Eltern E1 und E2 übertragen ihrem Sohn S ein Hausgrundstück und behalten sich im notariellen Vertrag ein Rückforderungsrecht vor, falls S vor ihnen verstirbt. Der Anspruch ist laut Vertrag „höchstpersönlicher Natur”. Die Eltern können ihn zudem „nur innerhalb eines Jahres geltend machen”. Als S stirbt, fordert die Anwältin der Eltern (A) von S' Alleinerbin D die Rückauflassung.

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Einordnung des Falls

Stellvertretung bei einem höchstpersönlichen Anspruch?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Eltern könnten einen Anspruch auf Rückauflassung gegen D aus dem Grundstücksüberlassungsvertrag mit S haben. Müsste dieser Vertragstyp daher zunächst ausdrücklich gesetzlich geregelt sein?

Nein, das ist nicht der Fall!

Im Zivilrecht gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit als Ausfluss der verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Vertragsfreiheit ist die Möglichkeit des Einzelnen, die Rechtsbeziehungen zu anderen mittels Vertrag beliebig zu gestalten. Durch vertragliche Vereinbarung könnten die Parteien also ein Schuldverhältnis i.S.v. §§ 241 Abs. 1, 311 Abs. 1 BGB begründen, welches sie dazu verpflichtet, die vereinbarten Pflichten zu erfüllen. E1 und E2 konnten mit S einen Vertrag über die Überlassung eines Grundstücks schließen und die konkreten Vertragsbedingungen abschließen. Nach dem Vertrag soll der Anspruch sofort entstehen, wenn S stirbt. Die Erfüllung des Anspruchs können die Eltern nur innerhalb eines Jahres fordern. In diesem Fall ist der Anspruch bedingt, d.h. er entsteht sofort mit dem Vorliegen der Anspruchsvoraussetzung. Es handelt sich also nicht um ein Gestaltungsrecht, bei dem der Anspruch erst entstehen würde, wenn die Eltern das Rückforderungsrecht geltend machen. Davon zu unterscheiden ist die Regelung, dass die Eltern den entstandenen Anspruch nur innerhalb eines Jahres „geltend machen“, also Erfüllung des bereits entstandenen Anspruchs verlangen können.
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2. Haben E1, E2 und S den Grundstücksüberlassungsvertrag wirksam geschlossen?

Ja, in der Tat!

Unwirksamkeit kann sich u. A. aus Formnichtigkeit (§ 125 BGB), Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) oder einem gesetzlichen Verbot (§ 134 BGB) ergeben. Ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, muss – einschließlich aller Nebenabreden – notariell beurkundet sein (§ 311b Abs. 1 S. 1 BGB), damit er wirksam ist. Der Grundstücksüberlassungsvertrag wurde notariell beurkundet und entspricht damit der vorgeschriebenen Form (§ 311b Abs. 1 S. 1 BGB). Anhaltspunkte, dass der Vertrag gegen ein Verbotsgesetz oder die guten Sitten verstößt, bestehen nicht. E1, E2 und S haben den Vertrag wirksam geschlossen. § 134 BGB und § 138 BGB musst Du nur ansprechen, wenn es dafür Anhaltspunkte im Sachverhalt gibt.

3. A macht den Anspruch für die Eltern gegenüber D geltend. War D bereits vor dem Tod des S durch den zwischen den Eltern und S geschlossenen Vertrag verpflichtet?

Nein!

Nach dem Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse begründet ein schuldrechtlicher Vertrag nur Rechte und Pflichten zwischen den Parteien, die am Vertrag beteiligt sind. Beim Erbfall kann anstelle eines Erblassers auch dessen Erbe an einem Vertrag beteiligt werden. Denn mit dem Tod eines Menschen geht das Vermögen als Ganzes und damit sämtliche vererblichen Rechtsbeziehungen auf den Erben über (= Gesamtrechtsnachfolge, § 1922 Abs. 1 BGB). Der Rechtsnachfolger tritt in alle Rechte und Pflichten seines Vorgängers ein. Er wird dadurch Vertragspartei der bestehenden Verträge des Erblassers. D hat mit den Eltern keinen Vertrag geschlossen. Durch den Tod des S gehen dessen sämtliche Rechtsbeziehungen auf D über (§ 1922 Abs. 1 BGB). D ist als Rechtsnachfolgerin des S somit in den Vertrag eingetreten und wird dadurch verpflichtet.

4. Durch den Tod von S ist der Anspruch von E1 und E2 zunächst entstanden. Muss D das Grundstück auch dann an E1 und E2 zurück übertragen, wenn E1 und E2 dies erstmalig zwei Jahre nach dem Tod von S von D verlangen?

Nein, das ist nicht der Fall!

E1 und E2 haben nach dem Tod von S einen vertraglichen Anspruch auf Rückübertragung des Grundstücks gegen D. Diesen Anspruch müssen sie aber laut Vertrag innerhalb eines Jahres geltend machen. Die Geltendmachung des Anspruchs ist eine Willenserklärung, die der Durchsetzung des bereits entstandenen Anspruchs dient. E1 und E2 könnten somit zwei Jahre nach dem Tod von S ihren entstandenen Anspruch auf Rückübertragung des Grundstücks nicht mehr durchsetzen. Für eine Klausur im Zivilrecht kannst Du Dich in der Regel an folgendem Aufbau orientieren: Anspruch entstanden, Anspruch erloschen, Anspruch durchsetzbar. Der vertragliche Anspruch ist hier entstanden durch den Tod des S. Die Geltendmachung innerhalb eines Jahres betrifft die Durchsetzbarkeit des Anspruchs. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Vertrags („geltend machen”). Den Parteien würde es wegen der Privatautonomie grundsätzlich auch freistehen, ein Erlöschen des Anspruchs innerhalb einer bestimmten Frist zu vereinbaren. Es wäre auch möglich, im Vertrag den Anspruch auf Rückübertragung erst durch die Geltendmachung entstehen zu lassen. Dann wäre die Geltendmachung ein Gestaltungsrecht. Gestaltungsrechte sind subjektive Rechte, die es dem Berechtigten ermöglichen, einseitig und direkt auf bestehende Rechtsverhältnisse einzuwirken. Die Ausgestaltung des vorliegenden Vertrages lässt aber sehr eindeutig darauf schließen, dass die Parteien den Anspruch unmittelbar durch die Bedingung (= Tod des S) entstehen lassen wollten (§§ 133, 157 BGB).

5. E1 und E2 haben sich bei der Geltendmachung des Anspruchs (= Abgabe einer Willenserklärung) anwaltlich vertreten lassen. Kann man grundsätzlich eine Willenserklärung im Namen einer anderen Person abgeben (§§ 164 ff. BGB)?

Ja, in der Tat!

Nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB kann ein Vertreter eine Willenserklärung für den Vertretenen abgeben. Die Stellvertretung wirkt so, als hätte der Vertretene die Willenserklärung selbst abgegeben. Grundsätzlich ist eine Stellvertretung für sämtliche Rechtsgeschäfte zulässig. Sie kann aber im Einzelfall unzulässig sein. Dies gilt beispielsweise bei höchstpersönlichen Rechtsgeschäften. Die Höchstpersönlichkeit folgt dabei entweder aus dem Gesetz oder aus Vertrag (gewillkürte Höchstpersönlichkeit). Fälle von gesetzlich angeordneter Höchstpersönlichkeit finden sich vor allem im Familien- und Erbrecht wegen der persönlichen Bedeutung der Rechtsgeschäfte. Beispielsweise müssen bei der Eheschließung die Erklärungen persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit abgeben werden (§ 1311 S. 1 BGB). In einer Klausur prüfst Du innerhalb der Stellvertretung an erster Stelle die Zulässigkeit. Sofern hier keine Probleme angelegt sind, fasse Dich kurz oder lasse den Punkt ganz weg. In unserem konkreten Fall liegt Schwerpunkt der Prüfung aber gerade bei der Frage nach der Zulässigkeit der Stellvertretung!

6. Die Vertragsparteien haben den Anspruch als „höchstpersönlich” bezeichnet. Folgt daraus automatisch ein Verbot der Stellvertretung bei der Abgabe einer Willenserklärung?

Nein!

BGH: Bei einem höchstpersönlichen Rechtsgeschäft darf die Erklärung nur vom Betroffenen selbst abgegeben werden – eine Stellvertretung ist ausgeschlossen. Die Höchstpersönlichkeit eines Anspruchs hat dagegen regelmäßig keine Auswirkungen auf die Zulässigkeit der Stellvertretung. Ist dagegen ein Anspruch aufgrund seiner Natur, der Natur des Rechtsverhältnisses oder Vereinbarung der Parteien höchstpersönlicher Natur, bedeutet das zunächst nur, dass dieser nicht abtretbar ist (§ 399 BGB). Aus der vertraglichen Formulierung ergibt sich nicht ohne Weiteres, ob S, E1 und E2 ein Verbot der Stellvertretung bei der Abgabe einer Willenserklärung vereinbart haben. Dies muss man durch Auslegung des Vertrags ermitteln. Bei der Auslegung musst Du also einerseits zwischen Abtretung und Stellvertretung unterscheiden. Also: Wollten die Parteien nur die Abtretbarkeit des Anspruchs ausschließen oder (auch) die Abgabe der zur Geltendmachung des Anspruchs erforderlichen Willenserklärung höchstpersönlich ausgestalten? Höchstpersönliche (nicht abtretbare) Ansprüche sind etwa Unterhaltsansprüche nach Ehescheidung (§§ 1570 ff. BGB), Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern (§ 1 BUrlG i. V. m. § 611a Abs. 1 BGB) und Entschädigungsansprüche wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts (§ 823 Abs. 1 BGB).

7. E1 und E2 sind bereits älter und juristische Laien. Spricht dies in der Auslegung des Vertrags für einen Ausschluss der (anwaltlichen) Stellvertretung (§ 157 BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern (§ 157 BGB). BGH: Juristischen Laien bereitet schon die korrekte Formulierung des Anspruchs auf Auflassung und Bewilligung der Eigentumsumschreibung im Grundbuch Schwierigkeiten. Gerade älteren Anspruchsinhabern fällt es zudem ihrem eigenen Kind oder deren Erben gegenüber nicht immer leicht, die Rückübertragung des Grundeigentums zu fordern. Daher besteht ein Interesse der Eltern, sich bei Wahrnehmung ihrer Rechte anwaltlicher Hilfe zu bedienen. Dies spricht dafür, dass die Eltern die Stellvertretung nicht ausschließen wollten. In einer Klausur würdest Du hier im Sachverhalt Informationen erhalten, mit deren Hilfe Du den Vertrag auslegen kannst.

8. Sollte E1 oder E2 geschäftsunfähig werden, könnte es zur Einsetzung eines Betreuers kommen. Spricht dies ebenfalls für die Zulässigkeit der Stellvertretung?

Ja, in der Tat!

Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern (§ 157 BGB). BGH: Sollte einer der beiden Elternteile geschäftsunfähig werden, kann ein Betreuer eingesetzt werden (§ 1814 Abs. 1 BGB). In diesem Fall müsste der andere Elternteil den Anspruch gemeinsam mit dem Betreuer geltend machen. Im Falle des Ausschlusses der Stellvertretung wäre dies nicht möglich. Somit besteht ein erhebliches Interesse der Eltern an der Zulässigkeit der Stellvertretung bei der Geltendmachung des Rückübertragungsanspruchs.

9. Der Vertrag enthält eine weitere Formulierung, wonach der Anspruch „nicht vererbbar oder übertragbar” ist. Sind die Interessen der Vertragsparteien nur dann ausreichend geschützt, wenn zusätzlich auch die Geltendmachung des Anspruchs nur durch die Eltern höchstpersönlich erfolgen kann? (-) Ist die Stellvertretung bei der Geltendmachung des Anspruchs der Eltern auf Rückübertragung damit nach dem Ergebnis der Auslegung des Vertrags zulässig?

Ja!

Die Höchstpersönlichkeit könnte hier aus der vertraglichen Vereinbarung zwischen S und den Eltern folgen (gewillkürte Höchstpersönlichkeit). Ob mit der „Höchstpersönlichkeit“ die Stellvertretung bei der Geltendmachung des Anspruch ausgeschlossen werden sollte, muss man durch Auslegung des Vertrags ermitteln. Dabei sind auch die Interessen der Vertragsparteien ergänzend heranzuziehen. BGH: Zwar hat ein Kind ein Interesse daran, dass die Eltern höchstpersönlich die Entscheidung über eine Rückforderung treffen. Sie sollen selbst abwägen, ob sie das Grundstück im Eigentum des Erben belassen wollen oder nicht. Dieses Interesse wird aber dadurch gewahrt, dass der Rückauflassungsanspruch nicht vererbbar, übertragbar und daher auch nicht pfändbar ist. Zudem bleibt die endgültige Entscheidung über die Geltendmachung trotz Stellvertretung bei den Eltern, da diese dem Vertreter zuvor eine Vollmacht und ggf. einen Auftrag erteilen müssen. Um die Stellvertretung wirksam auszuschließen, hätten die Parteien ausdrücklich die Geltendmachung als höchstpersönlich qualifizieren müssen. Dafür spricht auch, dass die höchstpersönlichen Ansprüche auf Unterlassung einer Persönlichkeitsrechts- bzw. Urheberrechtsverletzung ebenfalls durch einen anwaltlichen Vertreter geltend gemacht werden können (RdNr. 15f.). Offen gelassen hat der BGH die Frage, ob etwas anderes bei einer Generalvollmacht zugunsten des Vertreters anzunehmen wäre. In diesem Fall hätten die Eltern keine Entscheidungsmacht mehr über die Geltendmachung des Anspruchs.

10. A hat den Anspruch zwei Wochen nach dem Tod des S für die Eltern geltend gemacht. Haben E1 und E2 somit ihren Anspruch auf Rückauflassung fristgerecht geltend gemacht?

Genau, so ist das!

Die Voraussetzung für eine wirksame Stellvertretung sind: (1) die Zulässigkeit der Stellvertretung, (2) die Abgabe einer eigenen Willenserklärung des Vertreters, (3) im Namen des Vertretenen, (4) innerhalb seiner Vertretungsmacht. Eine Willenserklärung, die ein Vertreter unter diesen Voraussetzungen abgibt, wirkt unmittelbar für und gegen den Vertretenen (§ 164 Abs. 1 BGB). Die sonstigen Voraussetzungen liegen vor. E1 und E2 haben sich somit wirksam bei der Geltendmachung ihres Anspruchs vertreten lassen. Im Original nahm das Berufungsgericht an, die Frist zur Geltendmachung sei verstrichen, da diese nicht durch die Anwältin erfolgen konnte. Die abweichende Wertung des BGH führt dazu, dass die Eltern die vertraglich festgehaltene Frist gewahrt haben. Bei den übrigen Prüfungspunkten der Stellvertretung könntest Du Dich in einer Klausur kurz fassen, da hier keine besonderen Probleme liegen.
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