Landesrecht (im Aufbau)

Kommunalrecht NRW

Der Bürgermeister

Ordnungsruf durch den Bürgermeister (§ 51 Abs. 1 GO) - "Das Ermächtigungsgesetz"

Ordnungsruf durch den Bürgermeister (§ 51 Abs. 1 GO) - "Das Ermächtigungsgesetz"

1. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der Rat der kreisfreien Stadt Stunkstadt diskutiert die Wiedereinführung einer 3 %-Sperrklausel bei Kommunalwahlen. Ratsmitglied R meldet sich so zu Wort: „Ja, da haben wir ja endlich das wahlpolitische Ermächtigungsgesetz der Altparteien, die vor allem auf die Verteidigung ihrer Pfründe bedacht sind.“. Oberbürgermeisterin B ruft R deshalb zur Ordnung.

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Einordnung des Falls

Ordnungsruf durch den Bürgermeister (§ 51 Abs. 1 GO) - "Das Ermächtigungsgesetz"

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B ist durch die GO allgemein berechtigt, R einen Ordnungsruf zu erteilen.

Ja, in der Tat!

Der Ordnungsruf ist von der sog. Sitzungsgewalt des Bürgermeisters umfasst: „Der Bürgermeister […] handhabt die Ordnung und übt das Hausrecht aus.“ (§ 51 Abs. 1 GO). Die Handhabung der Ordnung ermächtigt zu Ordnungsmaßnahmen gegenüber den Ratsmitgliedern. Die Ausübung des Hausrechts richtet sich hingegen gegen sonstige Personen, insbesondere Zuhörer der Ratssitzung oder Medienvertreter. Diese sogenannte Sitzungsgewalt hat den Zweck, durch die Eindämmung innerer und äußerer Störungen die Funktionsfähigkeit des Rates zu gewährleisten.
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2. § 51 Abs. 1 GO ermächtigt auch zur Abwehr von Störungen Dritter, die nicht im Zusammenhang mit einer Ratssitzung stehen.

Nein!

Außerhalb von Ratssitzungen übt der Bürgermeister das Hausrecht an den gemeindlichen Verwaltungsgebäuden im Rahmen seiner Annexkompetenz zu § 62 Abs. 1 S. 2 GO (allgemeine Geschäftsleitungsbefugnis) aus.

3. Maßnahmen der Sitzungsgewalt der B stellen stets Verwaltungsakte dar.

Nein, das ist nicht der Fall!

Soweit sich eine Maßnahme gegen Ratsmitglieder richtet, hat sie regelmäßig keine Außenwirkung. Es handelt sich dann allein um eine eine interne sitzungsleitende Maßnahme. Soweit sonstige Dritte betroffen sind, wird in der Regel die Außenwirkung und auch ein Verwaltungsakt vorliegen.

4. Statthafte Rechtsschutzform für ein Vorgehen des R gegen den Ordnungsruf ist die Anfechtungsklage (Art. 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO).

Nein, das trifft nicht zu!

Der Ordnungsruf hat keine Außenwirkung gegenüber R. Da deshalb kein Verwaltungsakt vorliegt, scheidet die Anfechtungsklage aus. Statthafte Klageart ist vielmehr die Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO). Die Frage der rechtlichen Zulässigkeit des Ordnungsrufs ist ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO. Zusätzlich sind hier die besonderen Voraussetzungen des verwaltungsgerichtlichen Organstreits („Kommunalverfassungstreit“) zu beachten.

5. Zur Ausübung der Sitzungsgewalt wird B Ermessen eingeräumt.

Ja!

Dabei unterliegt er der Bindung an das Rechtsstaatsprinzip, ggf. der Chancengleichheit der Parteien (Art. 21 Art. 1 GG) und damit der sachlichen Neutralität und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Besondere Beachtung muss er der jeweiligen Geschäftsordnung des Rates (§ 47 Abs. 2 GO) schenken. In der verwaltungsgerichtlichen Praxis (vgl. § 114 S. 1 VwGO) und in der Klausur ist die pflichtgemäße Ermessensausübung regelmäßig Prüfungsschwerpunkt. Hierbei kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die größte Bedeutung zu.

6. Nach § 7 GeschO kann der Oberbürgermeister Ratsmitglieder wegen ungebührlicher Äußerungen zur Ordnung rufen. Die Äußerung des R ist aber vom freien Rederecht der Ratsmitglieder (§ 43 Abs. 1 GO) umfasst.

Genau, so ist das!

Eine ungebührliche Äußerung liegt vor, wenn „die bloße Provokation im Vordergrund steht oder wo es um die schiere Herabwürdigung anderer oder die Verletzung von Rechtsgütern Dritter“ geht (Rn. 57). Soweit verschiedene Deutungen einer Aussage möglich sind, darf nicht diejenige zugrunde gelegt werden, welche die Ordnungsmaßnahme rechtfertigen würde (Rn. 59). Rs Formulierung sei als politische Stellungnahme noch vom freien Rederecht der Ratsmitglieder gedeckt. Der sachpolitische Bezug ergebe sich daraus, dass R dem Wort "Ermächtigungsgesetz" das Adjektiv „wahlpolitische“ voranstellte und das Vorhaben der Sperrklausel damit (noch) sachlich kritisieren würde (Rn. 64). Der Begriff „Ermächtigungsgesetz“ bezieht sich auf das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom 24.03.1933 (RGBl. I S. 141). Es war ein entscheidender Schritt auf dem Weg zum nationalsozialistischen Unrechtsstaat.

7. Je deutlicher der Ordnungsruf auf den Inhalt der Äußerung (und nicht auf das Verhalten) des Ratsmitglieds reagiert, desto intensiver muss die Ausübung der Sitzungsgewalt kontrolliert werden.

Ja, in der Tat!

Es kann ein Spannungsverhältnis zwischen der Sitzungsgewalt (§ 51 Abs. 1 GO) und dem freien Rederecht der Ratsmitglieder (§ 43 Abs. 1 GO) bestehen. Anlass für die Handhabung der Ordnung ist stets die Störung der Funktionsfähigkeit des Rates. Die Sitzungsgewalt darf nicht zum Instrument der Ausschließung bestimmter inhaltlicher Positionen werden. Weil die Bedeutung des Rederechts für die Demokratie und die Funktionsfähigkeit des Rates berücksichtigt werden muss, gilt: „Je mehr die inhaltliche Auseinandersetzung im Vordergrund steht, je gewichtiger die mit dem Redebeitrag thematisierten Fragen für den Rat und die Öffentlichkeit sind und je intensiver diese politische Auseinandersetzung geführt wird, desto eher müssen konkurrierende Rechtsgüter hinter dem Rederecht zurückstehen.“ (Rn. 59).

8. Bs Ordnungsruf ist rechtmäßig.

Nein!

Das OVG entschied, dass Rs Aussage nicht ungebührlich gewesen sei. Daher lagen die Voraussetzungen für den Ordnungsruf nicht vor. Die Feststellungsklage des R hatte also Erfolg.
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