Mitverschulden Schmerzensgeld

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der 11-jährige K steht sehr nahe am Bordsteinrand und wartet darauf, dass die Fußgängerampel grün wird. A fährt mit dem SUV ihres Kumpels dicht an K vorbei. Dabei erwischt sie K mit dem Außenspiegel. K bricht sich beim Sturz das Bein und liegt 3 Wochen im Krankenhaus. K will Schmerzensgeld.

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Einordnung des Falls

Mitverschulden Schmerzensgeld

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K stehen dem Grunde nach Schadensersatzansprüche gegen A zu (§ 18 Abs. 1 StVG; § 823 Abs. 1 BGB). Ist es für die Bemessung der Schmerzensgeldhöhe egal, ob K ein Mitverschulden an dem Unfall trifft?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Höhe des Schmerzensgeldes muss aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der prägenden Umstände festgesetzt werden. Dabei sind die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen (Ausgleichsfunktion). Mindernd wirkt sich dagegen ein Mitverschulden des Geschädigten aus.
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2. Hat K den Unfall mitverursacht, indem er sich sehr nah am Bordsteinrand aufgestellt hat?

Ja, in der Tat!

Zwar darf sich ein Fußgänger auf dem Gehweg vor vorbeifahrenden Kraftfahrzeugen sicher fühlen. Dies gilt aber nur eingeschränkt, wenn der Fußgänger so nahe an die äußerste Bordsteinkante herantritt, dass er selbst von nur geringfügig überhängenden Fahrzeugteilen oder dem Luftsog erfasst werden kann bzw. wenn er selbst in die Fahrbahn hineinragt. In diesem Fall muss er nach vorbeifahrenden Fahrzeugen Ausschau halten oder weiter vom Fahrbahnrand wegbleiben. Da K am äußersten Bordsteinrand stand und sich nicht nach Fahrzeugen umsah, hat er den Unfall mitverursacht.

3. Ist ein Mitverschulden des K ausgeschlossen, da er erst 11 Jahre alt ist?

Nein!

Wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat , ist für den Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, sofern ihm die Einsichtsfähigkeit fehlt (§ 828 Abs. 3 BGB). Der gleiche Maßstab gilt bei der Beurteilung des Mitverschuldens. OLG: Einem Elfjährigen müsse bewusst sein, dass die Positionierung am äußersten Rand des Gehweges einer stark befahrenen Straße gefährlich ist und erhebliche Schäden auslösen kann. Die Einsichtsfähigkeit werde gesetzlich vermutet. Auch wenn das Mitverschulden nicht gänzlich ausgeschlossen ist, so wiegt das Mitverschulden eines Minderjährigen weniger schwer, als das eines Erwachsenen.

4. Ks Mitverschulden wird als Bemessungsfaktor bereits bei der Ermittlung der Schmerzensgeldhöhe berücksichtigt.

Genau, so ist das!

Üblicherweise führt Mitverschulden (§ 254 BGB) zu einer nachträglichen Verringerung des einmal ermittelten Schadens in Höhe der Verschuldensquote (z.B. 20% Abzug). Beim Schmerzensgeld wird das Mitverschulden dagegen als Bemessungsfaktor direkt bei der Berechnung einbezogen. Es wird insoweit nicht nachträglich gekürzt, sondern von vorneherein ein ganzheitlich ermitteltes Schmerzensgeld unter Einbeziehung sämtlicher Bemessungsfaktoren bestimmt. Referendare aufgepasst: Im Grüneberg, § 253 RdNr. 16 BGB findet ihr eine umfassende Übersicht über relevante Bemessungsfaktoren, z.B. Ausmaß, Schwere und Dauer der Verletzungen, Grad des Verschuldens des Täters.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MAG

Magie99Capona

22.6.2024, 18:59:16

ich finde bei der Antwort zum mitverschulden werden diverse Aspekte berücksichtigt für die ihr im SV keine Anhaltspunkte liefert zB das er nicht auf seine Umgebung geachtet hätte und so nah am rand das er allein vol sog hätte erfasst werden können

PAT

Patrick4219

27.7.2024, 12:11:12

Man könnte an dieser Stelle auch noch darauf hinweisen, dass in § 828 Abs. 2 S. 1 BGB die Verantwortlichkeit von Minderjährigen im Straßenverkehr explizit nur bis zum vollendeten 10. Lebensjahr ausgeschlossen ist. Im Umkehrschluss ab dem 11. Lebensjahr der Gesetzgeber regelmäßig die erforderliche Einsichtsfähigkeit als gegeben ansieht und nur in Ausnahmefällen eine andere Wertung zugelassen werden kann. Der Verweis auf § 828 Abs. 3 BGB in der Aufgabe ist dennich richtig, da hier die Ausnahme zu Abs. 2 kodifiziert ist und diese immer auch geprüft werden muss.

LELEE

Leo Lee

28.7.2024, 10:45:33

Hallo Patrick4129, vielen Dank für dein Feebdack! In der Tat hast du völlig Recht damit, dass anhand des Umkehrschlusses erkennbar ist, dass die Verantwortlichkeit von Minderjährigen – vors. Kein Vorsatz – nur bis zum 10. Lebensjahr ausgeschlossen ist (allerdings nur für die typischen Überforderungssituationen). Wir haben jedoch auf diese Ausführung (auch als Ergänzung) verzichtet, um die ohnehin schon informationsdichte Erklärung der dritten Frage nicht noch mehr zu überlasten und bitten dich insoweit um Verständnis :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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