Strafrecht

BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.

Aussetzung, § 221 StGB

Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung, Zweistufigkeit fehlt

Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung, Zweistufigkeit fehlt

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T und O segeln gemeinsam auf dem Bodensee. O kann nicht schwimmen. T stößt den O über Bord und dieser droht zu ertrinken, da er sich selbst nicht auf das Boot retten kann. T steht am Rand des Bootes und lacht den O aus.

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Einordnung des Falls

Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung, Zweistufigkeit fehlt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wer einen anderen Menschen in eine hilflose Lage versetzt und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt, verwirklicht den objektiven Straftatbestand der Aussetzung (§ 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Genau, so ist das!

§ 221 Abs. 1 StGB ist ein konkretes Gefährdungsdelikt in Form eines zusammengesetzten Delikts: Es besteht aus einem Handlungs- und einem Gefährdungsteil. Der Handlungsteil unterscheidet zwei Tatvarianten: Das Versetzen in eine hilflose Lage (Nr. 1) sowie das Im-Stich-Lassen in einer hilflosen Lage durch einen Garanten (§ 13 StGB) (Nr. 2). Der Gefährdungsteil ist für beide Tatvarianten identisch: Voraussetzung ist der Eintritt einer konkreten Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung. Die Gefahr muss durch die Tathandlung eingetreten sein, also kausal und zurechenbar auf der Handlung beruhen.
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2. T hat den O "in eine hilflose Lage versetzt" (§ 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Eine hilflose Lage ist eine Situation, in der das Opfer außerstande ist, sich aus eigener Kraft oder mit Hilfe schutzbereiter und schutzfähiger anderer Personen vor drohenden abstrakten Lebens- oder schweren Gesundheitsgefahren zu schützen. Der Begriff des Versetzens ist nach h.M. weit zu verstehen und meint die auf beliebige Art und Weise erfolgende Herbeiführung der hilflosen Lage durch den Täter. O konnte sich nicht selbst auf das Boot retten, denn er konnte nicht schwimmen. Mithin konnte er sich selbst nicht schützen und auch T war nicht schutzbereit. T hat den O auch in diese Lage versetzt, indem sie ihn vom Boot stieß.

3. T hat O "durch" das Versetzen in eine hilflose Lage der "Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung ausgesetzt" (§ 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Nein!

Der Täter muss das Opfer durch die Tathandlung in die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht haben. Die konkrete Gefahrenlage muss sich dabei aus einer bereits bestehenden hilflosen Lage entwickeln. Der konkrete Gefahrerfolg liegt vor, wenn der Täter eine Verschlechterung der gegenwärtigen physischen Situation in dem Sinne herbeiführt, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob das Opfer den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung erleidet. Dies ist hier gerade problematisch, denn T bringt den O zeitgleich mit dem Versetzen in die Gefahr des Todes und die hilflose Lage entwickelt sich nicht aus einer bereits bestehenden hilflosen Lage. Es fehlt hier gerade an der zwingend notwendigen Zweistufigkeit des Delikts. In Betracht kommen u.a. eine Strafbarkeit wegen Mordes (§ 211 StGB) oder Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LEV

Levin12345

5.4.2021, 20:31:24

Tut mir leid aber ich verstehe das nicht. Wieso macht das einen Unterschied, wenn ich jemanden einsperre ohne Nahrung zu dem Fall in dem ich jemanden der nicht schwimmen kann vom Boot schubse und ihm nicht helfe?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

5.4.2021, 22:18:52

Hallo Levin, vielen Dank für Deine gute Nachfrage! Ausweislich des Gesetzes muss das Opfer durch die hilflose Lage der „Gefahr des Todes oder einer schweren

Gesundheitsschädigung

“ ausgesetzt sein. Daraus wird abgeleitet, dass hier zwei verschiedene Akte vorliegen müssen, nämlich zunächst die „hilflose Lage“ und dann die sich daraus entwickelnde Gefahr. Die hilflose Lage muss dabei zunächst für eine gewisse Dauer vorliegen. Daran fehlt es bei sog. Augenblicksgefahren, bei denen die hilflose Lage direkt zur Todesgefahr führt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

5.4.2021, 22:19:08

In dem von dir genannten Beispiels des Einsperrens einer Person wird zunächst lediglich eine hilflose Lage begründet. Die Todesgefahr resultiert erst daraus, dass dieser Zustand über m

ehre

re Tage aufrechterhalten wird. Anders liegt der Fall hier. O droht hier direkt durch den Stoß der Tod durch Ertrinken, ohne dass eine hinreichend stabilisierte hilflose Lage vorangeht. In Betracht kommen aber natürlich u.a. noch eine Strafbarkeit wegen Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 I StGB). Beste Grüße, Lukas – für das Jurafuchs-Team

HEVE

Henry Vetter

15.4.2021, 12:37:58

Anders wäre es hier also, wenn der O schwimmen könnte. Aufgrund seiner Fähigkeit kann er sich zwar über m

ehre

re Stunden am Leben halten, ertrinkt aber auf offener See ohne Hilfe, oder? Die Zweiaktigkeit hat man in meinem Fall dann durch die Möglichkeit, dass der O sich zumindest für eine gewisse Zeit am Leben halten kann.

ri

ri

9.8.2021, 01:08:06

Auch wenn er schwimmen kann, hängt es nur vom Zufall ab, ob er den Halt verliert und ertrinkt. Damit liegt bereits beim Hineinstoßen eine konkrete Lebensgefahr vor. Auch wenn er eine rettende Planke findet oder ein Boot ihn rettet, ist das Zufall und die konkrete Gefahr liegt trotzdem vor.

Isabell

Isabell

14.2.2022, 10:43:57

Könnte man nicht den Aufenthalt ohne Rettungsweste auf dem Segelboot als Anknüpfungspunkt für die hilflose Lage nehmen? Ohne den Segelkundigen hätte sich das Opfer aus dieser Situation ja nicht selbständig heraus bewegen können.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.2.2022, 18:00:06

Hallo Isabell, das könnte man andenken. Allerdings ist hier dann fraglich, ob auf dem belebten Bodensee hierdurch tatsächlich eine hinreichend gefestigte hilflose Lage entstanden wäre. Hinzukommt, dass selbst wenn man hierin eine gefestigte hilflose Lage sähe, daraus noch keine konkrete Gefahr erwachsen ist. Diese ist vielmehr erst durch den Stoß ins Wasser entstanden, bei dem es sich aber um eine andere

Tathandlung

handelt. Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team

Dogu

Dogu

16.9.2023, 14:44:15

"über Bord" statt "über Board"

LELEE

Leo Lee

17.9.2023, 12:22:53

Hallo Dogu, vielen Dank für den Hinweis! Dies haben wir nun entsprechend korrigiert :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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