Strafrecht

BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.

Aussetzung, § 221 StGB

Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung, Zweistufigkeit fehlt

Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung, Zweistufigkeit fehlt

8. Juli 2025

12 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T und O segeln gemeinsam auf dem Bodensee. O kann nicht schwimmen. T stößt den O über Bord und dieser droht zu ertrinken, da er sich selbst nicht auf das Boot retten kann. T steht am Rand des Bootes und lacht den O aus.

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Einordnung des Falls

Verursachung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung, Zweistufigkeit fehlt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wer einen anderen Menschen in eine hilflose Lage versetzt und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt, verwirklicht den objektiven Straftatbestand der Aussetzung (§ 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Genau, so ist das!

§ 221 Abs. 1 StGB ist ein konkretes Gefährdungsdelikt in Form eines zusammengesetzten Delikts: Es besteht aus einem Handlungs- und einem Gefährdungsteil. Der Handlungsteil unterscheidet zwei Tatvarianten: Das Versetzen in eine hilflose Lage (Nr. 1) sowie das Im-Stich-Lassen in einer hilflosen Lage durch einen Garanten (§ 13 StGB) (Nr. 2). Der Gefährdungsteil ist für beide Tatvarianten identisch: Voraussetzung ist der Eintritt einer konkreten Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung. Die Gefahr muss durch die Tathandlung eingetreten sein, also kausal und zurechenbar auf der Handlung beruhen.
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2. T hat den O "in eine hilflose Lage versetzt" (§ 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Eine hilflose Lage ist eine Situation, in der das Opfer außerstande ist, sich aus eigener Kraft oder mit Hilfe schutzbereiter und schutzfähiger anderer Personen vor drohenden abstrakten Lebens- oder schweren Gesundheitsgefahren zu schützen. Der Begriff des Versetzens ist nach h.M. weit zu verstehen und meint die auf beliebige Art und Weise erfolgende Herbeiführung der hilflosen Lage durch den Täter. O konnte sich nicht selbst auf das Boot retten, denn er konnte nicht schwimmen. Mithin konnte er sich selbst nicht schützen und auch T war nicht schutzbereit. T hat den O auch in diese Lage versetzt, indem sie ihn vom Boot stieß.

3. T hat O "durch" das Versetzen in eine hilflose Lage der "Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung ausgesetzt" (§ 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Nein!

Der Täter muss das Opfer durch die Tathandlung in die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht haben. Die konkrete Gefahrenlage muss sich dabei aus einer bereits bestehenden hilflosen Lage entwickeln. Der konkrete Gefahrerfolg liegt vor, wenn der Täter eine Verschlechterung der gegenwärtigen physischen Situation in dem Sinne herbeiführt, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob das Opfer den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung erleidet. Dies ist hier gerade problematisch, denn T bringt den O zeitgleich mit dem Versetzen in die Gefahr des Todes und die hilflose Lage entwickelt sich nicht aus einer bereits bestehenden hilflosen Lage. Es fehlt hier gerade an der zwingend notwendigen Zweistufigkeit des Delikts. In Betracht kommen u.a. eine Strafbarkeit wegen Mordes (§ 211 StGB) oder Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

5.4.2021, 20:31:24

Tut mir leid aber ich verstehe das nicht. Wieso macht das einen Unterschied, wenn ich jemanden einsperre ohne Nahrung zu dem Fall in dem ich jemanden der nicht schwimmen kann vom Boot schubse und ihm nicht helfe?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

5.4.2021, 22:18:52

Hallo Levin, vielen Dank für Deine gute Nachfrage! Ausweislich des Gesetzes muss das Opfer durch die

hilflose Lage

der „

Gefahr

des Todes oder einer schweren

Gesundheitsschädigung

“ ausgesetzt sein. Daraus wird abgeleitet, dass hier zwei verschiedene Akte vorliegen müssen, nämlich zunächst die „

hilflose Lage

“ und dann die sich daraus entwickelnde

Gefahr

. Die

hilflose Lage

muss dabei zunächst für eine gewisse Dauer vorliegen. Daran fehlt es bei sog. Augenblicks

gefahr

en, bei denen die

hilflose Lage

direkt zur Todes

gefahr

führt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

5.4.2021, 22:19:08

In dem von dir genannten Beispiels des Einsperrens einer Person wird zunächst lediglich eine

hilflose Lage

begründet. Die Todes

gefahr

resultiert erst daraus, dass dieser Zustand über mehrere Tage aufrechterhalten wird. Anders liegt der Fall hier. O droht hier direkt durch den Stoß der Tod durch Ertrinken, ohne dass eine hinreichend stabilisierte

hilflose Lage

vorangeht. In Betracht kommen aber natürlich u.a. noch eine Strafbarkeit wegen Mord (

§ 211 StGB

) oder Totschlag (§ 212 I StGB). Beste Grüße, Lukas – für das Jurafuchs-Team

HEVE

Henry Vetter

15.4.2021, 12:37:58

Anders wäre es hier also, wenn der O schwimmen könnte. Aufgrund seiner Fähigkeit kann er sich zwar über mehrere Stunden am Leben halten, ertrinkt aber auf offener See ohne Hilfe, oder? Die Zweiaktigkeit hat man in meinem Fall dann durch die Möglichkeit, dass der O sich zumindest für eine gewisse Zeit am Leben halten kann.

ri

ri

9.8.2021, 01:08:06

Auch wenn er schwimmen kann, hängt es nur vom Zufall ab, ob er den Halt verliert und ertrinkt. Damit liegt bereits beim Hineinstoßen eine konkrete Lebens

gefahr

vor. Auch wenn er eine rettende Planke findet oder ein Boot ihn rettet, ist das Zufall und die

konkrete Gefahr

liegt trotzdem vor.

Isabell

Isabell

14.2.2022, 10:43:57

Könnte man nicht den Aufenthalt ohne Rettungsweste auf dem Segelboot als Anknüpfungspunkt für die

hilflose Lage

nehmen? Ohne den Segelkundigen hätte sich das Opfer aus dieser Situation ja nicht selbständig heraus bewegen können.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.2.2022, 18:00:06

Hallo Isabell, das könnte man andenken. Allerdings ist hier dann fraglich, ob auf dem belebten Bodensee hierdurch tatsächlich eine hinreichend gefestigte

hilflose Lage

entstanden wäre. Hinzukommt, dass selbst wenn man hierin eine gefestigte

hilflose Lage

sähe, daraus noch keine

konkrete Gefahr

erwachsen ist. Diese ist vielmehr erst durch den Stoß ins Wasser entstanden, bei dem es sich aber um eine andere Tathandlung handelt. Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

22.1.2025, 20:59:59

Hallo @[Henry Vetter](136845) und @[ri](98845), im Fall der Schwimmfähigkeit ist es tatsächlich so, dass die Zweistufigkeit grundsätzlich gegeben ist. In dem Zeitpunkt, in dem der O ins Wasser gestoßen wird, bestünde dann keine

konkrete Gefahr

. Zwar könnte man sagen, dass es am Ende des Tages nur vom Zufall abhängt, ob er ertrinken wird oder nicht. Allerdings erfordert eine

konkrete Gefahr

, dass im Hinblick auf den Eintritt des Erfolges (hier also des Todes) eine kritische Situation eintritt, in der jederzeit zu erwarten ist, dass der Erfolg plötzlich eintritt. Nur dass es vom Zufall abhängt, ob der Tod mehrere Stunden später eintritt, reicht für eine

konkrete Gefahr

nicht aus. Diese läge erst dann vor, wenn der O kurz vorm Ertrinken ist, weil er sich nicht mehr über Wasser halten kann und ihn die Kräfte verlassen. Viele Grüße, Tim Gottschalk - für das Jurafuchs-Team @[Wendelin Neubert](409)

GS99

GS99

14.5.2025, 09:16:06

Hi, in der Subsumtion steht: "die

hilflose Lage

entwickelt sich nicht aus einer bereits bestehenden hilflosen Lage". Sollte es nicht eher "die

konkrete Gefahr

enlage entwickelt sich nicht aus einer bereits bestehenden hilflosen Lage" heißen? Danke!

Linne Hempel

Linne Hempel

19.5.2025, 12:42:52

Hallo GS99, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team


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