Zivilrecht

Schadensrecht

Feststellung eines ersatzfähigen Schadens

Kommerzialisierungsgedanke bzgl. Internetanschlusses

Kommerzialisierungsgedanke bzgl. Internetanschlusses

23. November 2024

4,8(24.374 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

Der Internetanbieter von Student S ist Unitymedia (U). Als er seinen Vertrag auf eine schnellere Leitung umstellen lässt, fällt sein Internetanschluss komplett aus. Als er zwei Monate später immer noch ohne Internet dasteht, wechselt er zur Telekom und verlangt von U Ersatz für die entgangene Nutzungsmöglichkeit des Internets.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Kommerzialisierungsgedanke bzgl. Internetanschlusses

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S hat einen Schaden erlitten.

Ja!

Ob jemand einen Schaden erlitten hat, wird durch die Differenzhypothese ermittelt, indem ein Vergleich zwischen zwei Güterlagen vorgenommen wird: (1) Was ist jetzt die konkrete tatsächliche Lage des Geschädigten mit schädigendem Ereignis und (2) wie wäre jetzt seine hypothetische Lage, wenn das Schadensereignis nicht eingetreten wäre? Ein Schaden liegt vor, wenn sich ein Unterschied zwischen beiden Güterlagen ergibt, der sich zu Lasten des Geschädigten auswirkt.Hätte U nicht vertragswidrig kein Internet zur Verfügung gestellt, hätte S nicht 2 Monate lang die Nutzungsmöglichkeit des Internets eingebüßt.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Der Schaden des S ist nach § 249 BGB im Wege der Naturalrestitution ersetzbar.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Geschädigte kann vom Schädiger verlangen, dass dieser den Zustand herstellt, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 Abs. 1 BGB, Naturalrestitution). Voraussetzung für die Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 und 2 BGB ist jedoch, dass die Wiederherstellung noch möglich ist. Dies ergibt sich aus dem Umkehrschluss zu § 251 Abs. 1 BGB, der subsidiär erst bei Unmöglichkeit der Naturalrestitution einschlägig ist (Vorrang der Naturalrestitution).Die verlorene Nutzungsmöglichkeit kann nicht wiederhergestellt werden, sodass S diesbezüglich nicht Naturalrestitution nach § 249 BGB verlangen kann.

3. S kann die entgangene Nutzungsmöglichkeit als Nichtvermögensschaden nach § 253 BGB ersetzt verlangen.

Nein, das trifft nicht zu!

Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden (§ 253 Abs. 1 BGB). Solche Fälle sind unter anderem die Verletzung von Körper, Gesundheit, Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung (§ 253 Abs. 2 BGB) oder nutzlos aufwendete Urlaubszeit (§ 651n Abs. 2 BGB).Entschädigung für die entgangene Nutzungsmöglichkeit des Internets ist nicht speziell geregelt, sodass die entgangene Nutzungsmöglichkeit nicht entschädigt werden könnte.

4. S kann die entgangene Nutzungsmöglichkeit als Nichtvermögensschaden nach § 251 BGB ersetzt verlangen.

Nein!

§ 251 BGB ermöglicht Ersatz für eine eingetretene Vermögensminderung (Schadenskompensation). § 251 BGB gilt (1) nur für Vermögensschäden und ist auch nur dann einschlägig, (2) wenn die Naturalrestitution unmöglich (§ 251 Abs. 1 BGB) oder mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist (§ 251 Abs. 2 BGB, zusammen der Vorrang der Naturalrestitution).Hier ist die Naturalrestitution zwar unmöglich. Nichtvermögensschäden sind jedoch nicht nach § 251 BGB ersetzbar. Die Ersetzbarkeit der entgangenen Nutzungsmöglichkeit hängt also allein davon ab, ob sie einen Vermögensschaden iSv § 251 BGB darstellt.

5. Die entgangene Nutzungsmöglichkeit ist immer ein nach § 251 Abs. 1 BGB ersetzbarer Vermögensschaden, weil die Nutzungsmöglichkeit gegen Geld erworben werden kann (Kommerzialisierungsgedanke).

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Vermögens- wird vom Nichtvermögensschaden danach abgegrenzt, ob der jeweilige Schaden in Geld messbar ist. Es gibt jedoch keine allgemeingültigen Kriterien dafür, wann eine solche Messbarkeit vorliegt. Weil prinzipiell alles gegen Geld erwerbbar und damit messbar ist, kommt es auf eine Kommerzialisierung jedoch grundsätzlich nicht an (kein „Kommerzialisierungsgedanke“). Ansonsten würde die von § 253 Abs. 1 BGB grundsätzlich angeordnete Nichtersetzbarkeit von Nichtvermögensschaden unterlaufen.

6. Eine entgangene private Nutzungsmöglichkeit kann ausnahmsweise als Vermögensschaden nach § 251 Abs. 1 BGB ersetzbar sein.

Ja, in der Tat!

Nach der Rechtsprechung ist die entgangene privaten Nutzungsmöglichkeit nur ein Vermögensschaden, wenn (1) es sich um ein Wirtschaftsgut von zentraler Bedeutung handelt, (2) in den Gegenstand selbst eingegriffen wurde und (3) die Nutzungsbeeinträchtigung fühlbar ist.Von zentraler Bedeutung können etwa sein: Das Kfz oder Fahrrad als Fortbewegungsmittel, die Wohnung, oder der Internetzugang. Die Nutzungsbeeinträchtigung ist fühlbar, wenn der Geschädigte (1) einen Nutzungswillen und (2) eine hypothetische Nutzungsmöglichkeit hat. Daran fehlt es etwa, wenn der Geschädigte einen vergleichbaren Ersatzgegenstand hat oder wenn der Geschädigte im Krankenhaus liegt und er den Gegenstand deshalb ohnehin nicht hätte nutzen können.

7. Das Internet ist ein Wirtschaftsgut von zentraler Bedeutung.

Ja!

BGH: Die Nutzbarkeit des Internets sei ein Wirtschaftsgut, dessen ständige Verfügbarkeit seit längerer Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung sei und bei dem sich eine Funktionsstörung als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirke. Das Internet ersetze wegen der leichten Verfügbarkeit der Informationen immer mehr andere Medien. Darüber hinaus ermögliche es den weltweiten Austausch zwischen seinen Nutzern. Zudem werde es zunehmend zur Anbahnung und zum Abschluss von Verträgen, zur Abwicklung von Rechtsgeschäften und zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten genutzt. (RdNr. 23).
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

GEKA

Gekartet

15.2.2021, 10:42:56

Die Fragen sind schlecht formuliert: „Wenn“ klingt wie „unterstellt, dass“ und dann muss man eig immer „stimmt“ sagen. Besser: Unterfällt der

Nutzungsausfallschaden

dem § x ?

Marilena

Marilena

16.2.2021, 11:55:32

Hallo Gekartet, ich danke Dir für den Verbesserungsvorschlag! Wir sind stets bestrebt, die Aufgaben für alle Nutzer noch verständlicher zu machen und dafür auf wertvolle Mithilfe wie hier von Dir angewiesen. Ich habe die Fragen entsprechend geändert. Gefällt es Dir so besser? Liebe Grüße für das Jurafuchs-Team, Marilena

CR7

CR7

18.6.2024, 20:12:18

Ich finde die Aufgaben sind super formuliert, ich weiß nur nicht wie es vorher war. Generell finde ich es bei den Aufgaben vor allem für das erste Staatsexamen richtig und sinnvoll, wenn man die Fragen im Obersatz Stil formuliert.

SVE

svenzpo

20.9.2023, 17:28:39

Aso... Als

Nichtvermögensschaden

ist sie nicht nach § 251 ersetzbar, als Vermögensschaden schon?

LELEE

Leo Lee

23.9.2023, 17:57:10

Hallo svenzpo, genauso ist es. Aus dem § 253 BGB ergibt sich, dass Nichtvermögensschäden (etwa Schmerzensgeld) nur dann ersetzt werden kann, wenn diese gesetzlich angeordnet werden (etwa in den § 253 BGB benannten Fällen oder 651n BGB). Im Umkehrschluss heißt das, dass § 251 I BGB nur diejenigen Schäden ersetzt, die Vermögensschäden sind und nicht durch § 249 I BGB (wegen Unmöglichkeit der Naturalrestitution) ersetzt werden können. Dies ist der Grund, weshalb wir diese Nutzungen – die an sich eben „Unannehmlichkeiten“ sind, die weder in § 253 BGB noch woanders als

Nichtvermögensschaden

benannt werden – über den

Kommerzialisierungsgedanke

n doch als Vermögensschäden einstufen (also nutzen wir hier einen „Trick). Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Oetker § 249 Rn. 41 ff. sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

VI

Vivii

22.9.2024, 09:59:24

Mir ist nicht ganz klar, warum es an der hypothetischen Nutzungsmöglichkeit fehlt, wenn man einen vergleichbaren Ersatzgegenstand hat. Man hätte doch ungeachtet dessen den anderen (d.h. den ausfallenden) Nutzungsgegenstand nutzen können, oder?

LELEE

Leo Lee

28.9.2024, 10:38:55

Hallo Vivii, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Tat könnte man diese Frage stellen. Allerdings ist der Ausgangspunkt dieser hyp. Nutzungsmöglichkeit i.R.d. Nutzungsausfalls der entgangene Gewinn. D.h., ich möchte Geld haben, weil ich - hätte ich die Sache, etwa Taxi, genutzt - Gewinn erwirtschaftet hätte. Das gilt aber auch nur, dass ich WEGEN dieses Ausfalls diesen Gewinn nicht realisieren konnte. Und wenn ich eben einen Ersatzgegenstand habe (etwa Zweittaxi), kann ich eben nicht sagen, dass ich nicht in der Lage war, etwa durchs Taxifahren Geld zu verdienen. D.h. also, dass der entgangene Gewinn voraussetzt, dass ich GERADE WEGEN dieses Schadens nicht in der Lage war, Geld zu verdienen. War ich freilich in der Lage, weil ich ein Ersatzauto hatte, kann ich dies nicht behaupten. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Oetker § 249 Rn. 70 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community

Weitere für Dich ausgwählte Fälle

Jurafuchs

Nutzungsausfallschaden bei gewerbliche genutztem LKW

Speditionsbetreiber A beauftragt B mit der Reparatur eines LKW. Durch Bs fehlerhafte Reparatur entsteht ein Motorschaden. A kann den LKW für 12 Monate nicht benutzen und muss Aufträge an Fremdfirmen vergeben. Nach der Reparatur fordert A Schadensersatz für den Nutzungsausfall des LKW, die Mehrkosten der Fremdaufträge und erhöhten Personalaufwand.

Fall lesen

Jurafuchs-Illustration zum Fall zur Ersatzfähigkeit von Nutzungsausfall (OLG Frankfurt a.M., Urt.v. 27.07.2022 - 11 U 7/21): Eine Frau steht vor einem kaputten Auto und denkt: Ich fahr doch keinen Ford.

Fall zur Ersatzfähigkeit von Nutzungsausfall (OLG Frankfurt a.M., Urt.v. 27.07.2022 - 11 U 7/21): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs

Das OLG Frankfurt a.M. hatte zu entscheiden, ob nach einem Autounfall der Geschädigte neben den Reparaturkosten zusätzlich Nutzungsausfallentschädigung für die Zeit der Reparatur verlangen kann. Das OLG verneinte einen solchen Anspruch. Die Beschränkung des Fahrvergnügens sei nur eine immaterielle Beeinträchtigung aufgrund der subjektiven Wertschätzung und nicht als Schaden ersetzbar. Der Nutzungsersatz komme nur für vermögensmäßig erfassbaren Einsatz der Sache in Betracht. Denn die Nutzungsausfallentschädigung müsse Fällen vorbehalten bleiben, in denen die Funktionsstörung sich typischerweise auf die Grundlage der Lebensführung signifikant auswirkt. Andernfalls bestünde die Gefahr, unter Verletzung des § 253 BGB die Ersatzpflicht auf Nichtvermögensschäden auszudehnen (RdNr. 45). Da das eingeschränkte Fahrvergnügen lediglich einen - nicht unter § 253 BGB fallenden - immateriellen Schaden darstellt, kann B diesen nicht geltend machen.

Fall lesen

Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen