Zivilrecht

Schadensrecht

Feststellung eines ersatzfähigen Schadens

Kommerzialisierungsgedanke bzgl. Internetanschlusses

Kommerzialisierungsgedanke bzgl. Internetanschlusses

4. Juli 2025

20 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Der Internetanbieter von Student S ist Unitymedia (U). Als er seinen Vertrag auf eine schnellere Leitung umstellen lässt, fällt sein Internetanschluss komplett aus. Als er zwei Monate später immer noch ohne Internet dasteht, wechselt er zur Telekom und verlangt von U Ersatz für die entgangene Nutzungsmöglichkeit des Internets.

Diesen Fall lösen 0,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Kommerzialisierungsgedanke bzgl. Internetanschlusses

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S hat einen Schaden erlitten.

Ja!

Ob jemand einen Schaden erlitten hat, wird durch die Differenzhypothese ermittelt, indem ein Vergleich zwischen zwei Güterlagen vorgenommen wird: (1) Was ist jetzt die konkrete tatsächliche Lage des Geschädigten mit schädigendem Ereignis und (2) wie wäre jetzt seine hypothetische Lage, wenn das Schadensereignis nicht eingetreten wäre? Ein Schaden liegt vor, wenn sich ein Unterschied zwischen beiden Güterlagen ergibt, der sich zu Lasten des Geschädigten auswirkt.Hätte U nicht vertragswidrig keine Internetverbindung zur Verfügung gestellt, hätte S nicht 2 Monate lang die Nutzungsmöglichkeit des Internets eingebüßt.
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2. Der Schaden des S ist nach § 249 BGB im Wege der Naturalrestitution ersetzbar.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Geschädigte kann vom Schädiger verlangen, dass dieser den Zustand herstellt, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 Abs. 1 BGB, Naturalrestitution). Voraussetzung für die Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 und 2 BGB ist jedoch, dass die Wiederherstellung noch möglich ist. Dies ergibt sich aus dem Umkehrschluss zu § 251 Abs. 1 BGB, der subsidiär erst bei Unmöglichkeit der Naturalrestitution einschlägig ist (Vorrang der Naturalrestitution).Die verlorene Nutzungsmöglichkeit kann nicht wiederhergestellt werden, sodass S diesbezüglich nicht Naturalrestitution nach § 249 BGB verlangen kann.

3. S kann die entgangene Nutzungsmöglichkeit als Nichtvermögensschaden nach § 253 BGB ersetzt verlangen.

Nein, das trifft nicht zu!

Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden (§ 253 Abs. 1 BGB). Solche Fälle sind unter anderem die Verletzung von Körper, Gesundheit, Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung (§ 253 Abs. 2 BGB) oder nutzlos aufwendete Urlaubszeit (§ 651n Abs. 2 BGB).Entschädigung für die entgangene Nutzungsmöglichkeit des Internets ist nicht speziell geregelt, sodass die entgangene Nutzungsmöglichkeit nicht entschädigt werden könnte.

4. S kann die entgangene Nutzungsmöglichkeit als Nichtvermögensschaden nach § 251 BGB ersetzt verlangen.

Nein!

§ 251 BGB ermöglicht Ersatz für eine eingetretene Vermögensminderung (Schadenskompensation). § 251 BGB gilt (1) nur für Vermögensschäden und ist auch nur dann einschlägig, (2) wenn die Naturalrestitution unmöglich (§ 251 Abs. 1 BGB) oder mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist (§ 251 Abs. 2 BGB, zusammen der Vorrang der Naturalrestitution).Hier ist die Naturalrestitution zwar unmöglich. Nichtvermögensschäden sind jedoch nicht nach § 251 BGB ersetzbar. Die Ersetzbarkeit der entgangenen Nutzungsmöglichkeit hängt also allein davon ab, ob sie einen Vermögensschaden iSv § 251 BGB darstellt.

5. Die entgangene Nutzungsmöglichkeit ist immer ein nach § 251 Abs. 1 BGB ersetzbarer Vermögensschaden, weil die Nutzungsmöglichkeit gegen Geld erworben werden kann (Kommerzialisierungsgedanke).

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Vermögens- wird vom Nichtvermögensschaden danach abgegrenzt, ob der jeweilige Schaden in Geld messbar ist. Es gibt jedoch keine allgemeingültigen Kriterien dafür, wann eine solche Messbarkeit vorliegt. Weil prinzipiell alles gegen Geld erwerbbar und damit messbar ist, kommt es auf eine Kommerzialisierung jedoch grundsätzlich nicht an (kein „Kommerzialisierungsgedanke“). Ansonsten würde die von § 253 Abs. 1 BGB grundsätzlich angeordnete Nichtersetzbarkeit von Nichtvermögensschaden unterlaufen.

6. Eine entgangene private Nutzungsmöglichkeit kann ausnahmsweise als Vermögensschaden nach § 251 Abs. 1 BGB ersetzbar sein.

Ja, in der Tat!

Nach der Rechtsprechung ist die entgangene private Nutzungsmöglichkeit nur ein Vermögensschaden, wenn (1) es sich um ein Wirtschaftsgut von zentraler Bedeutung handelt, (2) in den Gegenstand selbst eingegriffen wurde und (3) die Nutzungsbeeinträchtigung fühlbar ist.Von zentraler Bedeutung können etwa sein: Das Kfz oder Fahrrad als Fortbewegungsmittel, die Wohnung, oder der Internetzugang. Die Nutzungsbeeinträchtigung ist fühlbar, wenn der Geschädigte (1) einen Nutzungswillen und (2) eine hypothetische Nutzungsmöglichkeit hat. Daran fehlt es etwa, wenn der Geschädigte einen vergleichbaren Ersatzgegenstand hat oder wenn der Geschädigte im Krankenhaus liegt und er den Gegenstand deshalb ohnehin nicht hätte nutzen können.

7. Das Internet ist ein Wirtschaftsgut von zentraler Bedeutung.

Ja!

BGH: Die Nutzbarkeit des Internets sei ein Wirtschaftsgut, dessen ständige Verfügbarkeit seit längerer Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung sei und bei dem sich eine Funktionsstörung als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirke. Das Internet ersetze wegen der leichten Verfügbarkeit der Informationen immer mehr andere Medien. Darüber hinaus ermögliche es den weltweiten Austausch zwischen seinen Nutzern. Zudem werde es zunehmend zur Anbahnung und zum Abschluss von Verträgen, zur Abwicklung von Rechtsgeschäften und zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten genutzt. (RdNr. 23).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

GEKA

Gekartet

15.2.2021, 10:42:56

Die Fragen sind schlecht formuliert: „Wenn“ klingt wie „unterstellt, dass“ und dann muss man eig immer „stimmt“ sagen. Besser: Unterfällt der

Nutzungsausfallschaden

dem § x ?

Marilena

Marilena

16.2.2021, 11:55:32

Hallo Gekartet, ich danke Dir für den Verbesserungsvorschlag! Wir sind stets bestrebt, die Aufgaben für alle Nutzer noch verständlicher zu machen und dafür auf wertvolle Mithilfe wie hier von Dir angewiesen. Ich habe die Fragen entsprechend geändert. Gefällt es Dir so besser? Liebe Grüße für das Jurafuchs-Team, Marilena

CR7

CR7

18.6.2024, 20:12:18

Ich finde die Aufgaben sind super formuliert, ich weiß nur nicht wie es vorher war. Generell finde ich es bei den Aufgaben vor allem für das erste Staatsexamen richtig und sinnvoll, wenn man die Fragen im Obersatz Stil formuliert.

SVE

svenzpo

20.9.2023, 17:28:39

Aso... Als Nichtvermögens

schaden

ist sie nicht nach § 251 ersetzbar, als Vermögens

schaden

schon?

LELEE

Leo Lee

23.9.2023, 17:57:10

Hallo svenzpo, genauso ist es. Aus dem § 253 BGB ergibt sich, dass Nichtvermögensschäden (etwa Schmerzens

geld

) nur dann ersetzt werden kann, wenn diese gesetzlich angeordnet werden (etwa in den § 253 BGB benannten Fällen oder 651n BGB). Im Umkehrschluss heißt das, dass § 251 I BGB nur diejenigen Schäden ersetzt, die Vermögensschäden sind und nicht durch § 249 I BGB (wegen

Unmöglichkeit

der

Naturalrestitution

) ersetzt werden können. Dies ist der Grund, weshalb wir diese

Nutzungen

– die an sich eben „Unannehmlichkeiten“ sind, die weder in § 253 BGB noch woanders als Nichtvermögens

schaden

benannt werden – über den

Kommerzialisierungsgedanke

n doch als Vermögensschäden einstufen (also nutzen wir hier einen „Trick). Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Oetker § 249 Rn. 41 ff. sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

VI

Vivii

22.9.2024, 09:59:24

Mir ist nicht ganz klar, warum es an der hypothetischen Nutzungsmöglichkeit fehlt, wenn man einen vergleichbaren Ersatzgegenstand hat. Man hätte doch ungeachtet dessen den anderen (d.h. den ausfallenden) Nutzungsgegenstand nutzen können, oder?

LELEE

Leo Lee

28.9.2024, 10:38:55

Hallo Vivii, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! In der Tat könnte man diese Frage stellen. Allerdings ist der Ausgangspunkt dieser hyp. Nutzungsmöglichkeit i.R.d. Nutzungsausfalls der entgangene Gewinn. D.h., ich möchte

Geld

haben, weil ich - hätte ich die Sache, etwa Taxi, genutzt - Gewinn erwirtschaftet hätte. Das gilt aber auch nur, dass ich WEGEN dieses Ausfalls diesen Gewinn nicht realisieren konnte. Und wenn ich eben einen Ersatzgegenstand habe (etwa Zweittaxi), kann ich eben nicht sagen, dass ich nicht in der Lage war, etwa durchs Taxifahren

Geld

zu verdienen. D.h. also, dass der entgangene Gewinn voraussetzt, dass ich GERADE WEGEN dieses

Schaden

s nicht in der Lage war,

Geld

zu verdienen. War ich freilich in der Lage, weil ich ein Ersatzauto hatte, kann ich dies nicht behaupten. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Oetker § 249 Rn. 70 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

EL

Elisa

28.1.2025, 14:38:38

Ich verstehe den Fall, bzw. das Problem hier nicht ganz. Es muss doch unproblematisch ersatzfähig sein, dass man für einen Internetanschluss bezahlt, aber keinen bekommt? Ist die Frage nach der entgangenen Nutzungsmöglichkeit dann zusätzlich dazu also separat davon?

Wesensgleiches Minus

Wesensgleiches Minus

16.3.2025, 13:02:40

Ich würde den Vertrag über den Internetanschluss als Mietvertrag einordnen und in dem Ausfall der Funktionsfähigkeit des Anschlusses einen Mietmangel sehen. Demnach kann der Student die Miete für den Zeitraum des Nutzungsausfall mindern beziehungsweise ist für diesen Zeitraum von der Mietzahlungspflicht befreit (§ 536 I BGB), sodass er die für diesen Zeitraum gezahlte Miete über § 812 I 1 Alt. 1 BGB herausverlangen kann.

lionelhebe

lionelhebe

9.4.2025, 09:33:57

Es geht aber eben nicht nur darum, dass er die bereits gezahlte "Miete" erstattet möchte. Er möchte überdies auch ein Ersatz für den Nutzungsausfall. Das stellt eine andere

Schaden

sposition dar.

Wesensgleiches Minus

Wesensgleiches Minus

9.4.2025, 17:48:49

Ah ja, verstehe. Das heißt, er könnte sowohl die geminderte Miete zurückverlangen, als auch einen

Nutzungsausfallschaden

geltend machen?

Wesensgleiches Minus

Wesensgleiches Minus

16.3.2025, 13:23:41

was ist hier die Anspruchsgrundlage für den

schaden

sersatz?

MAG

Magnum

5.4.2025, 09:42:39

Wurde der Anspruch im Endergebnis bejaht? Ein Eingriff in die Sache selbst (was auch immer das beim WLan-Ausfall sein soll) erscheint ja zumindest diskutabel, oder?


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